Notbremse ist kein Fenstergriff

Der unvergessliche Schulausflug

Gertrud Knobloch, Berg

Endlich war es soweit! Lange genug hatten wir Landkinder darauf gewartet, wieder einmal etwas zu erleben, denn wohin kamen wir schon um 1940? Fernsehen war uns noch nicht vergönnt und nur vereinzelte Schüler aus der Klasse hatten daheim einen Radioapparat. So konnten wir uns auf Schulausflüge noch richtig freuen, selbst wenn wir an den unvermeidlichen Aufsatz über unsere Erlebnisse dachten, der hinterher zu schreiben war. Diesmal ging es mit der dampfenden Eisenbahn in ein wirklich schönes grünes Flusstal, das ich noch nicht kannte und das mich darum besonders interessierte. Aber in den Fenstern der Abteile hingen schon meine Mitschülerinnen und Mitschüler über einander. Und da ich selbst nicht allzu groß geraten war, aber auch gern etwas sehen wollte, gelang mir das ganz und gar nicht.

Das Fenster war schon offen und so täuschte mich der rote Griff darüber, den ich auch nur flüchtig in Augenschein nahm, doch sehr über seine Funktion, den zugehörenden Text las ich gar nicht. Vielmehr stieg ich auf die Holzbank - solche Bänke gehörten damals noch in die dritte Klasse für die einfachen Leute, die es inzwischen nicht mehr gibt bei der Bahn - und griff zum Festhalten nach dem Griff.

O weh, der Griff gab nach! Da ich mit meinem ganzen Gewicht daran hing, war es gar nicht so schwer, ihn herunterzubringen und erst jetzt, nach dem der Zug immer langsamer wurde, stellte ich mit Entsetzen fest, dass ich die Notbremse gezogen hatte! Es ruckte und quietschte und draußen kamen schon aufgeregte Bahnangestellte gelaufen, Schaffner und Lockführer hinterher, um zu sehen, was denn passiert sei.

Ich fiel zusammen wie ein Häufchen Elend. Gottseidank sprang der Lehrer gleich für mich ein, nachdem er mich befragt und ich ihm meinen Irrtum gestanden hatte. Meine Mitschüler sahen mich mit erstaunten Blicken an, da sie eine derartige Missetat am wenigsten von mir, einem ansonsten eher zu braven Kind, erwartet hätten. Lehrer und Bahnpersonal diskutierten miteinander, doch das letztere glaubte ebenfalls unbesehen, dass es sich hier nicht um einen schlechten Streich, der zu ahnden gewesen wäre, gehandelt hatte. Trotzdem verwarnten sie mich, sagten mir auch, dass so etwas im Missbrauchsfalle mit einer größeren Geldsumme geahndet würde, von der sie aber in meinem Falle absehen wollten. Sie lösten die Bremse und der Zug fuhr wieder weiter. Doch er blieb mir in jeder Hinsicht unvergesslich, dieser aufregende Schulausflug!