Natur und Landschaft

Der Schellemann und Feldschütz

Martha Neumetzler, Berndorf

Jede Gemeinde hatte ihren Schellemann, der öffentliche Bekanntmachungen mit der Klingel (Schelle) ausrief. Der letzte Schellemann in Berndorf war mein Onkel Mattes. Von allen wurde er „Schelle-Mattes“ genannt und er war ein Original mit seinen Bekanntmachungen. Ging die Schell, so erschien auf jeder Haustür jemand, um zu hören was es Neues gab. Dann verlas er z. B. lautstark in Platt: „Am Monich kütt öm zwo Quer de Einnehmer op die Schull.“ (Am Montag kommt um zwei Uhr der Einnehmer auf die Schule) - Die Steuereinnahmen wurden von dem „Rentmeister“ (Kassierer der Amtsverwaltung) in Bar kassiert.) Viele Leute hatten damals kein Konto bei einer Sparkasse oder kein Konto mehr. Sie waren diesbezüglich äußerst misstrauisch, weil sie im Zuge der Inflation und danach im Juni 1948 bei der Währungsreform fast all ihr Gespartes verloren hatten. Oder: „Am Freidisch jitt öm vier Quer bei Mannebach et Brandholz onn dö Schläch versteijert.“ (Am Freitag wird um vier Uhr bei Mannebach das Brandholz und die Schläge versteigert) - Jede Familie bekam aus dem Gemeindewald kostenlos eine bestimmte Menge Brandholz zugelost und man konnte sich den Mehrbedarf ersteigern. Das Brandholz wurde von den Waldarbeitern in ein, zwei, drei oder vier Raummetern-(Kiouter - Klafter) Stapeln abgelegt und vom Förster mit einer Nummer versehen. Das zu ersteigernde Brandholz, es handelte sich dabei fast ausschließlich um Eiche oder Buche, hatte man sich natürlich vorher an Ort und Stelle angesehen, weil dessen Lage (Hang - Senke - schlechte Waldwege) und Qualität (Stärke - Verästlungen) den Preis beeinflussten. Das Holzgeäst konnte man zusätzlich an den Rodungsstellen (Schlag) ersteigern. Es wurde in Wagenladung abgefahren oder an Ort und Stelle in „Schanzen“ (Bündel) gebunden, die sich hervorragend für die Befeuerung des Backofens eigneten, und dann abgefahren. Oder: „Am Samsdechjitt et die bestallte Kresböm aafzwoo Quer op dem ahlen Schull-hoff.“ (Am Samstag gibt es die bestellten Christbäume ab zwei Uhr auf dem alten Schulhof) - Die Weihnachtsbäume wurden nach Größe bestellt und nach Schlagen durch die Waldarbeiter kostenlos an die Familien ausgeteilt. Oder: „Mour jit ömm zehn Ouer önn der Kradejass dö Schnie jerömt Üss jedem Hous mooß eene helfe.“ (Morgen wird um zehn Uhr in der Kradengasse der Schnee geräumt. Aus jedem Haus muss einer helfen) - Vom Schnee zugewehte Straßen wurden im Frondienst geräumt und aus jedem Haushalt musste jemand helfen. Wenn niemand aus dem Haushalt, aus welchen Gründen auch immer, helfen konnte, musste ein anderweitiger Ersatzmann (Frau oder auch ältere Kinder) einspringen. Oder: „Ömm halwer sechs jitt am Metwuch datt Schrawebotze versteijert Bey Hellijer jitt aangefan-ge.“ (Um halb sechs wird am Mittwoch das Grabenputzen versteigert. Bei Hoffman wird angefangen). Die gemeindlichen Straßengräben wurden vom Schlamm und Bewuchs gereinigt und diese Arbeiten konnten die Einwohner gegen ein Entgelt ersteigern. Oder: „Üwwermour um siw-wen, jenn op der nöer Schull dö Wissewäch verpächt.“ (Übermorgen um sieben werden auf der neuen Schule die Wiesenwege verpachtet) - Die mit Gras bewachsenen Wege in der Gemarkung wurden zum Abweiden verpachtet. Mit dem aneinander gekoppelten Vieh zog der Hirte dann durch die Wege. Oder: „Am Samstichjenn ömm zehn Ouer dö Luser für de Kiss für de Strouß ob dö Hol verdeelt onn dö Kiss versteijert Üss jedem Hous mooß eene kunn.