Heilatmen und Schätze aus vergangener Zeit

Annemarie Folgnandt † , Lissendorf

Es war die Idee meines elfjährigen Enkels, mit mir unseren Speicher nach ausgemustertem Spielzeug und Büchern zu durchforsten, um damit hilfsbedürftigen Kindern eine Freude bereiten zu können. Der große Speicher verlockte geradezu, hier auf Entdeckungsreise zu gehen. Bald schon hörte ich die Stimme meines Enkels rufen „Oma, Oma ich habe eine Schatztruhe gefunden.“ Mit aller Kraft zog er aus einer Ecke eine offensichtlich sehr alte über und über mit Staub und Spinnweben bedeckte Holzkiste hervor. Trotz rostiger Scharniere ließ sich der Deckel öffnen, wenngleich die Scharniere ein bedrohliches Ächzen von sich gaben. Gleich obenauf lag ein uraltes Kräuterbuch mit stark beschädigtem Einband. Es war das Heilpflanzenbuch meiner Großmutter. Die vergilbte altdeutsche Schrift war nur noch schwer zu lesen, aber die Abbildungen der Kräuter konnten wir noch gut erkennen. Beim Durchblättern des alten Buches fühlte ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Meine Oma hatte mir erzählt, dass sie als junge Frau sehr krank war, aber durch Kräuterbäder und trinken von Kräutertee hatte sich ihre Gesundheit wieder eingestellt. Pastor Hubert Rader, der auch ein begnadeter Naturheilkundiger war, hatte ihr dazu geraten. Er wirkte von 1919 bis zu seinem Tod im Jahre 1935 in Gerolstein. Ihn traf man außerhalb seiner seelsorgerischen Tätigkeit fast immer in den umliegenden Wäldern stets auf der Suche nach heilkräftigen Kräutern. Oma hatte in der guten Stube ein Bild von ihm an der Wand hängen, weil sie nie vergessen wollte, wer ihr mit der Naturmedizin das Leben gerettet hatte. Dann entdeckten wir ganz unten noch etwas besonderes. „Ein Metronom“ Es erinnerte mich an eine andere Geschichte. Mein Enkel und ich saßen auf dem Fußboden neben der Kiste und ich erzählte ihm, wie ich zu dem Metronom gekommen war. Es war Anfang der fünfziger Jahre, als die Städter unsere schöne Eifel entdeckten. Für sie war die würzige Luft, die sie bei Ihren Spaziergängen atmeten, eine Labsal für Leib und Seele. Das Verkehrsamt in Gerolstein vermittelte auch meinen Eltern hin und wieder solche Gäste. Wir hatten zwar nur einfache Zimmer mit fließendem kalten Wasser und die Speisekarte bot auch nur das, was wir selber erzeugten. Salate, Kartoffel, Eier, Honig und besonders unsere frisch gemolkene Ziegenmilch. Die Gäste wussten diese karge gesunde Kost sehr zu schätzen und nicht selten traten sie als Geheilte an Leib und Seele die Heimreise an. Einer von ihnen, Herr Burggrabe, mit seiner Familie. Es muss so um 1950 gewesen sein. Es war ein vornehmer Herr, der mich (ich war damals gerade zehn Jahre alt) mit seinem fundiertem Wissen über die Bedeutung des Sauerstoffs für die Gesundheit der Menschen beeindruckte. Er öffnete uns die Augen über die unermesslichen Schätze unserer Heimat, wie sie die stillen Wälder und Wiesen mit der sauberen Luft boten. Abends in der guten Stube lauschten wir seinen kleinen Vorträgen, indem er uns die Vorzüge der richtigen Atemtechnik erläuterte. Ich war begeistert von seinen Ausführungen und wollte unbedingt mehr erfahren. Er tat sehr geheimnisvoll und vertröstete mich auf einen späteren Zeitpunkt. Schneller als von mir erhofft, traf die Familie Burggrabe mit einem Arm voller Plakate bei uns ein. Diese wurden am anderen Tag in Gerolstein an geeigneten Flächen angeklebt. Sie luden zu einem von Herrn Burgrabe gehaltenen Vortrag über Atemtechnik und die damit verbundene Heilwirkung auf den menschlichen Organismus ein. Das Hotel Kaiserhof war bis auf den letzten Platz gefüllt. Ich durfte Herrn Burggrabe als Assistentin behilflich sein. An mir wollte er den Menschen im Saal seine Atemtherapie erläutern....ich musste gerade auf einen Stuh sitzen, die Beine hüftbreit auf dem Boden gestellt, die Händ entspannt auf die Oberschenkel legen und die Augen geschlossen halten. Ein Metronom zählte die Sekunden, wie lange ich die Luft eingeatmet anhalten konnte und wie lange es dauerte, bei leicht aufeinandergelegten Lippen, um sie wieder auszuatmen. Ich musste noch einige Minuten tief in den Bauch einatmen und langsam mit der Lippenbremse wieder ausatmen. Diese Atemtechnik sollte die Lungen stärken und ganz allgemein auch die Abwehrkräfte des Körpers stärken. Minuten langer Beifall belohnte danach auch meine Leistung. Das Metronom schenkte er mir als Erinnerung an diesen lehrreichen Abend. Familie Burggrabe kam immer wieder in unsere schöne Eifel, um sich bei uns zu erholen und den Menschen seine Atemgymnastik zu lehren, die bis heute weltweit immer noch mit Erfolg angewendet wird. Ich bin meinem Enkel dankbar, dass er die Idee mit der Schatzsuche hatte. Achtundfünfzig Jahre sind seitdem vergangen und plötz lich erinnere ich mich wieder an alles. Übrigens, Atemübungen und Kräutertee sind bis heute meine Doktoren geblieben.