Letzte Kriegstage für uns Jungen

Kinder aus Deudesfeld sollen Krieg retten

Günter Bill, Deudesfeld

In den letzten Wochen des Jahres 1944, als der Krieg eigentlich schon längst verloren war, versuchte die damalige NS-Regierung noch schnell, alles verfügbare Kampfmaterial sowie auch Menschen zur Front und in den Krieg zu schicken. Es wurde keine Rücksicht genommen, ob die Soldaten leicht verwundet waren, oder ob es sich hierbei um Jugendliche handelte, die teilweise noch Kinder waren. So erreichte auch Mitte Februar 1945 ein Stellungsbefehl mehrere Jungen der Geburtsjahrgänge 1928/ 29 in Deudesfeld. Kinder zwischen 15 und 17 Jahren sollten also noch helfen, den bereits längst verlorenen Krieg zu retten. Es waren: Bender Paul, Bill Günter, Elsen Hans, Hoffmann Johannes, Reif Klaus, Weiler Alfred, Weiler Matthias und Weiler Peter. Jeder der Jungen erhielt einen „Stel-lungsbefehl“, aber alle, mitsamt den Eltern, waren sich einig, diesem Befehl nicht Folge zu leisten, da die Front zu dieser Zeit schon immer näher rückte. Alles sollte geheim bleiben, da es sehr gefährlich war, wenn man sich den Befehlen des Militärs widersetzte.

Irgendjemand aus dem Dorf hatte die Jugendlichen verraten, und auch namentlich im Geschäftszimmer der

Feldgendarmerie gemeldet. Wer diese Sache ins Rollen gebracht hat, ist bis heute nicht bekannt. Im Hause Hoffmann befand sich in dieser Zeit eine Schreibstube/Geschäftszimmer der Feldjäger, und im Hause „Bäben Berndchen“ eine Schreibstube einer Infanterieeinheit. Ein Leutnant der sehr gefürchteten Feldjäger kam zu allen, die den Stellungsbefehl erhalten hatten, und forderte jeden einzelnen auf, noch am selben Abend im Geschäftszimmer der Feldjäger zu erscheinen, wo man Rede und Antwort verlangte, warum die Jugendlichen nicht zur Front gehen wollten. Alle von uns hatten die möglichsten und unmöglichsten Ausreden. Wir alle wurden von einem Offizier verhört, der schließlich befahl: „Morgen früh um 7.00 Uhr, seid ihr alle mit Gepäck hier am Geschäftszimmer, und ich sorge dafür, dass ihr in das WE-Lager (Wehrertüchtigungslager) nach Gillenfeld kommt“. Er duldete keine Widerrede, die Sache wurde für alle nun sehr ernst.

Am nächsten Morgen versammelten wir uns alle bei Hoffmanns, anschließend traten wir – unsere Truppe bestand aus fünf Deudesfelder Jugendlichen - dann unter Bewachung von zwei Soldaten mit Gewehren den Weg

zu Fuß zum Lager nach Gil-lenfeld an. Zur gleichen Zeit fuhr Leyendeckers Kurt mit dem Fahrrad nach Mander-scheid, wobei er meinen doch sehr schweren Tornister auf dem Fahrrad bis zum Hotel Müllejans nach Manderscheid transportierte, um mich wenigstens ein kurzes Stück des weiten Weges nach Gillenfeld zu entlasten.

Gegen Mittag lieferten uns die beiden Soldaten gegen Empfangsbescheinigung im Wehrertüchtigungslager Gil-lenfeld ab. Herman Elsen aus Meisburg war ebenfalls dort. Am nächsten Tag war in Deudesfeld vor dem „Bäben Haus“ eine Kompanie Soldaten in aller Frühe auf dem Hof angetreten, um die entsprechenden Tagesbefehle zu erhalten. Dort bekam mein Vater Bernd mit, wie ein Hauptmann den Soldaten mitteilte, dass der Amerikaner bereits bis zur Kyll vorgedrungen sei und die Soldaten vor Deudesfeld „Stellung“ beziehen sollten. Mein Vater zog daraus den Schluss, seinen Sohn und auch die anderen Deudes-felder Jugendlichen im WE-Lager Gillenfeld zu informieren und zum Ausbruch zu bewegen. Er begab sich nun sofort mit dem Fahrrad in Richtung Gillenfeld, wo er dann im Dorf den Weg zum „Lager“ erfragte. An der

Wache angekommen, wollte der Wachhabende ihn nicht zu den Jugendlichen lassen, doch als er angab, seinem Sohn noch vergessene Wäsche und auch Lebensmittel zu bringen, erlaubte der diensthabende Wachoffizier einen kurzen Besuch. Vater Bill teilte uns seine aufgeschnappte Information mit und gab den Rat, in der kommenden Nacht einen „Ausbruch-Versuch“ zu unternehmen, wieder nach Deu-desfeld zurückzukehren und hier die Ankunft der Amerikaner abzuwarten. Tagsüber wurde uns von der Lagerverwaltung mitgeteilt, dass wir noch in der folgenden Nacht zu einem Transport zusammengestellt und nach „Burg Kallmuth“ in die Nähe von Mechernich transportiert würden. Nun galt es, möglichst schnell zu handeln. Alle waren sich sofort einig, den „Aus-bruchsplan“ aus dem Lager zu verwirklichen. Hermann Elsen aus Meisburg wurde ins Vertrauen gezogen; er wollte aber nicht mitmachen, was den anderen auch zugute kam, denn beim Antreten und Namensappell nahm er dieses für seine Deudesfelder Kameraden vor, so dass zu dieser Zeit noch niemand Verdacht schöpfte.

