Der Stoff, aus dem die Träume sind

Kindheitserlebnisse in Wallenborn

1 Schrumpern, Eierrehr und Heelichkochen

Dr. Dr. Franz Josef Klassen, Bonn

Es waren die Kriegsjahre. Die großen Ferien im Sommer waren Jahr für Jahr eingeplant für die Ferienzeit in Wallenborn. Schon Wochen vorher waren wir mit unserer kindlichen Phantasie mehr in der Eifel als in Bonn, wo der Krieg mit den Aufenthalten in den Luftschutzkellern und der Angst vor Fliegerangriffen unser kindliches Gemüt oft in Angst und Schrecken versetzte.

Nun, da das Schuljahr zu Ende ging und wir Latein und Mathematik hinter uns lassen konnten, waren es Wallen-born und die große Freiheit, der wir entgegenfieberten. Mein Bruder Ludwig und ich waren die Auserwählten, während unsere Schwester Elsbeth nicht der „rauen Landluft“ ausgesetzt werden sollte. Ich weiß nicht, ob sie wirklich traurig war über diese Entscheidung, die Ferien in Bonn mit Mutter und unserer Kinderfrau zu verbringen – der Vater war ja eingezogen -, oder ob sie nicht doch auch gerne mit uns die Landluft in Wallenborn geschnuppert hätte. Wie dem auch sei, es war eine Tatsache, dass Ludwig und ich mit Rucksack und Koffer bepackt - die Latein-und Geschichtsbücher durften zwar nicht fehlen - die Reise antraten.

Familie Horten aus Wallenborn mit Peter, Maria, Bäbchen und Adolf

Wir hatten uns am Bahnhof von unserer Mutter verabschiedet, und in Begleitung unserer treuen Seele, die uns den Abschied von zu Hause erleichtern sollte – welche Verkennung der Tatsache! – ging die Fahrt über Eus-kirchen und die Eifelstrecke zu dem kleinen Bahnhof, wo Onkel Alois mit dem Kuhgespann schon auf dem Bahnsteig stand, um uns von dort nach Wallenborn zu kutschieren.

Und wirklich: Da stand Onkel Alois ganz so da, wie wir ihn uns vorgestellt hatten,

die Peitsche in der Hand, die Arbeitsjacke auf der Schulter, leicht vornüber gebeugt und dennoch in den grau-schwarzen Stiefeln fast würdevoll aussehend. Er war sich wohl bewusst, welch wertvolle Last er da in den nächsten 3 Stunden mit seinem Kuhgespann zu befördern hatte. Ein kurzer Gruß, ein kräftiger Händedruck, einige karge Worte zum Empfang, aber wir Ferienkinder hatten das Gefühl, herzlich willkommen zu sein. Und dann ging es drei Stunden den Berg hinauf, durch Wald und Feld, eine Ser-

pentine hinter der anderen, Richtung Wallenborn. Uns Kindern ging das alles viel zu langsam, und wir glaubten, wenn wir neben dem Wagen herliefen, noch etwas schneller in Wallenborn zu sein. Vorbei an dem Weiler Rom über Salm erreichten wir schließlich Wallenborn, das

sen, diese Verwandlung in den nächsten Wochen durchzuhalten, uns wenig bewusst, dass Lederhosen und grünoder rotkarierte Hemden wohl eher als eine Montur für den Bayerischen Wald oder für Ferien am Tegernsee, als für einen Aufenthalt in der Eifel gedacht waren. Doch dies

in der anderen Hand, hatten wir kaum die Möglichkeit, die Hände zum Tischgebet zu falten. Das „Herrgott“, „himmlischer Vater“ und „der süßeste Name unseres Herrn Jesus Christus“ waren denn auch nur in ihren Anfangsversen von ihrem Gebetscharakter her zu verstehen. Selbst der strenge Blick des Großvaters brachte es nicht fertig, die Artikulation der einzelnen Gebetsworte deutlich über unsere Lippen zu bringen. Das Eierrehr in der Pfanne, fein säuberlich in einzelne Dreiecke aufgeteilt, musste dazu verleiten, grenzüberschreitend bei übergroßem Hunger in des Nachbarn Gefilde einzubrechen. Dies wurde jedoch hingenommen im Hinblick darauf, dass die Abfütterung mit den Bratkartoffeln ohne Grenzziehung erfolgte. Das abschließende Kreuzzeichen ging meist im Gabelschwingen der Esscorona unter, und die Tatsache, dass man auch mit vollem Munde einmal seinen Glücksgefühlen freien Lauf lassen durfte, machte das Gelage zu einem echten Festmahl.

