Von Hexern und Heilern in der Eifel

Ernst Retterath, Lirstal

Früher, noch zu Zeiten meiner Urgroßeltern, war im Volksglauben fest verankert, dass es auf der einen Seite sogenannte „Hexermänntje“ (Hexer) gab, die Mensch oder Tier nur durch ihre mentale Stärke Schaden zufügen konnten, als auch „Sähner“ (Segner oder Heiler), die die Kraft hatten, diese wieder rückgängig zu machen.

Die Bauernfamilie, von der ich hier erzählen möchte, betrieb Anfang des vergangenen Jahrhunderts eine kleine Landwirtschaft. Für den Ackerbau besaßen sie ein Zugpferd. Das Arbeitspferd war ein wichtiges Kapital im Betrieb, da die Felder mithilfe der Pferdestärke beackert wurden. Alles, was heutzutage mit Traktoren in der Landwirtschaft erledigt wird, hatte früher das Zugpferd übernommen. Daher war ein Ausfall des Ackergauls wegen Krankheit ein großer Verlust für die Landwirte. So berichtet uns nun ein Bauer aus früherer Zeit über seine persönlichen Erlebnisse mit dem Übersinnlichen: „Eines Morgens trat ich in den Stall, um mein Pferd nach draußen zu führen und es einzuspannen. Dabei stellte ich fest, dass es plötzlich lahmte, obwohl es am Vorabend noch kerngesund gewesen war. In solchen Fällen handelte es sich meist um eine Verstauchung, die relativ schnell abheilte. Da ging ich an den nächsten Bach zur „Lehmkaul´“(Lehmgrube), holte mir von dort ein wenig Lehm mit nachhause und fertigte damit einen Lehmumschlag für den Pferdefuß. So behalf ich mir selbst. Zusätzlich musste das Pferd natürlich einen Tag geschont werden und brauchte an diesem Tag nicht zu arbeiten. Da wurde es besser und das Tier war wieder arbeitsfähig. Doch dieser Vorfall wiederholte sich nun des Öfteren. Aus völlig unerfindlichen Gründen lahmte das Pferd am Morgen, obwohl tags zuvor noch alles in Ordnung gewesen war. Dies kam mir seltsam vor. Hier konnte etwas nicht mit rechten Dingen zugehen. Jemand schien manipuliert zu haben. Ich überlegte, wer sich immer dann vorher in meinem Stall aufgehalten hatte, wenn das Pferd lahmte. Früher waren sowohl Haus-als auch Stalltüren nicht abgeschlossen und die Dorfbewohner kamen gegenseitig öfter mal zwischendurch vorbei, um ein Schwätzchen zu halten. Und wenn die Bewohner tagsüber im Haus nicht anzutreffen waren, gingen die Besucher zu den Bauersleuten direkt in den Stall, wo der Bauer oder seine Frau Arbeiten verrichtete. Irgendwann fiel mir auf, dass immer, wenn eine bestimmte Person zuvor im Stall gewesen war, lahmte mein Pferd. Nur einige ältere Dorfbewohner der Region wussten aus ihrer Lebenserfahrung, wer Fähigkeiten besaß, durch seine übersinnlichen Kräfte anderen Personen oder Tieren Schaden zuzufügen. Diese Bürger sprachen selbstverständlich nicht offen darüber, nur unter der Hand im Vertrauen bestätigten sie eine solche Information manchmal, wenn man schon einen gezielten Verdacht hatte. Und mein Verdacht wurde dabei von den Alten bestätigt. Bei der Gelegenheit wurde ich von jemandem über dessen Erfahrungen mit diesem Mann aufmerksam gemacht. Erst als ich von meinem Fall erzählt hatte, berichtete er mir: „Ei, hör´ mal! Mir ist doch auch so watt passiert! Immer wenn ich mit meinem Fuhrwerk durchs Dorf kam und „dat Hexermänntje“ stand an der Straße, dann lahmte auch mein Pferd anschließend. Verwunderlich, oder?“

Dazu passte, dass ich mit dem Mann, der erfolgreich Verwünschungen aussprechen konnte, kürzlich in Streit geraten war. Deshalb achteten wir nun darauf, dass dieser Mann unser Wirtschaftsgebäude nicht mehr betrat. Eines Tages kam ich in meinen Stall und entdeckte Merkwürdiges. An diesem Morgen fand ich den Schweif meines Pferdes geflochten vor. Doch nicht nur das! Der Kaltblüter schonte wieder seinen Huf und als ich das Tier nach draußen auf den Hof führte, stellte ich fest, dass es wieder lahmte. Der geflochtene Schweif des Pferdes war doch nun der endgültige Beweis, dass sich ein Fremder unbefugt Zutritt zum Stall verschafft hatte. Das musste über Nacht geschehen sein, denn am Vorabend war noch alles normal gewesen. Diesmal halfen die Hausmittel nicht weiter. Mehrere Tage stand das Pferd schon krank im Stall. Hätte man hier einen Tierarzt aus der nächsten Kreisstadt gerufen, dieser hätte auch nichts zur Heilung beitragen können. Deshalb wurde er zu diesem Fall auch nicht gerufen; zum einen, weil wir Bauern in der Eifel meist sehr arm waren und zunächst alle anderen Möglichkeiten ausschöpften, hauptsächlich aber, da es sich hier eindeutig um eine Verwünschung handelte und dabei auch ein Tierarzt machtlos war.