In der Dämmerung wurde nun der „Ausbruchs-Plan“ in die Tat umgesetzt, um dann mit unserem Gepäck durch ein Fenster, welches in Richtung Wald führte, heimlich zu verschwinden. Wir liefen einfach querfeldein. Aber schon nach kurzer „Flucht“ erschien ein

berittener Soldat, der uns zurief, stehen zu bleiben, doch wir liefen weiter. Erst als er eine Pistole zog, blieben wir stehen. Er fragte uns aus, und wir erzählten ihm, im Lager entlassen zu sein, und dass wir aus der hiesigen Gegend seien. Kurz und gut, obwohl dieser Soldat rasch merkte, wo „der Hase im Pfeffer lag“, ließ er uns weiterziehen. Kurz hinter Gillenfeld kamen wir zu einer Wehrmachtssperre, wo man uns zurief: „Halt, Parole“, aber auch an dieser Stelle sind wir mit Glück davongekommen. In der Dunkelheit liefen wir weiter, bis wir zu einem Dorf kamen, von dem wir nicht wussten, dass es Brockscheid war. An einem Haus sahen wir noch Licht und klopften an die Tür. Ein Mann öffnete, fragte nach unserem Begehren. Wir antworteten ihm in unserem Deudesfelder Dialekt, worauf er uns ins Haus ließ und im Ofen ein ordentliches Feuer entzündete, denn es war sehr kalt und wir total erfroren. Er fragte uns nach einem alten Bekannten aus Deudesfeld, dem „Alen Drän-gels“, der als „Handelsmann“ überall bekannt war. Als wir uns aufgewärmt hatten, zogen wir weiter in Richtung Tettscheid, wo wir uns an der Lieser ein Feuer anzündeten wegen der schlimmen Kälte. Weiter ging’s in Richtung Bleckhausen, um danach in „Speicherberg“, in der Nähe von Deudesfeld, zu gelangen. Hier, und auch an anderen Stellen, hatten sich Bewohner des Dorfes „Unterstände“ aus Holz oder Stangen gebaut,

um dort im Ernstfall Unterschlupf vor dem herannahenden Feind zu finden. Wir fünf zogen nun in den Unterstand der Thulengasse, von „Kertz Pittchen“, ein. Dort verbrachten wir zunächst einmal den Rest der Woche, da wir ja noch von zu Hause genügend Proviant hatten. Dort schien es auch ziemlich sicher zu sein, und wir waren in der Nähe unserer Familien, die aber noch nicht wussten, dass wir uns dort im Unterschlupf befanden. Ende der Woche, es war am Samstag, machten sich „Kertz Pittchen“ und „Philippsen Hännes“ auf den Weg ins Dorf, um die Eltern zu benachrichtigen und gleichzeitig ein geheimes Treffen für Sonntagmorgen im „Spei-cherberg“ zu arrangieren. Hier sollte besprochen werden, wie es mit uns weitergehen könnte. Die beiden informierten auch meinen Vater, der sofort Kaffee und Getränke, aber vor allen Dingen viele Butterbrote einpackte und unauffällig zum Unterstand der „Fahnenflüchtigen“ eilte, um diese mit Essen zu versorgen.

Am Sonntag, 04.März 1945, machten sich die Eltern auf den verschiedensten Wegen zu ihren Söhnen. Es sollte nach Spaziergängern aussehen und geheim sein. Im Unterstand wurde dann „Kriegsrat“ gehalten und nach vielen Diskussion entschieden: „Noch am gleichen Abend kommen unsere Jungen zurück nach Hause, um sich dort zu verstecken“. Gesagt, getan - alle kehrten

heimlich auf Umwegen am Abend bei Dunkelheit in ihre Häuser und zu den Familien zurück. Am anderen Tag, oder noch in der Nacht, begab sich mein Vater mit dem Fahrrad zu Dr. Kranz nach Mander-scheid um für mich ein Attest zu besorgen, was der Arzt auch nach anfänglichem

Sträuben schrieb. Mein Vater war glücklich, aber ob diese ärztliche Bescheinigung über „Wehruntauglichkeit“ etwas genützt hätte, war und ist wohl zu bezweifeln. Die Amerikaner kamen am 06. März in die hiesige Gegend, während die ersten amerikanischen Soldaten

dann am 08. März in „Schneider Kätchens“ Haus einzogen. Damit war für uns und Deudesfeld der Krieg aus. Wir Jungen und auch unsere Eltern hatten wirklich großes Glück gehabt. Noch heute sagen wir allen, die uns auf irgendeine Weise geholfen haben, „Gott sei Dank!“