“ (Am Samstag werden um zehn Uhr die Lose für den Kies für die Straße „Auf die Holl“ verteilt und der Kies versteigert. Aus jedem Haus muss einer kommen) — Eine bestimmte Menge Kies (je nach Größe des Haushalts) musste für die Gemeindewege und Straßen von den Familien kostenlos geliefert werden. Dafür wurde entlang der neu zu bauenden Straße ein bestimmter Bereich (Lose) abgesteckt. Außerdem konnte sich jeder noch ein Zubrot durch die Lieferung (Ersteigerung) von Kiesmengen verdienen, deren Ablagerungsstelle ebenfalls abgesteckt wurde. Die Kiessteine durften nur eine bestimmte Größe haben und mussten kantig sein. Etwa vom Acker eingesammelte runde Steine waren nicht gern gesehen. Der gelieferte Kies wurde „abgenom-men“, d.h. der Kies wurde in Menge und Qualität überprüft und dabei gab es oft Ärger. Eine Straßenbaufirma (Zettelmeyer) kam mit der Dampfwalze und befestigte den auf den Wegen ausgebreiteten Kies. Das Ausbreiten des Kieses wurde gegen Entgelt versteigert.
Oder, wenn ein Privatmann sein Auftraggeber war;
„Da Frings Christ hätt önn Koh moßen nuutschlachte, datt Fleesch jitt mor mettisch aaf drei Ouer dou verkooft, für eenmark-zwanzig ött Pond.“ (Der Frings Christian hat eine Kuh notschlachten müssen, das Fleisch wird morgen Mittag ab drei Uhr dort verkauft, für eine Mark und zwanzig das Pfund) So oder so ähnlich lauteten seine Bekanntmachungen. Die Einwohner wurden immer mit Hausnamen benannt, z. B. owe (oben) Leier und önne (unten) Leier (Leuer), oder owe und önne Mouer (Mauer-Leyendecker) usw., denn die Familiennamen gibt es oft mehrfach im Dorf. Dabei achtete er auch darauf, ob aus jedem Haus jemand seiner Bekanntmachung zuhörte. War das nicht der Fall, suchte er die Häuser auf oder in die etwas abgelegenen Häuser ging er mit seiner Schell direkt hinein und verlas dort die Bekanntmachung und das machte er sehr gewissenhaft, denn dann gab es von der Hausherrin oder dem Hausherrn noch einen Schnaps. Je nachdem, wie oft er einkehren musste, konnte es passieren, dass er nach seiner Runde mächtig Schlagseite hatte. Die Gemeinde Berndorf hat vor Jahren im Rahmen der Dorferneuerung den Kirchenvorplatz neu gestaltet und dort auf einer Mauer einen fast lebensgroßen „Schellenmann“ aufstellen lassen.
Der Schellemann hatte auch noch einen Nebenjob. Er war auch der „Feldschütz“, dessen Aufgabe es war, darüber zu wachen, dass in Feld und Flur alles rechtens vor sich ging. Durch Kontrollgänge überwachte er z. B., ob beim Viehhüten auch genügend Obacht gegeben wurde und das Vieh nicht auf fremden Nachbarwiesen weidete (Elek-trozäune gab es noch nicht), oder gar absichtlich auf fremde Weiden geführt wurde (stroppen), oder auch beim Auf- und Abtrieb zügig durch die verpachteten Feld- und Wiesenwege geführt wurde und dabei nicht etwa die verpachtete Grasfläche abweideten oder das Vieh beim Verbringen auf, oder von der Weide ordnungsgemäß (meist aneinander gekoppelt) getrieben wurde, jedenfalls durfte es nicht beim täglichen Auf- oder Abtrieb in Felder laufen und von diesen fressen, oder der Schäfer mit seiner Herde die gepachteten Weiden, meist Ödland, nicht verließ, oder der Zaun einer Pferche in Ordnung gehalten wurde, damit das Vieh nicht unverhofft in Rüben- oder Saatfelder einbrach, oder die Bauern beim Pflügen nichts dem Nachbarn abgruben, oder den Feldweg übermäßig verunreinigten. Etwaige Missachtungen endeten mit einer mündlichen Verwarnung oder auch gravierende Verstöße mit einem Verwarnungsgeld. Seit der Einführung des amtlichen Mitteilungsblattes ist der Schellemann wie so Vieles nun Geschichte.