Wunderheiler und Bandwurmfänger

Friedbert Wißkirchen, Daun

Hexen und Bader

Krankheiten wurden im Mittelalter vor allem in den ländlichen Gebieten fast ausschließlich mit Naturheilmitteln bekämpft, die sich teilweise bis in die heutigen Tage erhalten haben. In vielen Dörfern gab es auch Männer und Frauen, die sich in der Kräuter-, Heil- und Geburtskunde auskannten und nicht nur beim Mensch, sondern auch bei Tieren halfen. Ihre heilenden Hände, die Herstellung von Tees und Salben aus Kräutern und Heilpflanzen wurde oft als Zauberei angesehen wurden. Vor allem in den Zeiten der Hexenverfolgung (Inquisition) im 14. bis 18. Jahrhundert starben viele heilkundige Männer und Frauen als Hexen auf dem Scheiterhaufen. Die einfachen Menschen hatten nicht nur kein Geld um einen Arzt aufzusuchen, vor allem fehlten Ärzte in unserer ländlichen Region. Bei Brüchen und offenen Verletzungen half oft ein Bader1. Er ließ auch die Menschen zur Ader oder schröpfte sie, brannte Wunden aus und renkte Glieder ein. Was geschah bei ansteckenden Krank heiten, wo ganze Dörfer betroffen waren, wie 1821 in Neroth, als Typhus ausbrach? Vor allem die Geistlichen versuchten durch Impfungen und Anweisungen zur Hygiene, Isolierung der Kranken, Epidemien einzudämmen. Pastor Weiersbach wurde für sein umsichtiges Handeln in Neroth öffentlich belobigt. Einer der bedeutendsten Pfarrer im Gesundheitswesen war Johann Hubert Schmitz aus Dockweiler, der in unserem Raum die Pockenimpfung einführte und mehr als 8000 Impfungen selbst durchführte. War ein Mensch jahrelang von einem Leiden oder einer Krankheit geplagt, klammerte sich der Betroffene an jeden Strohalm und fiel auch auf Heilmittel und Wunderärzte herein. Aus einer Rechnung um 1785 ist bekannt, dass der Hofmann Matthias Schlad-weiler von Sprink (Strohn) Arzneien in einer Apotheke in Trarbach beschaffte. Wahrscheinlich brachte er um 1800 von seinen Markt- oder Apothekenbesuchen in Cochem, Trarbach oder Wittlich einen gedruckten Handzettel eines Quacksalbers mit, der überschrieben war. „Thue, was du thun sollst; das andere befehle Gott.“ Vielleicht hatte er aber auch eines der angepriesenen „Mittelchen“ gekauft.