Ein Heiler aus dem Dorf oder der näheren Umgebung war hier der richtige Ansprechpartner. So holten wir einen solchen Gesundbeter zu Hilfe, der das, was das „Hexer-männtje“ Schlimmes angerichtet hatte, wieder rückgängig machen konnte. Doch als ich den „Sähner“ in den Stall gebeten und dieser sich das Pferd genauer angeschaut hatte, erklärte er mir: „Hier war jemand dran, der sehr viel Macht hat. Ich bin leider schwächer als dieser und kann nichts ausrichten.“ In diesem schweren Fall konnte er bedauerlicherweise nicht helfen, gab mir aber den Rat, mit dem Pastor Rücksprache zu nehmen. So bat man den Pfarrer um seine geistliche Hilfe. Der Pastor war auch sofort bereit zu helfen. Nun betrat der Geistliche den Stall und schaute sich das lahmende Pferd näher an. Dann sagte er: „Das ist eine sehr schwierige Sache. Da muss sehr viel gebetet werden! So viel könnt ihr selbst gar nicht beten, wie hier nötig ist! Das werde ich für euch übernehmen und erledigen.“

Er segnete das Pferd und den gesamten Stall mit Weihwasser und betete für das Tier. Als er sich verabschiedete, versprach er, für die Heilung des Pferdes noch weiterhin viel zu beten. Dies führte auch schließlich zum Erfolg. Als ich am gleichen Tag kurz vor dem Zubettgehen noch einmal nach meinen Tieren im Stall schaute, belastete das Pferd seinen kranken Huf wieder ganz normal; es war wieder genesen und am nächsten Tag voll arbeitsfähig. Damit war der Spuk endlich beendet und meine Familie sowie meine Tiere wurden seither nie wieder von Verwünschungen heimge-sucht.“

Ein weiterer Zeitzeuge weiß den Bericht des Bauern noch zu ergänzen: „Doch von dem Mann, der seine übersinnlichen Kräfte negativ nutzte und solche Verwünschungen aussprach, hörte man noch weitere Male, denn seine eigene Ehefrau vertraute einige Jahrzehnte später, als es in der Ehe einmal kriselte, jemandem ihre Geschichte an. Sie war in jungen Jahren selbst Opfer der teuflischen Fähigkeiten ihres zukünftigen Mannes geworden. Als junge Frau habe sie einmal ihre Liebesbeziehung zu ihrem damaligen Freund, dem „He-xermänntje“, beenden wollen und tatsächlich Schluss gemacht. Er hatte sie sonntags noch gefreit, da teilte sie ihm ihren Entschluss mit. Gleich am nächsten Tag wollte sie in die nächste Kleinstadt zum Markt fahren. Doch sie konnte ab diesem Zeitpunkt plötzlich nicht mehr Fahrrad fahren und schwankte nur noch von rechts nach links. Sie musste vom Rad absteigen, hatte aber noch die Hoffnung, da sie bergauf unterwegs war, dass sie ab der Bergkuppe leichter hinabrollen könnte. Doch selbst das war für sie nicht mehr möglich. Sie konnte überhaupt nicht mehr weiterfahren, musste ihr Vorhaben in die Stadt zu fahren ganz abbrechen und schob ihr Fahrrad nachhause. Sie schien das Fahrradfahren gänzlich verlernt zu haben. Später hat sie sich wieder mit diesem Mann, ihrem ExFreund, versöhnt und als sie anschließend erneut mit ihm liiert war, beherrschte sie auch das Fahrradfahren sofort wieder ohne Probleme.“ Solche Geschichten wurden in der Eifel von Generation zu Generation weitergegeben. Der Volksglaube dachte noch vor einigen Jahrzehnten ebenfalls, ein Hexer müsse vor seinem Tode seine dunklen Künste an einen Nachfolger weitergeben. Falls ein solcher aber keinen Nachfolger finde, habe dieser einen langen, schmerzhaften Tod zu erleiden und seine Leiche würde sehr schnell schwarz werden.

Ebenso glaubten die Leute früher, der Pastor sei, zu Beginn jeder Messe, wenn er an den Altar trat, aus dem Grund mit seinen Händen über die Altardecke gestrichen, da er sicherstellen musste, dass hier nichts darunter lag. Es gab das Gerücht, dass derjenige, der es schaffen würde, das 7. Buch Moses unter die Altardecke zu legen, dieses während der Messe unbemerkt dort liegen blieb und er sich das Buch später wieder aneignen konnte, nach der Messe über negative übersinnliche Fähigkeiten und Kräfte verfügen würde.

Der Glaube an Hexen und Hexer ist heute (zumindest bei der jüngeren Generation) vollkommen gewichen. Dennoch gibt es in der Eifel noch einige wenige Gesundbeter oder „Zottersähner“ (Zottersegner). Eine solche Gesundbeterin berichtete mir sogar vor einigen Jahren, dass selbst ein hoch studierter Mediziner und wissenschaftlich arbeitender Hautarzt aus der Stadt Köln sie wegen seiner Hautkrankheit und ihrer heilenden Fähigkeiten aufgesucht habe, der sich selbst nicht hatte helfen können und auch seine Kollegen das nicht vermocht hatten. Das Gesundbeten soll ihm schließlich geholfen haben. Leider ist die Frau, die für ihr Gesundbeten nicht einmal Geld genommen hatte, vor ein paar Jahren verstorben.