Will Schirp

– Berndorfs vergessener Dichter

Hans-Gregor Adrian, Lohmar-Heide

Der Wille

Die Frau ist offenbar gelähmt, die da in ihrem Rollstuhl - irgendwann in den 30er-Jahren - durch Berndorf ruckelt und nach einem Dichter sucht, den wahrscheinlich viele Berndor-fer selbst nicht kennen. Die Frau stammt aus Nienburg/S., hat Hab und Gut und Eltern in den Wirren des 1. Weltkrieges verloren, ist schwer erkrankt und trägt sich mit Selbstmordgedanken, als ihr der Arzt eine Gedichtpostkarte überreicht, mit der Absicht, sie etwas aufzumuntern. Die Karte zeigt Wirkung. Emmy Pape, so heißt die Frau, fühlt sich verstanden und angezogen von dem unbekannten Versedichter und beschließt, ihn zu suchen. Auf ihrem Selbstfahrer, der „durch die eigenen Hände fortbewegt wird“, gelangt sie nach mehreren Tagen Fahrt in Berndorf an und findet den verehrten Dichter schwerkrank in seiner kleinen Wohnung.

 

Dichterleben in Berndorf

Der Dichter Wilhelm (Will) Schirp war in den 30er-Jahrendesvergangene Jahrhunderts mit Ehefrau und Sohn Helmut nach Berndorf gekommen und hatte eine kleine Wohnung an Backes Eck bezogen. Er stammte aus Wuppertal und hatte in Köln gelebt, bevor es ihn nach Berndorf verschlagen hatte. Dort lebte er mehr schlecht als recht von seiner Dichtkunst und war schwer erkrankt und fast taub, als Emmy Pape in ihrem Rollstuhl eintraf. In den Aufzeichnungen von Frau Pape tauchen Ehefrau und Sohn allerdings nicht auf, ältere Berndorfer sind sich jedoch sicher, dass der Dichter mit Ehefrau und „Mu-se“ zusammenlebte! Wie dem auch sei, Emmy und Will verstehen sich auf Anhieb und Emmy beschließt zu bleiben! Will Schirp erholt sich von seiner Krankheit und beginnt wieder zu schreiben.

und Sohn allerdings nicht auf, ältere Berndorfer sind sich jedoch sicher, dass der Dichter mit Ehefrau und „Mu-se“ zusammenlebte! Wie dem auch sei, Emmy und Will verstehen sich auf Anhieb und Emmy beschließt zu bleiben! Will Schirp erholt sich von seiner Krankheit und beginnt wieder zu schreiben.

Die Phantasie, sie rührt sich
recht
Doch zahlt die Wirklichkeit
oft schlecht1)

Er verfasst hauptsächlich kleine Gedichte, gereimte Zweizeiler, Sinnsprüche, Lebensweisheiten, die auf Postkarten gedruckt und an interessierte Kunden verschickt werden. Gefallen die Sprüche, so behält man sie und schickt dem Dichter das Geld, wenn nicht, schickt man die Karten zurück. Die Kinder des Berndorfer Posthalters und die Nachbarskinder schleppen in diesen Jahren so manchen Postsack zwischen Schirps kleiner Wohnung und der Poststelle, die damals Leyendecker, Anna und Leyendecker, Mathias innehatten (besser bekannt als: Schmette Ann und Schmette Ühm).2 Emmy Pape übernimmt die Schreibarbeiten, verschickt die Karten und gründet sogar einen eigenen Verlag:
Verlag Emmy Pa Pape, Berndorf-Gerolstein/Eifel

Spurensuche

Ein erster Hinweis auf die Existenz dieses Schriftstellers in Berndorf kam von Emil Schmitz, eins der ehemaligen Nachbarskinder, die beim Schleppen der Postsäcke halfen. Eine Recherche in den einschlägigen germanistischen Nachschlagewerken

führte zu folgenden Ergebnissen:

In: Kosch‘s Wilhelm Deutschem Literaturlexikon findet sich folgender Eintrag:

Schirp, Wilhelm (Will), * 10.12.1874 Wuppertal, † 04.10.1952 Waith/Obb.; lebte in Köln, dann in Berndorf b. Gerolstein/Eifel, Bühl über Tiengen/Hochrh., zuletzt in Waith, Lyriker. Schriften: Des Lebens Oben und Unten (Ged., Hg. Emmy Pape) 1936; Gezirp (Ged., Hg. dies.)1939.

