Domkapellmeister

Dr. Johannes Klassen, Wallenborn

Dr. med. Dr. phil. Franz-Josef Klassen, Bonn

„Bei Hanni haben wir das so gelernt!“ In diesem vielleicht etwas saloppen Zitat steckt eine gehörige Portion Anerkennung und Verehrung, so wie es der Trierer Dompropst Prälat Werner Rössel in seinem Leitwort zum Memorial „Magnificat anima mea Do-minum“ anlässlich des 50. Todestages von Domkapellmeister Dr. Johannes Klassen formulierte.
Am 23. Dezember 2007 jährte sich der 50. Todestag des Trierer Domkapellmeisters, der von 1943 bis 1957 den Domchor geleitet und die Dommusik in Trier geprägt hat. Wenn auch Dompropst Rössel Domkapellmeister Dr. Johannes Klassen zeitlebens nicht persönlich begegnet ist, haben doch „die vielen Hinweise aus seinen Studenten- und Sängerkreisen (in ihm) das Bild einer Institution der Dommusik geprägt. Mit einem reichen Fundus an Kompositionen und vor allem seine betont triererischen Note, die der Domliturgie in ihrer Tradition und Unverwechselbarkeit folgt, ist er auch für heute ein großer Gewinn“.1 Wer war Johannes Klassen, dass die Hohe Domkirche zu Trier und der Domchor seiner bei einer Festmesse im Trierer Dom mit einem anschließenden Memento am Grab auf dem Domfriedhof und bei einer Begegnung im Romanischen Saal des Domes 50 Jahre nach seinem Tod im Dezember 2007 gedachten? Johannes Klassen, geboren am 21.12.1904 im kleinen Eifeldorf Wallenborn, im heutigen Vulkankreis Daun, als zweiter von drei Söhnen, entstammte einer katholischen Lehrerfamilie. Die Vorbereitung für das Gymnasium erfolgte durch den Heimatpfarrer, eifrig unterstützt von Vater und Mutter, ähnlich wie bei seinem älteren Bruder Peter, dem späteren Chefarzt des Bonner Brüderkrankenhauses und des Krankenhauses St. Elisabeth in Bonn. Nach dem Abitur am Friedrich-WilhelmGymnasium in Trier und dem theologischen Studium wurde Johannes Klassen am 05. April 1930 in Trier zum Priester geweiht und wirkte anschließend als Kaplan in Hülzweiler/Saar, wo er den dortigen Kirchenchor schon zu beeindruckenden Leistungen führen konnte. Immerhin finden wir schon auf seinem Abiturzeugnis den Vermerk: „Eignet sich als Chorleiter“.
Nach zweijähriger Seelsorgetätigkeit als Kaplan in Hülzweiler beurlaubte Bischof Dr. Bornewasser Johannes Klassen zum Studium an der Musikhochschule Köln, an der er von August 1932 bis März 1935 unter den Professoren Mölders, Abendroth, Lema-cher und Bachem studierte. Wegen Nichterwiderung des Hitlergrußes wurde er am 01.03.1935 nach einem Streit mit Professor Bachem von der Musikhochschule verwiesen2. Daraufhin setzte Klassen sein Musikstudium an der Musikhochschule in München fort und legte am 24.06.1939 das Kapellmeisterexamen ab. Hier entstanden auch seine ersten kompositorischen Arbeiten, u.a. die vier- bis sechsstimmige Motette ‚Justorum ani-mae’. Bischof Dr. Bornewasser hatte schon während des Studiums Johannes Klassen 1934 die Leitung des Domchores übertragen und ihn zum Domkapellmeister ernannt. 1938 beurlaubte Bischof Dr. Bornewasser seinen Domkapellmeister abermals zur Ablegung des Staatsexamens als Kapellmeister und um ihm auch die Möglichkeit zu geben, die wissenschaftlichen und musikalischen Studien an der Universität Bonn fortzusetzen. Diese Studien endeten mit kriegsbedingter Unterbrechung mit der Promotion zum Dr. phil. 1950 im Fach Musik. In den Nebenfächern studierte Klassen Philosophie und Kunstwissenschaft. Von seinem Bischof wurde er zusätzlich mit Aufgaben betraut, die praktisch das gesamte Musikprogramm der Trierer Kirche beinhalteten: Die Tätigkeit als Gesangslehrer im Priesterseminar, Musikdozent an der Theologischen Fakultät, Erster Gesangslehrer an der Kirchenmusikschule, Fachberater für Kirchenmusik, Orgel-und Glockensachverständiger innerhalb des Bistums u.a. Besondere Erwähnung verdient aber auch, dass das Geläut der Hohen Domkirche zu Trier, das aus zehn Glocken besteht, 1951 als Ersatz für das im Zweiten Weltkrieg zerstörte historische sechsstimmige Geläut nach dem Dispositionsvorschlag des Domkapellmeisters Dr. Johannes Klassen gegossen wurde. Das Trierer Domgeläut stellt mit einem Gesamtgewicht von 24.748 kg bis heute wohl eines der größten nach dem Krieg von einem deutschen Glockengießer (Glockengießerei Otto in Bremen) gefertigte Geläut dar.