Doch das Schlussgebet war meist verbunden mit dem Hinweis des Wallenborner Opas, dass am nächsten Morgen eine Latein- oder Deutschstunde oder gar eine Stunde „fröhlichen Rechnens“ auf dem Programm stünde. Dies war eigentlich einer der wenigen Wermutstropfen, die Jahr für Jahr in das Glas überschäumender Ferienfreuden fielen. Auch der zunächst unternommene Versuch, die entsprechenden Lehrbü-

Familie Klassen bei der Heuernte, v.l. stehend: Barbara Klassen (Ehefrau des Lehrers Franz Klassen), Alois Klassen (Gast- und Landwirt), Franz Klassen (Lehrer in Wallenborn) und Margarethe Klasen (Ehefraufrau von Peter Klassen)

im Glanz der untergehenden Abendsonne im Tal lag. Die Kühe spürten wohl, dass es nach Hause ging und setzten zum Trab an, und ehe wir uns versehen hatten, standen wir vor dem Haus inmitten des Ortes, wo Tante Lis uns schon mit offenen Armen und mit herzlichen einladenden Blicken erwartete. Ausgepackt war schnell, mit der städtischen Kleidung legten wir auch die städtische Erziehung ab, streiften die Lederhosen über, zogen Baumwollsocken und festes Schuhwerk an und beschlos-

störten meinen Bruder und mich wenig, gab uns diese Kluft doch das Gefühl, mit ihr in Wallenborn untertauchend ganz Mensch zu sein. Schon das Abendessen war eine Wucht. Onkel und Tante, der Großvater, die Cousinen und wir harrten der Dinge, die da kommen sollten. Auf dem Holztisch die Pfanne mit Eierrehr, von dem wir damals schon wussten, dass die Qualität streng ortsgebunden war, daneben eine weitere Pfanne mit Bratschrumpern. Jeder von uns eine Gabel in der einen und ein Stück Brot

cher nicht im Reisegepäck wiederzufinden, konnte den Wallenborner Opa, der nach 40jährigem Lehrerdasein auf solche Tricks nicht mehr hereinfiel, nicht davon abhalten, uns dann anzudrohen, dass für Kopfrechnen Bücher nicht erforderlich seien. So vorgewarnt für den nächsten Morgen, aber doch nicht ganz unglücklich ob der Tatsache, dass zwischen Traum und Tag uns noch einige Stunden fröhlicher Gedankenspiele blieben, bestiegen wir die hochgepolsterten Betten in der hinteren Kammer des alten Schanzhauses. Die von Tante Lis uns vermittelte Gewissheit, dass der nächste Morgen mit prächtigem Heuwetter schon früh anbrechen würde und der in unserem Elternhaus herrschende Grundsatz: dass positives Denken manch Schicksal zu wenden wusste, ließen uns hoffen, dass Latein, Deutsch oder Rechnen nur eine kleine Episode des Tagesablaufes seien.