Der Wunderheiler

Im Mittelalter war es nicht unüblich, dass „Doktoren, Mediziner, Heilkundige“ mit Gauklern und Schauspielern zusammen auf Märkten auftraten, weil sich eine große Menschenmenge oder das ganze Dorf versammelte und es ihnen ein Leichtes war, in Zusammenarbeit mit Schauspielern heilende Wirkungen vorzutäuschen. So kündigte sich durch Handzettel an „ein wohlerfahrender Operateur B u l a c h e r , welcher dem schmerzlichen Uebel der Krankheit des Menschen, mit seinen erlernten Wissenschaften schon viele hundertmal zu Hülfe gekommen ist.“ Er beschreibt „Kraft und Wirkung meiner edeln Kräuter-Laxier2“ als Allheilmittel: „Sie reiniget nicht nur den Magen von aller Säuerung, wovon alle Krankheiten entspringen, sondern sie führet alle schwarze, gelb und grüne Galle, allen verlegnen Schleim, und sonst alle böse Materie hinweg, sie vertreibt auch Magen- und Gallenfieber. Sie wird des Morgens früh nüchtern in was beliebig eingenommen, und eine warme gesalzene Brühe darauf getrunken. Eine starke Natur nimmt die Laxier ganz, eine Mittlere 3 Theil.“ Wer seinen Magen durch den Kräutertrank noch nicht ausreichend kuriert hatte, dem wurde empfohlen, auch noch den „Magen-Balsam“ zu probieren. Die Gebrauchsanweisung ist einfach und Anwendungsgebiete reichen von der Bekämpfung der Würmer, der besseren Verdauung bis und Wunderstein nicht geholfen werden konnte, dem blieb nichts übrig, als den „Operateur Bulacher“ persönlich aufzusuchen. Wohlweislich bezeichnete er sich nicht als Arzt, um Schwierigkeiten mit der Obrigkeit zu vermeiden. Er hatte wohl in einer Gastwirtschaft Quartier bezogen, denn davon profitierte nicht nur der „Doktor“ sondern auch der Wirt, der wartende Patienten von Fern und Nah auch noch mit Speis und Trank versorgen konnte. Quacksalber Bulacher wies darauf hin, das er „Mannsund Weibspersonen“ behandele und Frauen ihr Leiden aus Scham auch seiner Frau vortragen könnten. Er versprach: „Da wird man einem jeden gleich deutlich sagen ob zu helfen sey oder nicht. Weibspersonen mit „heimlichen Zufällen“ - vermutlich Schwangerschaften – wurden an seine Frau verwiesen. „Auch kuriere ich alle Manns- und Weibspersonen und kleine Kinder, die ge-brochen5 sind: sie müssen sich aber persönlich melden: desgleichen auch Krebs, Ge-wächser6 und andere Zufälle oder andere Krankheiten. Als Wurmspezialist hatte er die schönsten und längsten Exemplare in Gläsern in Spiritus eingelegt, um dem Publikum sein Können zu beweisen. Die Bezahlung brauchte erst nach erfolgreicher Behandlung zu erfolgen. „N.B. Auch treibe ich die Nestel- und Bandwürmer in wenigen Stunden mit dem Kopfe ab, 50 und mehrern Ellen7 lang...“ Vermutlich war Bulacher ein Feldscher8, der von Stadt zu Stadt zog und dabei auch die Mosel besuchte. Er konnte sich auch nur wenige Tage an einem Ort aufhalten, denn nach einige Tagen merkten die Patienten, dass die Medizin keine oder nicht die versprochene Wirkung zeigte oder die Behandlung nicht das hielt, was sie versprach. Im Amtsblatt der Preußischen Regierung wird denn auch regelmäßig z. B. vor der „Al-tonaer Wunder-Essenz“, den „Langenschen Pillen“ und den „Möllerschen Fiebertropfen“ als schädlich oder gefährlich gewarnt. Ein probates Mittel bei manchen Krankheiten war das Ansetzen von Blutegeln. Das Preußische Gesundheitsministerium hatte sogar den Preis für Egel festgesetzt, wie auch für andere Arzneimittel. Im Dauner Kreisblatt wird empfohlen, vor dem Ansetzen der Blutegel deren Rücken mit Wein zu bestreichen. Eine ärztliche Versorgung im ländlichen Raum entstand allmählich Mitte des 19. Jahrhunderts. 1818 gab es im ganzen Kreis Daun keine Apotheke; erst 1824 ließ sich Josef Veling aus Vallendar als Apotheker in Daun nieder. Auch die Kreischirurgenstelle war 1821 unbesetzt; Ärzte und Wundärzte wurden durch öffentliche Bekanntmachung aufgefordert, sich zu bewerben. Aber erst 1833 wurde Peter Weber, von der Schutzer Reghmühle stammend, zum ersten Kreisarzt ernannt. Er hatte in Straßburg Medizin studiert, 1813 promoviert und anschließend in Niederstadtfeld als Arzt praktiziert. Im Amt des Kreisarztes folgte ihm 1864 sein Sohn Dr. Albert Weber. Viele examinierte Hebammen wurden nach 1810 ausgebildet und traten ihren Dienst in unseren Dörfern an. Kreisphysiker, Kreischirurgen, Landräte, Bürgermeister und Schullehrer wurden durch Verfügung der Königlich Preußischen Regierung vom 24.7.1818 aufgefordert, gewisse allgemeine Verfahren bei der Rettung und Widerbelebung von Ertrunkenen, Erfrorenen, Erhangenen und Erwürgten anzuwenden, die uns heute mehr als befremdlich erscheinen. Dass ein Ertrunkener durch Mund-zu-Mund-Beatmung, durch Brustmassage wiederbelebt werden sollte, entspricht auch heute noch unseren Vorstellungen. Dem Ertrunkenen sollte aber auch noch alle halbe Stunde ein Klistier9 mit lauwarmem Wasser verabreicht werden. Das Herauslassen des Wassers sollte durch Senken des Kopfes begünstigt werden, gewarnt wird aber „daß das gewöhnliche auf den Kopf-Stellen und diese anhaltende Stellung sehr nachtheilig ist. Dem Körper ist durch Reibung, Bettung und Heizung nach und nach Wärme bis zum 98. Grade (!) beizubringen...“ „Wenn alle diese Mittel vier bis sechs Stunden vergeblich angewendet seyn, so könnte man den Ertrunkenen noch etwa eine Stunde in warme Asche, Sand... legen, oder wenn dies schwer herbeizuschaffen wäre, mit warmem Mist, besonders Pferdemist bedecken, wo bei der Kopf immer frei liegen, und das Lufteinblasen fortgesetzt werden muss...“ „Ist der Ertrunkene auch zugleich erfroren, so ist er als Erfrorener zu behandeln.“ Wenn er nicht vorher verstorben war, überstand er die vorgenannten Torturen wohl kaum.

Quellen:

Amtsblätter der Königl. Regierung zu Trier 1816 – 1824
Dauner Kreisblatt 1861 – Nr. 21
Akten des Hofes Sprink bei Strohn (Privatarchiv)
WIKIPEDIA – freie Enzyklopädie

1 Bader = mittelalt. Heilberuf (Badewesen, Chirurgie, Zahn- und Augenheilkunde)
2 Laxier = Trank
3 gemelten = angegebenen, bezeichneten
4 approbiert = zugelassen
5 Er richtete Brüche von Gliedmaßen
6 Gewächser = Verwachsungen, Geschwüre
7 Elle = Längenmaß (Dauner/Mander-scheider Elle = 57 cm)
8 unterste Stufe eines Militärarztes, ungelernter Landarzt
9 Klistier = Einlauf