Und im Nekrolog zu Kürschners Literaturkalender steht:

Pape, Emmy (Ps. Emmy Pa Pape) * Nienburg/S. 15.V.1887, † Waith/Obb. 26. II 1952; Roman, Skizze, Spruchweisheit H: Des Lebens Oben und Unten. Aphorism. v. Will Schirp 35; Nimm mich mit. Aphorism. v. Will Schirp 38

Ein wenig erfolgreicher war da schon die Suche in verschiedenen Internetantiquariaten. Tatsächlich ließen sich noch ein paar kleine Bändchen von Will Schirp auftreiben, sogar eine kleine Sammlung von Spruchpostkarten fand sich in einem süddeutschen Antiquariat. Doch damit sind die Informationsquellen erschöpft! Glücklicherweise findet sich in: „Des Lebens Oben und Un-ten“ ein Vorwort von Emmy Pape, in dem sie ausführlicher auf ihr eigenes Leben und das Zusammentreffen mit Will Schirp eingeht:

„. . . Bin dann bis zur fernen Eifel gefahren in meinem Selbstfahrer . . . und lande endlich bei Will Schirp, mittendrin im Dichterlande! „. . . Und ich durfte nicht wieder fort . . . Stand doch ein an Leib und Seele völlig Gebrochener vor mir, der meiner Hilfe teilhaftig werden musste, wollte ich ihn nicht in Kürze dahinsterben lassen. Nach bestem Wissen setzte sofort meine Pflege ein, und in den übrigen Stunden erledigte ich schriftliche Arbeiten aller Art. Dann fing ich mit dem Kartenversand an. In alle Welt hinaus schickte ich Will Schirps Karten. Und Sie leben von den Einkünften, die sich mit dem Versand von Spruchpostkarten erzielen lassen. (Auch Karl Knauft, ebenfalls ein in Berndorf lebender Dichter, bestritt seinen Lebensunterhalt mit dem Versand solcher Karten. Ob die beiden sich kannten, was angesichts ihres Berufes und ihrer Lebenssituation nahe liegt, war ebenso wenig zu ermitteln wie beider Motivation, sich im kleinen Berndorf niederzulassen, um schriftstellerisch tätig zu werden). Allerdings war die Eifel durch die Tätigkeit des Eifelvereins bekannt und Arbeitskräfte und Wohnraum noch preiswert zu haben. So beschäftigte Will Schirp mehrere „freiberufliche Mitarbeiter“ aus Berndorf), die ihm bei seiner umfangreichen Post halfen. (Adressenschreiben!)3

Veröffentlichungen

Aus den o.g. Quellen lässt sich eine vorläufige Liste der literarischen Produktion von Will Schirp erschließen: Auf Wunsch der Leser „. . . und viele viele baten wiederholt, ich möchte einmal mehr als Karten, ein Büchelchen mit seinen Gedichten sen-den,“ und offenbar ohne Wissen Will Schirps gibt Emmy Pape im Jahre 1936 ein erstes Bändchen Gedichte heraus, mit dem Titel:
„Des Lebens oben und unten. Gedichte, Faksimile

Zwei Jahre später folgt das
Bändchen:
Nimm mich mit. Aphorismen
von Will Schirp. 1938

Ein weiteres folgt 1939, nun wohnen sie schon – nach einem kürzeren Aufenthalt in Tiengen, Hochrh. - in Waidt/ Bruckmühl bei Rosenheim:

Schirp, Will: Gezirp

Wo dir das Leben begegnet,
pflücks!
Sonst packt es Dich hämisch
hinterrücks!