Heu und Höhere Weihen und wie die Waldbeeren immer weniger wurden

Schnell hatten wir herausgefunden, dass, je früher wir aus den Betten kamen, desto günstiger unsere Chancen standen, Haus, Hof und Studierzimmer mit Kuhwagen, Ackergerät und den Eimern zum Waldbeersuchen zu vertauschen. Und so waren wir auch kaum zu bremsen, wenn nach dem Morgenfrühstück Onkel Alois uns die Peitsche in die Hand drückte und so das Gefühl vermittelte, als seien wir nicht nur kräftige

Esser, sondern auch gute Arbeiter. Es entspann sich dann regelmäßig ein kleiner Disput zwischen dem Großvater und dem Onkel, wenn der eine „hü“ und der andere „hott“ sagte und schließlich die Diskussion über geistige Leistungen und körperlicher Pseudotätigkeit in der Kompromissformel endete, dass am nächsten Tag doppelt soviel gerechnet würde. So trabten dann zwei braun gescheckte Kühe, dahinter ein Leiterwagen, 2 Ferienkinder und der Onkel mit einigen dienstbaren Geistern Koseschlag oder Reenzelrech entgegen, wo das am Vortag gemähte Gras des Wendens harrte. Zwar konnten die langen und geraden Heubahnen ermüdend wirken und die ersten Bremsen, die nicht nur im Sturzflug der Heumacher ansetzten, vermittelten nicht immer das Gefühl eines glücklichen Landlebens. Doch war die Vorstellung, jetzt nicht in einer engen Schulbank sitzen zu müssen, genussvoll und ließ, trotz der wie Stukas vom Himmel stürzenden Bremsen, das geradezu paradoxe Gefühl der körperlichen Befreiung aufkommen. Da störten auch nicht der falsch gehaltene Rechen und die Kritik des Nachbarn, der das Heu zwischen die Beine bekam, oder der Juckreiz, den die getrockneten Grashalme in Strümpfen und Schuhen verursachten. Immerhin wussten wir uns in der Nachfolge eines Größeren, der auch Jahrzehnte vor uns mit Rechen, Bremsen und allen anderen Unannehm-

lichkeiten des Landlebens zu kämpfen hatte und der dann getreu dem Grundsatz des Heiligen Ignatius von Loyola die Feststellung getroffen hatte, dass er zu Höherem geboren sei . Vielleicht war dies der psychologische Hintergrund, der mir dann doch schließlich die Einsicht vermittelte, dass die Penne noch lange nicht die größte aller Katastrophen sei; zumal von diesem zu Größerem geborene Onkel Johannes, dem Trierer Domkapellmeister, auch die Feststellung kam, dass das Jesuitische „Genoroso saltu“, also das morgendliche Aus-dem-Bett-springen, völlig unphysiologisch sei, da ja auch jede Pflanze sich morgens erst langsam und nicht plötzlich zu entfalten gedenke. Oft habe ich in meinem späteren Leben an diese Sentenzen gedacht und nicht vergessen, dass die ersten Lebensweisheiten mir auch an Reenzel-rech und Koseschlag vermittelt wurden.

Wenn dann die Sonne im Zenit stand und Onkel Alois und die ermüdete schweißgebadete Schar der Heumacher sich zum kargen Mittagsmahl, meist mit Drees und Schmerren, niederließ, dann war mir damals schon als Kind klar, dass das „ach so fröhliche Landleben“ seinen Tribut forderte.

Auch dies ist eine bleibende Erinnerung an meine Kindheit, ebenso wie das Waldbeerensuchen im Wald hinter Weidenbach.

Schon der Anmarsch dorthin, mehr als eine Stunde zu Fuß, in jeder Hand einen

Blecheimer, war ein Erlebnis. Gehörten doch schon Instinkt und Erfahrung dazu, den fruchtbarsten Bezirk zu erreichen. Meist zog schon in den frühen Morgenstunden eine ganze Kolonne von Pflückern los und schwärmte in die besten Regionen aus, um das harte Tagesgeschäft in gebückter Haltung möglichst erfolgreich abzuschließen. Kolwer Bäpp und Kolwer Marie waren da schon Könner

