Das gekürzte Kreuz

Seh´ ich der Menschen Kreuze, da wird es mir ganz bang, auch meines scheint zu schwer mir, vor allem viel zu lang.

„Kann ich´s ein wenig kürzen?“ sprach ich mit keckem Mut. „Du hast den freien Willen, doch überleg´s dir gut.“

So kürzte ich es sachte und nur ein kleines Stück,

es schien mir nun auch leichter, so auf den ersten Blick.

Mit vielen Anderen kam ich auf unserem Pilgerweg vor einer tiefen Schlucht an, nicht Brücke da, noch Steg.

Ein jeder legt sein Kreuz nun, eh´ er sich lang besinnt, als Brücke übers Tal hin, als sei´s dafür bestimmt.

Ich wollt´ es auch so machen und merkte ganz entsetzt, das Stückchen, das ich kürzte, genau das fehlte jetzt.

Der Vater aber reichte mir wieder mal die Hand Und half mir so hinüber in das verheißne Land.

„Das Kreuz ist deine Brücke“, sprach er „nimm´s wie es ist, weil du nur so letztendlich auf sich´rer Seite bist.“

Thekla Heinzen, Feusdorf