Das alte Haus

Gertrud Margarete Morsink, Landscheid

Altes Haus am Berg, es ist beruhigend zu sehen, dass es dir wieder gut geht. Jahrelang standest du einsam und traurig da, man sah dir schon von weitem deine Verlassenheit an. Du sahst aus wie jemand, der mit allem Schönen abgeschlossen hat. Es tat mir in der Seele weh, dich so zu sehen. Gerne denke ich an meine Kinderzeit, die alte Frau und dich zurück. In deiner Stube war es immer gemütlich und warm. Dein Ofen war schwarz, aus Eisen, mit schönen Ornamenten an den Türen und Seitenwänden, den Abschluss oben, ein Kranz aus Rosen und Blättern. Im Ofenschränkchen stand fast immer ein kleiner Tiegel, darin brutzelten von Mittags übrig gebliebene Kartoffeln in Ziegenbutter. Im Winter leisteten dicke, rotbackige Äpfel dem Eisentiegel Gesellschaft. Die Äpfel lieferte der alte Apfelbaum im Garten hinter dem Haus. Der Duft vermischte sich mit der Ziegenbutter und zog durch ganze Haus. Mich störte der Geruch nicht, er gehörte dazu, wie alles andere auch. Im Winter wurden im Ofenkranz gebrannte Ziegelsteine warm gehalten; die Frau legte sie abends vorm Schlafengehen ins Bett. Die Schlafzimmer waren nicht geheizt und die Betten eisig kalt. Die Ofentür hatte Risse, deshalb strahlte das Licht des Feuers in den dunklen Raum und malte Bilder an Decke, Wände und Fußboden. Hinter dem Ofen auf einem alten Kissen lag die Katze Miez Miez, das war ihr Platz, sie lag meistens lang ausgestreckt und schlafend da, wenn sie nicht gerade bei der Frau auf dem Schoß saß und sich streicheln ließ. In der Ecke neben der Stubentür hing ein Spiegel mit Papierblumen aus Krepp-Papier geschmückt. Beim rein- und rausgehen konnte man sich ausgiebig betrachten; dieses tat ich dann auch. Zu meiner Zeit war der Spiegel im allgemeinen tabu, er konnte zur Eitelkeit verführen und das war Sünde.

Neben dem Spiegel hing der Kammkasten mit zwei Kämmen und einer Bürste. Der Kasten war bemalt mit Blumen in rot, grün und gelb; er war hübsch und gefiel mir. Hinter der Tür war die alte Uhr an einem stabilen Haken angebracht, solange ich denken kann, hat sie nie einen Zeiger bewegt, sie hing nur da. Zwischen den kleinen Stubenfenstern stand eine dunkle Holzbank mit runden, schön gedrechselten Holzstäben als Rückenlehne, davor ein stabiler, großer Tisch mit einem riesigen, laut tickendem Wecker, den zwei Glocken zierten. Sein gleichmäßiges Ticken unterstrich die Ruhe, es störte nicht. Die alte Frau war Eigentümerin des Hauses und bezog, was damals selten war, drei Zeitschriften: Das Paulinusblatt, die Stadt Gottes und die Christliche Familie, die sorgfaltig gefaltet auf dem Tisch neben dem Wecker lagen. Für mich war es eine Freude und ein schönes Gefühl, wenn ich ohne Störung in Luzies, so hieß die Frau, gemütlicher Stube sitzen und in den Zeitschriften lesen durfte. Gesprochen wurde wenig, aber gestimmt hat alles. In meinem Elternhaus war dies nicht möglich, weil auf kleinem Raum neun Menschen lebten und jeder immer etwas zu reden hatte. Neben dem Ofen befand sich der eingebaute Wandschrank. Hinter der oberen Glastür war das gute Porzellan untergebracht, das nie in Gebrauch genommen wurde. In der Mitte eine durchgehende Klapptür, dahinter zur Aufbewahrung Ziegenbutter, selbstgemachte Marmelade, gebrannter Kornkaffee, Milch und vielleicht noch etwas Zucker sowie das tägliche Gebrauchsgeschirr, Teller, Tassen Schüsseln und was nötig war. Vergessen wir nicht das gute Roggenbrot, das sie als Gegenleistung für das verpachtete Land erhielt, das oft hart und ausgetrocknet war, aber immer von der alten Frau gegessen wurde, bei ihr verdarb nichts. Im unteren Teil des Schrankes wurden Strickzeug, wollene Tücher und alte Zeitungen sowie allerlei Kramszeug aufgehoben; alles hatte seine Ordnung.

Noch zu erwähnen sind das Kreuz und die Heiligenbilder, die über dem Tisch an der Wand hingen; es war die heilige Familie und je ein Bild vom Herzen Jesu und Maria. Ich stand oft davor und habe sie lang und eingehend betrachtet. Mit meinen vielen Fragen blieb ich allein, Luzie konnte mir keine Antwort darauf geben. „ Die hingen da und es war immer so, damit basta“, so ihr Kommentar. Den Fußboden bedeckten dunkle Holzdielen, die stets sauber waren und glänzten. Dieses war die gute alte Stube, in der ich mich als Kind so unendlich wohl fühlte. Nie werde ich die Geborgenheit vergessen, die sie mir gab. In der Vorkriegszeit kauften unsere Eltern das Haus. Die alte Luzie wurde in die große Familie aufgenommen und fühlte sich wohl, sie genoss das Leben und Treiben , das auf und ab der zehnköpfigen Großfamilie, in der jeder Tag neue Überraschungen brachte und es nie langweilig wurde. Sie war fast 9O Jahre, als sie von uns ging. Vergessen haben wir sie nicht. Ums Haus war viel Platz. Rechts von der Einfahrt standen damals drei große Walnussbäume, ein Birnbaum und ein Apfelbaum, am Hang zur Straße alte knorrige Weidenstöcke, links zur Einfahrt ein Birnbaum und Sträucher, dahinter ein Misthaufen. An der Eingangsseite bekam das Haus wenig Sonne, das dichte Laubwerk der Bäume verwehrte den Strahlen den Zutritt, auch weil die Einfahrt dem Norden zugewandt liegt.

Gut war es im alten Haus. Besonders der Garten war für uns Kinder ein Paradies mit seinen Speck- und Luisenbirnen und nicht zu vergessen den Apfelbaum, der uns jedes Jahr reichlich bescherte, und die vielen Stachel- und Johannisbeeren nicht zu vergessen. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg ein wahrer Segen für die ganze Familie. Die alte Zeit ist vergangen, geblieben die Erinnerungen an einen lieben Menschen, ein Haus und eine kleine, gemütliche Stube, in der ein Kind sich gut aufgehoben und geborgen fühlte. Das Haus wurde von Grund auf renoviert und befindet sich in Familienbesitz. Ich wünsche den Menschen, die darin leben, die Ruhe und Geborgenheit, die ich erfahren durfte.