Familie Becker (Annen genannt)

ihres Fachs. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie sie es schafften, bis zum späten Nachmittag einen oder zwei Eimer voll Waldbeeren einzusammeln. Während mein Bruder und ich schon nach kurzer Zeit Schmerren und Drees verspeisten und manchmal uns auch heimlich den Gefäßen der eifrig Pflückenden näherten, um unser durch Nichtstun erzieltes Manko ein wenig aufzubessern, erspürten die echten Wallen-borner mit Argusaugen auch

die letzte Waldbeerenkultur. Ja, für uns hatte das Ganze etwas Dramatisches, denn das Pflücken gegen die Uhr und angesichts der Mittagssonne verlangte letzte Konzentration. Selbst bei noch so großem möglichen Eifer und noch so großem Vorsatz, Leistungen zu erbringen, fehlte uns Stadtkindern eben der Spürsinn für die Früchte des Waldes. Auch mangelte es uns an der Gelenkigkeit

und Behendigkeit, mit der die Wallenborner Mädchen, mehr auf dem Boden liegend, als gebückt oder kniend, mit flinken Händen ihre Gefäße füllten.

Wenn dann am späten Nachmittag zum Sammeln für den Heimweg gerufen wurde, standen mein Bruder und ich meist ganz enttäuscht vor unseren defizitären Wald-beersammelergebnissen und machten mit großen Augen die Feststellung, dass unser kleiner Waldbeerhügel ob der

Feuchtigkeit der Früchte immer mehr zusammenfiel und das Sammelergebnis geradezu vernichtend war. Stand uns auch die Enttäuschung im Gesicht, wenn wir mit unserem mageren Ergebnis in Wallenborn einzogen, so tröstete uns der gute Zuspruch der mit reichem Erntesegen nach Hause heimgekehrten Mädchen, die da meinten, es sei eben noch kein Meister vom Himmel gefallen und schließlich auch das Gefühl gaben, dass der nächste Tag uns bestimmt schon wieder ein neues Erlebnis bescherte.

Praktische Anatomie – hautnah erlebt

Waren das Wetter trübe und der Himmel verhangen, dann war Wallenborn mit all seinen Winkeln und Ecken unser Spielrevier, wo wir mit den Jungen und Mädchen des Dorfes schnell Freundschaft schlossen, wo wir aber auch so manches entdeckten, was uns Stadtkinder nicht nur in Erstaunen versetzte, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlug. Da wir schnell spürten, in vielen Häusern des Dorfes zu Hause zu sein, konnte gar nicht das Gefühl aufkommen, irgendein Bezirk sei uns versperrt. Die Wiesen hinter Hauer und an Annen vorbei bis Kolwer und von dort bis zum Ritschberg garantierten den freien Auslauf und bei Hunger die kräftigen Schmirr der Tanten und Onkel, wobei die Verwandtschaft des 4. und 5. Grades noch als die engere Familie gewertet wurde. Zu der Schar der „verwand-

ten“ Tanten gehörte auch Tante Käth, die nicht nur um unser leibliches, sondern noch in viel höherem Maße um unser seelisch-moralisches Heil besorgt war und die uns immer und überall im Auge hatte. Gerade weil sie uns von dem schmalen Pfad zwischen den Kolwer- und AnnenHäusern wegen des dort zu bestimmten Tageszeiten herrschenden regen „Kuhver-kehrs“ fernhalten wollte, war dieser Distrikt für uns von besonderem Reiz; erschien doch regelmäßig Onkel Hanni, der gestrenge Ortsvorsteher und amtlich bestellte Stierhalter mit fast starrem Blick und voller Würde, hinter sich ziehend ein stattliches Mannstier von Bulle, jedes Mal dann, wenn eine Kuh kurz vorher vorbeigezogen war. Kuh und Bulle mit Begleitung verschwanden dann im für uns „Heiligen Sperrbezirk“ hinter dem Annenhaus. Wegen dieses eigenartigen Vorbeimarsches wurden wir stutzig und nachdenklich, und trotz der Allgegenwart von Tante Käth gelang es uns, in einem unbewachten Augenblick einen Blick auf die Kultstätte zu werfen. Doch welche Enttäuschung! Da erlebten wir einen müde dreinschauenden, den Kopf nach unten gesenkt, breitbeinig dastehenden Bullen hinter einer manchmal geradezu leichtfüßig tänzelnden und dann wieder mehr stampfenden Kuh, die das Kommende kaum erwarten konnte. Eingedenk der Sentenz unseres Vaters, dass große Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen, erfassten