Zu den besonderen Leistungen von Johannes Klassen zählte auch die 1941 erfolgte Eingliederung des privat gegründeten Damenchores in den Domchor, womit das erste Mal weibliche Stimmen im Domchor geduldet wurden (Bereths). Hierdurch wurden für die Oberstimmen des Chores eine größere Stabilität und Flexibilität erreicht und gewährleistet. Aus den Mitgliedern des Domchores gründete Klassen einen kleinen, den so genannten Konzertchor, mit dem er im In- und Ausland sowie in Rundfunkübertragungen glänzende Aufführungen gestaltete. Klassen vereinigte so fortan in einem Ensemble sowohl Männerstimmen als auch Frauen-, Mädchen- und Knabenstimmen. „Dies gab dem Chor nun ein reichhaltiges Gepräge und einen erweiterten Klang. Unterschiedliche Stimmenregister wurden vereinigt und stimmlich sowie interpre-tatorisch geschult“.
(Fischbach)3
In den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erreichte der Trierer Domchor auch zahlenmäßig neben den heranwachsenden jüngeren Knaben und Mädchen, die in der Domsingschule sich noch in der Erziehung zu Chorsängern befanden, eine Sängerinnen-und Sängerzahl bis zu 130 Mitgliedern. Rundfunkgottesdienste, Chormusiksendungen, Konzerte im In- und Ausland reihten sich neben den sonntäglichen Kathedralgottesdiensten in das Musikprogramm des Domchores ein.
Auf Grund der extrem knapp bemessenen Zeit bei seinen Aufgaben als Kirchenmusiker und Priester war es ihm nur gelegentlich möglich, kompositorische Vorhaben zu realisieren. (Fischbach) Die erste Konzertreise ins Ausland führte den Chor im November 1952 nach Luxemburg, wo der Chor mit Johannes Klassen eine überwältigende Würdigung fand. Klassen hatte seinen Sängern ein Merkblatt gegeben, in dem es hieß: „Die Reise führt den Chor zum ersten Mal ins Ausland. Wir werden nicht nur unter künstlerischer Beobachtung stehen, sondern auch unter einer besonderen menschlichen Beobachtung, zumal wir beim Konzert auch selbst in ein Gebiet kommen, das vor allem seelisch in den Kriegsjahren leiden musste. Es wurden dort mehrere Bürger von der deutschen Gerichtsbarkeit zum Tode verurteilt und erschossen. Das Haus, in dem wir konzertieren, ist den Toten geweiht. Aus all dem ergibt sich für uns die Pflicht, in unserem Benehmen jede Ausgelassenheit zu ver-meiden.“ Im „Luxemburger Wort“ liest man nach dem Konzert: „War das ein seliges Geben und Nehmen! Auf der einen Seite der jugendfrische Domchor von Trier mit Domkapellmeister Dr. Johannes Klassen und Domorganist Paul Schuh, auf der anderen Seite eine aufgeschlossene, hörfreudige, den geräumigen Saal füllende Menge, die aus einem freudigen Staunen nur so ins andere fiel und deren begeisterter Beifall mitunter zu lang anhaltenden Ovationen anwuchs.“… Das Programm war in geistliche und Unterhaltungsmusik geteilt. An geistlichen Chören sang der Domchor u.a. „Justus ut Palma“ (mit Sopransolo) von J.D. Hilber und „Salve Re-gina“ von Fr. Schubert. Zur Unterhaltungsmusik bot der Domchor u.a. von O. Jochum „Dreiklang“ (dreistimmiger Frauenchor) und „Der Fluss“ (vierstimmiger Männerchor) sowie von Joh. Haydn „Die Beredsamkeit“. 1953 errang Johannes Klassen mit seinem Chor beim Chorwettbewerb in Arezzo drei Auszeichnungen in unterschiedlichen Kategorien: Der Oberchor erhielt für seine Vorträge in der entsprechenden Kategorie den ersten Preis, den dritten Preis die Männerbesetzung und den zweiten Preis der gesamte Gemischte Chor. Anlässlich dieser Auslandsreise folgte der Chor auch einer Einladung von Papst Pius XII., bei der er in der Audienz nach der sechsstimmigen Motette „Tu es Petrus“ von Pales-trina auf den besonderen Wunsch des Heiligen Vaters, der vor seiner Papstwahl als Nuntius in München und Berlin gewirkt hatte und der dem deutschen Liedgut sich besonders aufgeschlossen zeigte, deutsche Volkslieder vortrug. Pius XII., der besonders von den Damenstimmen begeistert war, meinte wegen der schwarz gelockten Haare einiger Sängerinnen, es seien auch Römerinnen im Chor. Doch Klassen antwortete mit einem verschmitzten Lächeln: „Eure Heiligkeit, dies sind die letzten, die von den Römern in Trier übrig geblieben sind.“ Schlagfertigkeit, Witz und Heiterkeit gehörten zur Persönlichkeit von Johannes Klassen.