Es handelt sich um eine Sammlung von ca. 700 Zweizeilern, zu der Emmy Pape das Vorwort schreibt, das vor Ehrenbezeugungen an den Führer nur so strotzt: „Die Weltgeschichte rollt. Rollen wir mit! Wir vertrauen dem Führer!“ (S. 8) Offenbar hat Will Schirp Erfolg mit seinen Zweizeilern, denn schon im Dezember 1939 erscheint die 3. Auflage.
„Wie sehr es unseren Braven an der Front Freude bereitet, das erkenne ich an der großen Anzahl von Zuschriften, die dem Dichter von dort ins Haus flogen.“ (S. 9)


Dann erscheint noch ein Gedichtband
„Verstimmte Leyer“. Gedichte, von dem ein Exemplar im Salomon Ludwig SteinheimInstitut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen vorhanden ist. E. Pape veröffentlicht unter ihrem eigenen Namen 1942 ein Bändchen Lebensweisheiten mit dem Titel „Sparen und Vorsorgen in Sprichwort und Sinnspruch“, in dem sie solche Weisheiten von Goethe, Schiller, Rückert u.a. und vor allem natürlich von Will Schirp zitiert! Außerdem scheint sie an einem Roman gearbeitet zu haben, über den aber nichts weiter bekannt ist. Danach verliert sich ihre Spur und über Emmy Pape ist nichts mehr in Erfahrung zu bringen. Möglich ist, dass sie – aufgrund ihrer Parteinahme für die Nationalsozialisten – nach dem Krieg mit Publikationsverbot belegt wurde? Will Schirp selbst gibt 1946 - noch unter der Kontrolle der Alliierten – zwei weitere Bändchen Zweizeiler
„Ausfälle“ (46 S.) sowie „Einfälle“ (48 S.) im Weltweiten Verlag, Wien, Gmunden, Zürich, New York
heraus, und zwar im Verlag eines deutschen Anarchisten und erklärten Hitlergegners: Kurt Zube. Wie diese Verbindung zustande kam, lässt sich noch nicht erklären, vielleicht gibt der Nachlass von Kurt Zube hierzu Auskunft, der leider aber noch nicht erschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht ist. Will Schirp stirbt am 4. Okt. 1952 in Waith bei Rosenheim in Oberbayern, Emmy Pape war schon am 26. Feb. 1952 verstorben.
Schirps Sohn Helmut soll als Kriegsfreiwilliger schon in den ersten Tagen des 2. Weltkrieges gefallen sein? Über das Schicksal von Schirps Ehefrau ist nichts bekannt. Vielleicht erinnern sich die älteren Berndorfer noch an den unbekannten Dichter, der ein paar Jahre in Berndorf zu Hause war oder schmökern gelegentlich sogar noch in einem seiner kleinen Gedicht-bändchen?

Literaturverzeichnis

Kosch, Wilhelm: Deutsches Literaturlexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, Bern München 1966 ff. Nekrolog zu Kürschners Literaturkalender 1901-1935. (Hrsg.) G. Lüdtke, Berlin, 1936
Schirp, Will: Des Lebens oben und unten. Hrsg. v. Emmy Pa Pape. Schrift gezeichnet von Otto Pieper. Verlag Emmy Pa Pape, Berndorf - Gerolstein/Eifel Ders.: Gezirp. Hrsg. v. Schriftstellerin Emmy Pa Pape, Waidt/Bruckmühl, Obb. 1939
Ders. Einfälle. Der Weltweite Verlag. Wien-Gmunden-Zürich-New York. 1946
1) Einfälle S. 32
2) Frdl. Mitteilung Paul Schulten
3) Hinweis von Alfred Becker und Hans Leyendecker