Unser Taufkleid -
Ein Familienschätzchen

Gretel Körner - te Reh, Ahlen

Unser Taufkleid ist wirklich ein Familienschätzchen, wurde doch im letzten Jahr der elfte Täufling in der dritten Generation in ein und demselben Kleidchen getauft. Im Sommer 1944 schickte meine Großmutter aus Salm ihre Hausangestellte Gerta nach Trier zum Kauf eines geeigneten Stoffes für das Taufkleid ihrer ersten Enkeltochter. Ich sollte bereits sonntags nach meiner Geburt, fünf Tage alt, eilig getauft werden, damit kein Heidenkind in der Familie lebte. Bei den Katholiken war es damals Brauch, das neugeborene Kind bis zur Taufe jeden Morgen mit Weihwasser zu besprengen. Das Neugeborene war mancherlei Gefahren ausgesetzt, vor denen man es schützen musste. Besonders gefürchtet war der „böse Blick“, der nach dem Volksglauben den Kindern schadete, so dass man keine fremden Leute an das Kind heranließ (siehe Kupferdreher Hefte, Arbeitskreis Heimatkunde, Altes Brauchtum und Kultur in den letzten 200 Jahren). Gerta besorgte also einen weißen, feinen Musselin-Stoff samt Blumen-Bouquet von Lambert und Söhne. Den Stoff verarbeitete unsere Nachbarin Schneis Kätt, eine Schneiderin, zu einem für die damalige Zeit aufwendigen, hübschen Kleidungsstück, bestickte es mit rosafarbenen Rosen und grünen Blättern, verzierte es mit einer winzigen Spitzenpasse im Brustbereich und am Halsausschnitt. In gleicher Weise gestaltete sie ein Mützchen, eher ein Häubchen, alles groß genug, um bei einem unvorhergesehenen Kälteeinbruch dicke Strampelhosen, selbstgestrickte Jäckchen und Wollmützen unterzuziehen. Hätte Schneis Kätt gewusst, dass weitere Täuflinge noch größer und schwerer als ich mit 7 1/2 Pfund in dem von ihr genähten Prunkstück zur Kirche getragen würden, hätte sie die Garderobe noch üppiger angefertigt. Gehalten von meiner stolzen Großmutter Margarethe, die meine Taufpatin und Namensge-berin wurde, taufte mich der damalige Pastor Heil in der Salmer Kirche nach dem sonntäglichen Hochamt. Eine schöne und schlichte Feier soll es gewesen sein an der jedoch meine Mutter nicht teilnahm, da sie zu Hause im Wochenbett lag, derweil mein Vater im Krieg in Russland war. Nach einem Kaffeetrinken im kleinen Kreis kam das Taufkleid, sorgsam gebügelt und gefaltet, in Papier gewickelt, mit Duftkräutern gegen Motten geschützt, in den Kleiderschrank für eventuelle weitere festliche Akte. Im Oktober 1950 war es dann endlich soweit, mein Bruder Peter wurde geboren. Vater war Silvester 1949 aus russischer Gefangenschaft nach Hause gekommen, und ein sehnlichst gewünschter Stammhalter vergrößerte unsere Familie. Ich hatte fleißig Zuckerwürfel aufs Fensterbrett gelegt und an das Klapperstorch-Märchen geglaubt. Bei dieser Taufe in der St. Anna-Kirche in Gerol-stein waren Vater und Mutter anwesend nebst mir und einer größeren Verwandtschaft. Der Großonkel mütterlicherseits war Namensgeber: „Johann, Peter, Michel“, (Michel, nicht Michael!). Es war wie auch bei der Taufe meines Bruders „Heiner“ (abgeleitet von Heinrich) 1955, wieder ein Name, der seit Jahrhunderten in der Eifel zu den beliebtesten gehörte. Die Kinder erhielten den Namen eines Heiligen, der zugleich dem Menschen ein Leben lang als persönlicher Schutzpatron zur Seite steht. Zur dritten Taufe nun, hatte meine heute 92-jährige Mutter damit begonnen, die Namen und Geburtsdaten ihrer Kinder auf das Taufkleidchen zu sticken, was sie bis zum letzten Täufling „Nils“, ihrem Urgroßenkel, fortführte. Waren mein Mann und ich bei der Namensgebung unserer Tochter „Anja“, 1971, schon etwas weltoffener und bedienten uns aus einem anderen Kulturkreis, setzte sich dieser Trend fort bei den fünf Kindern meines Bruders Peter: „Fleur“, 1983, und „Julie“, 1984, zwei Adoptiv-Kinder aus Sri Lanka, bekamen zusätzlich zu diesen Rufnamen die Vornamen, die von den leiblichen Müttern gewählt waren und die der Patentanten: „Jenita, Annette“ und „Siriya, Ur-sula“. Die leiblichen Kinder „Charlotte-Marie“, 1986, und die Zwillinge „Johannes“ und „Barbara“, 1988, erhielten in Verbindung mit der „neuen Bürgerlichkeit“ jener Jahre wieder deutsche Namen, die „in“ waren. Oft ist heute statt Religion, Politik oder Familie der Klang ausschlaggebend für die Namenswahl. Wichtig ist auch, dass nicht die halbe Schulklasse auf den gleichen Namen hört. Beim zehnten und elften Täufling, meinen Enkelkindern „Kira“, 2003, und „Nils“, 2005, wurde das Handbuch der Vornamen gewälzt. Die Vornamen werden internationaler, unterliegen Modetrends. Während früher die Täuflinge immer die Namen der Paten, meist der Großeltern trugen, fühlt man sich heute nicht mehr an die alten Bräuche gebunden. Jüngere Generationen, oft Geschwister und Freunde begleiten den Täufling länger auf seinem Lebensweg, man wählt beliebige Namen. Ebenso war es früher üblich, dass der Pate gleichen Glaubens war, heute stellen die Kirchen nicht mehr diese Bedingungen. Von unseren elf Täuflingen sind drei evangelisch, die anderen katholisch getauft. Die letzte Taufe fand im Altenber-ger Dom statt, in dem sowohl evangelische wie auch katholische Taufen gespendet werden, eine wirklich ökumenische Geisteshaltung, wie ich finde. Nun freuen wir uns auf weitere Sonntagskinder, SilvesterGeborene, Glückskinder von Freitag, dem dreizehnten, Einzelkinder und Zwillinge. Unsere gestickte Chronik soll nun von mir fortgeführt werden, da meine Mutter mir auch das Familienschätzchen zu treuen Händen überreicht hat. Jetzt bügele und falte ich sorgsam das Taufkleid, wickle es in Papier, schütze es mit Duftkräutern gegen Motten und bewahre es im Kleiderschrank auf bis zu weiteren festlichen Akten. In einigen Königshäusern ist es ebenfalls Tradition, Taufkleider von Generation zu Generation weiterzugeben. Der kleine norwegische Prinz Sverre Magnus trug das Taufkleid, das seine Urgroßmutter, Prinzessin Ingeborg, 1920 genäht hatte. Das Kleid hatten auch schon sein Vater und Großvater, König Harald V., bei ihren Taufen getragen. Dänemarks kleiner Thronerbe Christian war in ein weißes, 136 Jahre altes Taufkleid gekleidet, das ganz aus Brüsseler Spitzen besteht. An seiner einfachen und sehr schönen Taufe nahmen acht Paten des Hochadels teil, so konnte man in den Medien lesen.