Weitere Konzertreisen führten den Domchor 1956 u.a. nach Metz und 1957 zur Ringtagung (17.06.1957) des Ringes Katholischer Deutscher Burschenschaften nach Bonn. (siehe bei Bereths) Johannes Klassen, der wie sein älterer Bruder und seine Neffen Mitglied der Katholischen Deutschen Burschenschaft Sigfridia zu Bonn im RKDB war, hatte während seiner Studienzeit in Bonn die Kontakte zu seiner Korporation gepflegt, so dass es für seine Bundesbrüder eine hohe Auszeichnung war, dass er mit seinem Chor bei dem großen Fest der Ringtagung 1956 die liturgische Gestaltung des Pontifikalamtes und die Gestaltung der Festakademie übernommen hatte. Beim feierlichen Pontifikalamt im Bonner Münster sang der Chor die sechsstimmige Pales-trina-Messe „Assumpta est Maria“ und die Motette „Tu es Petrus“ vom gleichen Komponisten. An der Münster-Orgel wirkte der Trierer Domorganist Bundesbruder Paul Schuh, ebenfalls Bonner Sig-fride. Bundesbruder Johannes Klassen gestaltete mit seinem Domchor dann auch die anschließende Festakademie im Bonner Stadttheater, bei der der Dichter Stephan Andres die Festrede zum Thema hielt: „Der Mensch in den Dämonien dieser Zeit“. Der Domchor sang die Gedenksprüche von Johann Brahms „Unsere Väter hoffen auf Dich“ achtstimmig und „Wo ist denn so ein herrlich Volk?“. Zum Abschluss der Feier hatte Domorganist Schuh das RingVerbandslied „Nun lasset erschallen vom Ring das Lied“ in Kantatenform mit Orchester gesetzt, dessen Strophen vom Domchor (mehrstimmig) und von den anwesenden Korporationen (einstimmig) gesungen wurde. Auch bei dem Ringtag 1956 wurden Johannes Klassen, dem Domchor und seinem Domorganisten Bundesbruder Schuh hohe Anerkennung zu teil. Leider waren es in den folgenden Jahren Erkrankungen, die es Johannes Klassen unmöglich machten, öfter bei Sigfridia zu erscheinen, doch nahm er von Trier aus Anteil am Korporationsleben seiner Burschenschaft. Mit 53 Jahren verstarb Domkapellmeister Dr. Johannes Klassen „in der Blüte seiner künstlerischen Schaffens-kraft“ (Fischbach) kurz vor Weihnachten 1957. Für den von ihm dynamisch und meisterlich geführten Domchor eine Katastrophe – im Allgemeinen und im Besonderen: die Chormusik für das bevorstehende Weihnachtsfest hatte er mit dem Chor schon in intensivster Vorbereitung! Klaus Fischbach3, wie Johannes Klassen aus Wallen-born stammend und einer der Nachfolger im Amt des Domkapellmeisters (1973 bis 2000), hat in seinem Beitrag „Magnificat anima mea Do-minum“ anlässlich des 50. Todestages von Johannes Klassen dargelegt, welch enge Bindung Johannes Klassen zu seiner Eifelheimat, insbesondere zu seinem Heimatort Wallenborn, hatte. Er schreibt: „Fast schien es im verflossenen Jahrhundert, dass ein Versprechen gegeben sei, in unablässiger Reihenfolge Kirchenmusiker auf den Weg zu bringen. So folgten auf Johannes Klassen in fast regelmäßigen Abständen vier weitere hauptamtliche Kirchenmusiker aus dem kleinen Vulkanort mit dem wallenden Born. Nicht nur, dass in unablässiger Reihenfolge Kirchenmusiker auf den Weg gebracht wurden, aus den unterschiedlichsten Gründen war es auch eine stolze und jeweils aufregende Verpflichtung, bei Schanz Johann – so der wörtliche elterliche Auftrag! - auch gelegentlich privat vorzusprechen! Oft war dies damit verbunden, nicht nur heimatliche Grüße, sondern auch Eifeler Güter und Leibspeisen mit in die Predigerstraße, wo Johannes Klassen wohnte, zu nehmen.