wir damals das Tragikkomische des Augenblickes natürlich nicht und glaubten, der springfaule Bulle lege zunächst einen kurzen Moment der Besinnung ein, um nach dem Grundsatz, dass Vorfreude die schönste Freude ist, sich auf das große Ereignis vorzubereiten. Als dann aber Onkel Hanni und der Kuhhalter Peitschen schlagend, zunächst mit ermunternden, dann mit anfeuernden Worten und schließlich mit lautem Gebrüll das Mannsvieh zu seinen Bullenpflichten antrieben, überfiel uns ob der nun zitternden und gar nicht mehr so fröhlich aussehenden Kuh das Gefühl, dass hier einer lebenden Kreatur Gewalt angetan wurde. Doch nach der fachmännisch Erklärung des Gesamtvorganges durch Anne Pitchen und Dubjer Kurt wich unsere zunächst spannungsgeladene Traurigkeit einer gewissen Gleichgültigkeit. Die Feststellung der Kameraden, dass der Amtsbulle und der amtlich bestellte Bullenhalter aufgrund der täglichen Arbeitsleistung schließlich Zeichen der Ermüdung böten, trugen noch dazu bei, dass unsere Sympathien sich mehr und mehr auf deren Seite schlugen. Fortan hatte aber der „Heilige Bezirk“ hinter Annenhaus viel von seiner Spannung für uns Kinder verloren.

Doch die erlebte Anatomie hatte wohl einen natürlichkindlichen Forscherdrang in mir stimuliert, und das in der Hosentasche steckende Taschenmesser gab mir den Mut, im Bauch einer auf dem

Mist von Batzen verendeten Katze nach der Todesursache zu suchen. Da mir das natürliche Wirrwarr der Katzendärme nicht bekannt sein konnte, stellte ich unter der murmelnden Zustimmung der teils interessiert, teils erschrocken dreinblickenden Kinderschar die Diagnose: Darmverschlingung. Die von Batzen Fien, Onns Marie und Onns Christin vorsichtig angebrachten Zweifel an dieser Diagnose wischte ich mit einer vielsagenden Handbewegung und einem strengen Blick auf den offen daliegenden Katzenkadaver zurück, Zweifel an meinen medizinischen Kindheitsdiagnosen kamen fortan nicht mehr auf.

Gedankenflüge beim Kühehüten

Hatten der sprungfaule Bulle und die Katze mit der Darmverschlingung meinen medizinischen Instinkt gelockt, so lenkten die Gedankenflüge beim Kühehüten mich geradezu in nachdenkliche, um nicht zu sagen, philosophische Welten. Inmitten der Schar der Kuhhüter und Kuhhüterinnen auf dem Rücken liegend, ließ ich mit den vorbeiziehenden Wolken meine Vorstellungen in die Ferne schweifen, derweil die Kühe in Weizen- und Roggenfeldern sich gütlich taten und die von Kolwer Adolf aus Baumstämmen exzellent geschnitzten Messerschmidt-Jagdbomber oder Stukkas an meinem Auge vorbeizogen. Manchmal rissen uns dann wie Silberpunkte am Himmel aufblit-

