Hauptschule – ein Auslaufmodell

Leistungsfähige Schule zwischen Anerkennung und Abschaffung

Alois Kapell, Kelberg

„Willkommen im Hauptschulweb – Rheinland-Pfalz“, so ist eine aktuelle Seite im Bildungsserver überschrieben. Es folgt ein Zitat der Ministerin Doris Ahnen: „Die Hauptschulen des Landes Rheinland-Pfalz sind leistungsund entwicklungsfähige Schulen. Das haben sie immer bewiesen. Die Veränderungen in unserer Gesellschaft wurden hier stets auch als pädagogische Herausforderung begriffen und angepackt.“ Alle, die in der Hauptschule gearbeitet haben und noch arbeiten, werden dieser Einschätzung zustimmen. Im Herbst vergangenen Jahres gibt Frau Ahnen die Schwerpunkte der Schulreform bekannt, in der die oben noch gelobte Hauptschule keinen Platz mehr hat. „Wir greifen die demografische Entwicklung und das veränderte Bildungswahlverhalten von Eltern auf. Wir wollen gerade in einem Flächenland wie RheinlandPfalz wohnortnahe Bildungsangebote sichern. Klare Wege sollen für mehr Chancengleichheit, mehr Durchlässigkeit und gute Perspektiven sorgen.“

Bis zum Jahre 2013 soll es keine Hauptschulen mehr geben. Der „Hauptschul-abschluss“ kann in der zukünftigen „Realschule plus“ erworben werden.

Seit dem Schuljahr 2002/2003 ist die Zahl der Hauptschüler in unserem Land um fast 24.000 zurückgegangen. Im selben Zeitraum nahmen die Gymnasien rund 20.000 mehr Schüler auf.

Ein vergleichbarer Trend zeigte sich auch in unserem Kreis. Besonders die Realschulen konnten hohe Zuwachsraten erzielen, weil immer mehr nicht empfohlene SchülerInnen diese Schule besuchten.

Hauptschule in Kelberg

Ein Blick in die Geschichte der Hauptschule in Kelberg und ihre Wirkung soll zeigen, dass die Einschätzung der Ministerin (s.o.) die Wirklichkeit der Hauptschularbeit gut charakterisiert. Am Beispiel der Hauptschule Kelberg möchte ich einige Merkmale, die diese Schulart gekennzeichnet haben, nochmals in Erinnerung und ins Bewusstsein rufen. Eingeleitet wird dieser Abschnitt mit einer kurzen Übersicht aus der Schulchronik.

Zur Chronologie der Kelberger Schule

Aus Chroniken geht hervor, dass seit 1737 in Kelberg Unterricht angeboten wird. 1785 wurde das erste Schulgebäude errichtet.

1930: Bau einer dreiklassigen Volksschule für die Gemeinden Hünerbach, Kelberg,

Köttelbach und Zermüllen. 1945: Totale Zerstörung der Schule durch den Luftangriff am 16.01.1945. 1953: Nach dem Wiederaufbau nimmt die Schule als katholische Volksschule ihre Unterrichtsarbeit auf. 1966: Weiterer Ausbau und Erweiterung des Einzugsbereiches. Für die Schüler der aufgelösten Standorte bzw. Oberstufen wird eine Busbeförderung eingerichtet. 1967: Nächster Erweiterungsbau und Ausdehnung des Schulbezirks

Name: St.Martin – Katholische Bekenntnisschule – Kelberg

1969/1970: Gebiets- und Verwaltungsreform Kelberg gehörte bis zur Reform zum Kreis Mayen und zum Bezirk Koblenz. Mit 33 Ortsgemeinden bildet Kelberg eine Verbandsgemeinde. Sie wird dem Kreis Daun und dem Bezirk Trier zugeordnet. 1971: Die Kelberger Volksund Mittelpunktschule erhält den Status einer „Organisatorisch verbundenen Grund-und Hauptschule“. Als Gemeinschaftsschule verzichtet sie auf eine konfessionelle Prägung.

1978: Vollendung des 3.Bauabschnittes 1992/93: 4. Bauabschnitt: Zweigeschossiger Anbau und Beginn der Generalsanierung.

