Heimat und Literatur

Räucherfass, Pulverdampf und Schaffett

Florian Schulten, Gerolstein-Lissingen

In meiner Kinderzeit haben wir Jungen in Berndorf viel auf Höfen und Straßen gespielt. Ein sehr beliebtes Versteckspiel war „Räuber und Schandiz“. Die Räuber mussten sich verstecken und der Schandiz (Polizei) sollte diese suchen. Die Verstecke erstreckten sich meist auf die Hausecken und Areale in der Nachbarschaft. Ich hatte mich auf einem Grundstück in der Nachbarschaft unseres Hauses verborgen. Hier hatten „Renke“ einen Holzplatz. Dort waren landwirtschaftliche Geräte und das noch nicht gespaltene Brennholz gelagert. Außerdem stand dort noch eine ehemalige Militärbaracke, worin das fertige Brennholz aufgestapelt war. In eben dieser Baracke hatte ich mich beim Spiel versteckt. Als ich dort auf dem Holz gemütlich saß, entdeckte ich unter einer Dachsparre eine runde längliche Dose aus Pappkarton. Die Neugier trieb mich, ich musste wissen, was in dieser Dose war. Kleine grau-schwarze Perlchen, Pulver! Ich wusste, dass ich das Pulver nicht an mich nehmen durfte, aber ich konnte ihm auch nicht widerstehen. Natürlich musste ich das Pulver sehr gut verstecken, denn fast täglich wurden wir Kinder damals darauf aufmerksam gemacht, die Finger vom Wehrmachtsmaterial zu lassen, seitens unserer Eltern als auch in der Schule. Das waren auch die Jahre (1948-1952), als ich bei Berndorfer Bauern die Kühe hütete, eine Zeit lang zusammen mit meinem Freund „Thele Paul“ (Paul Schmitz†) mit seiner Ziege. Als ich ihm tags danach in der Schule von meinem Fund erzählte, konnten wir beide es kaum abwarten, bis wir am Nachmittag mit den Kühen zur Weide fahren konnten, denn mit dem Pulver wollten wir ein lustiges Feuerchen entzünden. Gesagt-getan! Mit Räucherfass und Holz zogen wir los zur Weide zwischen Berndorf und Walsdorf. Das Rauchfass musste stets dabei sein um Feuer zu haben, zum Rauchen, Suppe kochen und Kartoffeln braten. Das Rauchen war uns natürlich auch streng verboten, aber bei den Kühen war die Freiheit ja grenzenlos und es gehörte einfach zum Erwachsenwerden. Die Kühe waren verschwiegen wie eh und je. Paul hatte das Pulver zu einem kleinen Häufchen schön aufgeschichtet, als ich daneben das Räucherfass entleerte. Hierbei musste dann wohl ein Funke übergesprungen sein, als eine große Stichflamme Paul ganz schlimm getroffen hatte. Er war schwarz im Gesicht, die Haut fehlte teilweise und Haare hatte er auch nicht mehr. Er sah fürchterlich aus. Ein paar Tränchen hat er schon vergossen, aber sonst war er sehr tapfer. Was tun? Aus dem kleinen Rinnsal in der Nähe habe ich ihm das Gesicht abgewaschen, aber das war nicht gut und Paul hatte nach dem ersten Schreck doch starke Schmerzen. Nach Hause gehen wollten wir nicht, dazu hatten wir zu große Angst.
Hinter dem Friedhof in Berndorf stand von dieser Seite her das erste kleine Haus. Dort wohnten Kätchen und Michael Gehner, rechtschaffene, brave Leute. Zu Frau Gehner brachte ich Paul mit seiner Geiß. Frau Gehner wollte sich um den verletzten Paul bemühen, ich sollte wieder zu meinen Kühen gehen, sagte die gute Frau. Als ich am Abend mit meinen Kühen wieder ins Dorf kam, war die Tragödie schon Dorfgespräch und zu Hause folgte die Strafe auf dem Fuß und am anderen Tag auch in der Schule. Das alles war für mich harmlos, wenn ich daran dachte wie schlecht es Paul ging. Paul war nun sehr lädiert, sah furchtbar aus und durfte auch nicht zur Schule. Als Strafe musste ich jeden Tag nach dem Schulunterricht mit Paul den Lehrstoff durcharbeiten, was ich auch gerne gemacht habe. Aber besonders schlimm für mich war, dass Paul mehrmals täglich mit Schaffett eingerieben wurde. Das roch, nein das stank bestialisch. Mit dem Geruch hatte ich große Probleme. Immer wenn ich bei ihm die Haustür aufmachte erfasste mich regelrecht ein Brechreiz, es war fast unmöglich für mich, aber es musste durch gestanden werden, wurde es auch.
Nach einigen Wochen hatte Paul sich gut erholt, die Haare fingen wieder an zu sprießen, die Haut wurde wieder rosig und er durfte unter die Leute. Er hatte die Pulverei gut überstanden und keinerlei bleibende Schäden davongetragen.
Paul und ich sind weiterhin gute Freunde geblieben. Wir haben über Jahre zusammen die Messe gedient, zusammen Fußball gespielt von der Schülermannschaft bis zur l. Seniorenmannschaft des TuS Berndorf, hatten die gleiche Berufsausbildung und sind brauchbare IndustrieKaufleute geworden. Nachdem die Eltern von Paul verstorben waren, hat er die Eifel verlassen und ist in Köln beruflich tätig gewesen. Ab diesem Zeitpunkt habe ich ihn etwas aus den Augen verloren. Zuletzt habe ich Paul anlässlich unseres Klassentreffens im August 1999 gesehen. Er hatte sich verändert, war sehr still, und als wir auseinandergingen, hatten wir das Gefühl, Paul hätte sich für immer von uns verabschiedet. Im Januar 2001 ist Paul im Alter von 63 Jahren in Köln verstorben. Wir haben ihn im Kreise seiner Freunde, Schulkolleginnen und -kollegen im Grab seiner Eltern in Berndorf beigesetzt.