Es schneit nie in San Francisco

Aus Bergen und Wäldern mit tiefem Schnee
verschlug es die beiden nach Übersee,
in der Heimat fehlte das Brot.
Mit vielen anderen zogen sie aus,
sie fanden bald Arbeit und ein Zuhaus,
wär nicht des Heimwehs schmerzliche Not.

Der Herbst kam, die Winter- und Weihnachtszeit.
„Nein, in San Francisco hat es noch nie geschneit,“
spricht ein Nachbar, als er ihn fragt.
Der Heimat so fern und zur Weihnacht kein Schnee,
der Gedanke tut fast körperlich weh,
und sein Gemüt ist ganz verzagt.

„Heiligabend“, noch eine Kleinigkeit für seine Frau,
was er sucht, weiß er selber nicht genau,
und das Heimweh geht immer mit.
Endlose Straßen, doch wie er auch schaut,
das Licht ist zu hell und die Freude zu laut,
doch dann verhält er plötzlich den Schritt;

Was er da sieht, das lässt ihn nicht mehr los,
eine Schneekugel im Fenster, handtellergroß,
der Boden mit Schnee bedeckt.
Vor einem Langholzwagen ein Pferdegespann,
er schaut es wie verzaubert an,
und seine Erinnerung ist geweckt.

Seine Rückepferde, auch sie ließ er zurück,
sein Broterwerb, seine Freunde, sein Glück,
sie scheinen ihm plötzlich ganz nah.
Und er weiß, wie lange es auch sei,
an der Heimkehr führt kein Weg vorbei
aber noch ist die Zeit nicht da.

Ganz verschämt denkt er mit einem Mal:
„Eine Schneekugel, das ist doch sentimental.“
Doch was kümmern ihn fremde Leut.
Mit betontem Gleichmut geht er hinein:
„Der Briefbeschwerer, der müsste es sein.“
Ob seine Frau sich wohl auch so freut?

Daheim brennen die Kerzen, es ist weihnachtlich,
er dreht die Kugel und stellt sie auf den Tisch.
Seine Frau sieht und versteht im Nu.
Lustig wirbelt der Schnee und fällt sodann
herab auf das kleine Pferdegespann
und die beiden sehen andächtig zu.

Aus dem Radio klingt das gleiche Lied,
das in ferner Heimat durch die Stille zieht
unter dem gleichen Himmelszelt.
Sie planen und träumen vom Weg zurück
erfüllt von Frieden und stillem Glück,
Weihnacht in ihrer kleinen Welt.

Verträumt lächelnd sagt er nach ein´ger Zeit:
„Heut hat es doch in San Francisco geschneit!“

Thekla Heinzen, Feusdorf