“ Die von Johannes Klassen stets mit hintergründigem Schalk und feinem Humor verbundenen Vorlesungsund Übungsstunden in den Ausbildungsfächern der Chorerziehung und Chorleitung, der Stimmbildung (nach Anton Schiegg) und des Gregorianischen Choralgesanges wie auch auf dem weiten Feld der Musikgeschichte, gestalteten sich jeweils zu höchst interessanten und „befeuernden“ (wie Klassen gerne formulierte) Erlebnissen, so schreibt Professor Dr. phil. Dr. theol. Prälat Franz Ronig4 in seinem Beitrag im „Memorial“: „…die an die heitere, aber doch ernst gemeinte Meinung des Domkapellmeisters erinnert, wenn das Vorsingen der Sänger schlecht ausfiel; „Sie sind reif fürs Domkapitel!“ oder „wenn das so weitergeht, dann wird der Dompropst beim nächsten Pontifikalamt mit dem Quetschbeutel aufziehen!“ Die Verbindung zu seinem Geburtsort Wallenborn, wie schon erwähnt, war für Johannes Klassen bis zu seinem Lebensende eine Selbstverständlichkeit. Häufig weilte er mit seinem Domchor zu Konzerten und kirchenmusikalischen Veranstaltungen in dem kleinen Eifelort, und er scheute sich auch nicht, selbst bei kleinsten, festlichen Anlässen mit seinem Chor dort zu musizieren. Ausdruck der Verbundenheit zu seinem Heimatort Wal-lenborn sind u.a. auch zwei Kompositionen für Frauenchor sowie drei weltliche Lieder aus Texten aus dem heiteren Herbarium von Karl Heinrich Waggerl für drei gleiche Stimmen und eine holländische Fantasie für Blasorchester, die dem heimatlichen Musikverein zugeeignet sind.
In außergewöhnlicher und persönlicher Bescheidenheit diente Johannes Klassen dem Motto seines Singschulun-terrichtswerkes: „Zu Ehren Gottes, zur Erbauung der Gläubigen und zur eigenen Freude.“
Stephan Rommelspacher5, der am 01. Oktober 2000 das Amt des Domkapellmeisters in Trier antrat, schreibt in seinem Aufsatz ‚Bewahren und erneuern’ (Memorial Dr. Johannes Klassen): „Man tut den sicher ebenfalls verdienstvollen Domkapellmeistern Paul Schuh (1958 bis 1969) und Rudolf Heinemann (1969 bis 1971) nicht Unrecht mit der Feststellung, dass es in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zuvorderst die beiden Wal-lenborner Johannes Klassen und Klaus Fischbach waren, die den Chor in zwei langen Amtszeiten (Klassen 23 Jahre, Fischbach 27 Jahre) kontinuierlich vorangebracht und dauerhaft in der Spitzengruppe der Erwachsenenchöre unter den deutschen Domchören etabliert haben. Dankbar erinnern wir uns 50 Jahre nach Johannes Klassens viel zu frühem Tod an sein für den Trierer Dom und vor allem für den Domchor so verdienstvolles Lebenswerk. …“ Auch er trifft die Feststellung, dass Dr. Johannes Klassen auch 50 Jahre nach seinem Tod unvergessen ist.

Anmerkungen:

1 Rössel, Werner, Dompropst in Memorial Dr. Johannes Klassen „Magnificat anima mea Dominum“, Bonn 2007
2 Becker, Dr. Tim in Memorial Dr. Johannes Klassen „Magnificat anima mea Dominum”, Bonn 2007
3 Fischbach, Prof. Klaus, Domkapellmeister a.D. in Memorial Dr. Johannes Klassen „Magnificat anima mea Domi-num“, Bonn 2007
4 Ronig, Franz, Prof. Dr. phil. Dr. theol. h.c., Domkapitular e.m. Domkustos
Prälat in Memorial Dr. Johannes Klassen „Magnificat anima mea Domi-num”, Bonn 2007
5 Rommelspacher, Stephan, Domkapellmeister in Memorial Dr. Johannes Klassen „Magnificat anima mea Domi-num“, Bonn 2007 (Bewahren und Erneuern – Die Dommusik Trier am Beginn des 21. Jahrhunderts)

Siehe hierzu auch Literatur u.a. bei: Bereths, Gustav, „Beiträge zur Geschichte der Trierer Dommusik“ in Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte, Verlag B. Schott’s Söhne, Mainz 1974 Klassen, Dr. med. Dr. phil. Franz-Josef, „Magnificat anima mea Dominum“, Memorial zum 50. Todestag von Domkapellmeister Dr. Johannes Klassen, Bonn 2007,
Verlag Carthaus
Kurtrierisches Jahrbuch, 47. Jahrgang 2007, Herausgeber: Stadtbibliothek Trier