Glauben und Hoffen

Gisela Bender, Deudesfeld

Jedes Mal war es das Gleiche. Alle Schulkinder unserer Volksschule sprangen jubelnd aus ihren Bänken, sie rannten schubsend und andere anrempelnd nach draußen. Die großen Ferien waren angesagt. Obwohl ich während meiner Schulzeit selten zu den letzten gehörte, am letzten Schultag vor Ferienbeginn, da war es anders. Es mag unglaublich klingen, aber ich hätte lieber auf die Ferien verzichtet und wäre zum Unterricht gegangen. Meine damalige Verhaltensweise resultierte nicht allein auf besonderem Lerneifer, sondern es hatte auch damit zu tun, dass wir Kinder - mein Bruder und ich - übermäßig viel zur Mitarbeit in der Landwirtschaft herangezogen wurden. Vor allem im Sommer während den Ferien. So verließ ich auch an diesem letzten Schultag voller Wehmut den Schulsaal. Wohlwissend, was ich in den nächsten Wochen zu erwarten hatte. Fast jeden Tag stand eine Arbeit auf dem Feld an. Gab es aber mal einen Tag ohne Feldarbeit, dann musste ich eine Arbeit übernehmen, die mir noch weniger schmeckte. Die Kühe mussten gehütet werden. Den ganzen Nachmittag über bin ich Schritt für Schritt neben den beiden Kühen hergegangen. Kühe zu hüten ist an sich schon eine Beschäftigung, die wenig Abwechslung bietet. Musste man die Kühe aber in den Feldwegen zwischen den Gewandungen hüten, so war das eine Sträflingsarbeit. Die beiden Kühe waren mit der Halskette aneinander gebunden. Während man neben der linken Kuh, die man an der Kette festhielt einherging, musste man die zweite, rechts außen, stets im Auge behalten. Nur zu gerne hätte sie an den angrenzenden Feldern eine Rübe stibitzt oder sich am jungen Klee gut getan. Klee, darauf achtete ich im Besonderen, war für die Kühe nicht immer verträglich. Das wurde uns Kindern schon früh beigebracht. Obwohl es fast unmöglich war, die Kühe stundenlang an einem Kleefeld entlang zu hüten, ohne das sich die rechte Kuh hin und wieder einige Batzen Klee stibitzen konnte. Jedenfalls war ich froh, als die Hütezeit dieses Tages vorbei war, und ich die Kühe in den Stall bringen konnte. Endlich war ich die ganze Verantwortung los, und konnte noch schnell auf einen Sprung ins Dorf huschen.
Viel Zeit blieb mir dafür nicht, denn schon bald wartete die Stallarbeit. Jeder hatte hier seinen Arbeitsbereich, auch wir Kinder. An diesem Abend traf ich etwas später ein. Das Dorf hatte mich wieder einmal zu lange aufgehalten. Bevor ich den Stall erreichen konnte, kam mein Vater aufgeregt aus diesem heraus gelaufen. Als er mich sah, wies er mich an „Lof sier Blonien Klooß holen!“ Blonien Klooß brauchte man, das wusste ich, wenn bei einer Kuh der Futtergang nicht funktionierte. Wenn der Leib dick aufgedunsen war, und man Angst haben musste, er würde platzen. So schnell ich konnte, lief ich zu Blonien wo Klooß aber nicht war. Er sei auf Weilerbüsch pflügen, sagte mir seine Frau. Wieder zu Hause angekommen, richtete ich aus, wo Klooß zu finden sei. „Daan loof flott op Weilerbesch un hol hän här!“ Außer Atem lief ich ans andere Ende der Deudesfelder Feldflur. Dort angekommen wollte ich Klooß die Order ausrichten, aber ich war so außer Atem, dass ich kein Wort heraus brachte. Klooß hatte die Pferde angehalten und sagte: „Nau loos Mättchen, loos“. Geduldig wartete er, bis ich wieder sprechen konnte. „Na dan wolle ma gon“, sagte er und spannte die Pferde vor den Wagen, und so hatte ich das Glück nach Hause gefahren zu werden. Das Fuhrwerk ließ er auf unserem Hof stehen und ging in den Stall. Mit einem Blick erfasste er, wo seine Hilfe gebraucht wurde. Klooß war einer der Menschen, die mit einer besonderen Gabe ausgestattet waren. Seine Hände betasteten die Kuh und er ließ sie wie Streicheleinheiten hin und her über den Leib der Kuh gleiten. Seine Körperhaltung war angespannt und konzentriert, die Lippen bewegten sich im Gebet. Im Stall war es mäuschenstill, es war, als hielte alles den Atem an. Nach einer ganzen Weile sagte Klooß: „Weilen ass ett rum got“. Er drehte sich um und ging. Mein Vater konnte ihm gerade noch ein Merci nachrufen. gehütet. Wäre die Kuh eingegangen, das hätte für unsere Familie einen herben Verlust bedeutet. Welche Vorsehung, dass es Leute wie Blonien Klooß gab. Einen Tierarzt kannten wir nicht einmal. Davon abgesehen, dass keiner dessen Dienste bezahlen konnte. Erinnern kann ich mich, dass ich einmal nach Manderscheid zum Apotheker Boll geschickt wurde. In besonderen Fällen, meist für Kälberlähmung, bereitete der Apotheker ein Heilmittel zu. Für die Bezahlung seiner Mittel reichte ein noch so dankbar geäußertes Merci allerdings nicht aus. Bei anderen Malässen, im Besonderen bei Schweinen, wurde der heilkundige Jakob Koch aus Oberstadtfeld konsultiert. Als unsere Oma Katharina mit fast zweiundneunzig Jahren starb, hatte sie die meisten gesundheitlichen Störungen in ihrem langen Leben mit den Heilkräutern aus unserer heimischen Naturlandschaft in Schach gehalten. Folgendes Teerezept ist mir noch postum eingefallen. Diesen Tee empfahl sie bei Erkältungen: 1 Handvoll Holunder und Linden sowie Huflattichblüten zusammen mit einer Stange Kandiszucker aufkochen. Den Sud durch ein Sieb gießen und heiß trinken. Diese Rezepturen wären beliebig fortzuführen. Manches Mal belächelten wir ihren Eifer, dann pflegte sie zu sagen: „Ja, die Natur hat für alles ein Kraut wachsen lassen. Mit einer Ausnahme, Dummheit!“ Dem ist bis heute nichts mehr hinzuzufügen!