zenden Bombengeschwader der Engländer und Amerikaner aus unseren kindlichen Träumen heraus, und wir spürten, wie nah Traum und Wirklichkeit waren. Als da einmal ein amerikanisches Flugzeug oberhalb Salm in den Wald stürzte und am Himmel die Fallschirme mit der Flugzeugbesatzung schwebten, erlebten wir Kinder die ganze Dramatik des Kriegsgeschehens, von der sonst Anfang der vierziger Jahre in Wallenborn noch nicht allzu viel zu spüren war. Als dann einer der Amerikaner in die Kriegsgefangenschaft abgeführt wurde, da spürten wir die menschliche Angst und Not, die mit dem unseligen Krieg, von dem wir gemeint hatten, er zöge an uns vorüber, verbunden waren. Und trotzdem: „Da die Menschen und insbesondere die Kinder ihrer Zeit ähnlicher sind, als ihren Vätern“, waren Soldaten und Kriegsspiele für uns das Natürlichste von der Welt. Nur so ist es heute zu verstehen, dass die von uns beim Kühehüten geplante und schließlich auch ausgeführte „Schlacht am Drees-Büschel-chen“ so realistisch war, dass die „kämpfende Kinderarmee“ in französischen Beuteuniformen die Gegner bis vor Salm verfolgten und die als Krankenschwestern eingesetzten Mädchen des Dorfes alle Hände voll zu tun hatten, die Blessuren der Truppe zu behandeln.

Te Deum Laudamus

Mit dem ewigen Gebet Ende Juli gingen die erlebnis-

reichen Ferientage für uns Stadtkinder in Wallenborn Jahr für Jahr zu Ende. Zwischen Heu- und Kornernte war dieser Tag so etwas wie ein „feierliches Sich-ausruhen“. Feierlichkeit, aber auch ein gewisses Maß an Fröhlichkeit, legten sich über das Dorf und seine Menschen. Morgens zwei Heilige Messen, dann um 10 Uhr das feierliche Hochamt, am frühen Nachmittag die Schlussandacht mit dem feierlichen „Te Deum“. Ein Tag, der auch uns Kinder ganz gefangen nahm: Die Priester am Altar, die feierlichen Gesänge des Chores, das Pange lingua, das ich in der Vesper vorsingen durfte, und alles eingetaucht in den festlichen Duft von Weihrauch und in die Himmel anstrebenden Gebete und Gesänge der frommen Gemeinde.

Der Großvater, der auf der Empore im fliegenden Wechsel den Platz, vom abwechselnd leise stöhnenden und dann wieder laut fauchenden Harmonium zum Dirigentenpult, vor seinem Kirchenchor immer wieder verändern musste, um mal hier, mal da die Melodien und Gesänge der Liturgie zum Klingen zu bringen, stieg nicht nur ob seiner künstlerischen, sondern auch wegen seiner artistischen Fähigkeiten an diesem Tag gewaltig in meinem Ansehen. Nach dem Mittagessen im Schanzhaus, wenn die Priesterschar sich genüsslich und gemütlich nach reichhaltigem Mahl die Zigarren ansteckte, die Beine unter dem alten Eichentisch ausstreckte oder

sich auf das große, schon etwas altersschwache Sofa zubewegte, kam der Augenblick, wo Wunder und Zauber für uns Kinder ineinander übergingen. Selbst der am Kopf des Tisches thronende Vater Abt von Himmerod geriet ob der zaubernden Hände seines geistlichen Nerother Mitbruders in andächtiges Staunen. Da waren dann die fromme Andacht des Festtages und die augenblickliche Fröhlichkeit des Eifeler Katholizismus so miteinander verwoben, dass man gut Lessings Ausruf in seiner „Minna von Barn-helm“ nachempfinden kann: Was kann der Schöpfer lieber sehen, als ein fröhliches Geschöpf!

Was mich nur damals als Kind immer etwas traurig stimmte, war der abrupte Abbruch des festlichen Tages um achtzehn Uhr mit dem Te Deum, dem Ambrosianischen Hochgesang. Die Sonntagskleidung wurde abgelegt, so schnell die Feierlichkeit gekommen war, so schnell war sie jetzt vorbei, und kurz nach der Schlussandacht zogen durchs Dorf wieder die Leiterwagen mit Heu beladen. Da war denn alles so, als ob gar nicht ein Feiertag gewesen wäre. Und mit dieser Ernüchterung begann eigentlich wieder das Auftauchen aus der kindlichen Wunderwelt der Wallenborner Freiheit in die Realitäten des Bonner Stadt-und Schullebens. Da machte nur der am letzten Ferientag aufgetischte Heelichkochen mit dem für mich bitteren Buchweizengeschmack den Abschied