Pädagogisches Konzept der Hauptschule

Die Ausbau- und Erweiterungsmaßnahmen waren notwendig geworden, damit die konzeptionellen, bildungspolitischen Vorgaben vor Ort umgesetzt werden konnten. Die Hauptschule wird wie die Realschule bzw. Gymnasium als weiterführende Schule angesehen. Der Hauptanteil der SchülerInnen soll die Hauptschule besuchen. Statt der früheren „volkstümlichen Bildung“ orientiert sich der Unterricht an den Bezugswissenschaften mit erhöhten Anforderungen in den Naturwissenschaften und Mathematik, mit Fachunterricht,

Leistungsdifferenzierung und einem Wahlbereich. Für alle Kinder ist Englischunterricht verpflichtend. Das Fach Arbeitslehre übernimmt als profilbindender Schwerpunkt die Hinführung zur Arbeits- und Wirtschaftswelt.

Die Methoden der Unterrichts- und Erziehungsarbeit berücksichtigen die Lernvoraussetzungen der Kinder in der Hauptschule. Fachlehrer (in der Regel mit zwei Fächern) lösen den „pädagogischen Zehnkämpfer“ ab.

Die Lernmittelausstattung soll den neuen Herausforderungen gerecht werden.

Kleine Dorfschulen werden zu Mittelpunktschulen zusammengelegt.

Im Kreis Daun und in der Verbandsgemeinde Kelberg werden die KMK-Empfeh-lungen zügig umgesetzt. Die Chronologie der Schule hat gezeigt, dass die Schulen in der Verbandsgemeinde nach und nach aufgelöst worden sind und die Kinder nach Fertigstellung der verschiedenen Bauabschnitte die Mittelpunkt- bzw. Hauptschule besuchen konnten. Die Grundschule bildete mit der Hauptschule in Kelberg eine pädagogische Einheit. In den 70er Jahren besuchten etwa achtzig Prozent eines

Schülerjahrgangs die Hauptschule.

(Zum Vergleich: Bei der Einrichtung der Regionalen Schule in Kelberg 1997 wurden 75 Prozent der Kinder der Klassen 4 ins 5. Schuljahr eingeschult).

Obwohl in Kelberg Schulträger, Lehrerkollegium und Elternschaft positive Grundlagen für gute Schullaufbahnchancen zur Verfügung stellten, haben immer mehr Eltern ihr Kind nach dem 4. Schuljahr an einer weiterführenden Schule in Daun angemeldet. Als nach dem Regierungswechsel in Mainz die Empfehlung der Grundschule durch die Stärkung des Elternwillens relativiert worden ist, wechselten im Laufe der Jahre immer mehr nicht empfohlene Kinder zur Realschule bzw. zu Gymnasien in der Kreisstadt. Um diesen Trend, der bundesweit viel dramatischer verlief, zu stoppen, wurde zu Beginn des Schuljahres 1993/94 ein freiwilliges 10. Schuljahr eingerichtet. Durch einen erfolgreichen Abschluss dieses Schuljahres konnten die Kinder an der Kelberger Hauptschule die „Mittlere Reife“, den qualifizierten Sekundar I-Abschluss erreichen. Diese Erweiterung des Bildungsangebotes hat vorübergehend dazu beigetragen, dass wieder mehr Grundschulkinder die weiterführende Schule in Kel-berg in Anspruch nahmen. Die Errichtung der Regionalen Schule 1997 bedeutete das Ende der traditionellen Hauptschule. Ein neues pädagogisches Konzept mit ande-

ren Organisationsstrukturen läutete eine neue Schulära ein.

„Erfolge“ der Hauptschule

Hauptschule und Leistung

Ein leistungs- und schülerorientierter Unterricht in A- und B-Kursen in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch hat dazu beigetragen, dass die meisten SchülerInnen gute Startchancen in der Ausbildung und in anderen Schulen (z.B. Berufsfachschule, gymnasiale Oberstufe) hatten. Leistungsschwächeren Kindern wurden unterschiedliche Hilfen angeboten, damit sie den Abschluss der Berufsreife erreichen konnten. Die Lei-

stungsfähigkeit der Kelberger Schule kann man u.a. daran erkennen, dass viele ehemalige SchülerInnen erfolgreich im Handwerk, in der Verwaltung und in der Wirtschaft arbeiten konnten. Die Schullaufbahn der Hauptschule endete nicht in einer Sackgasse.

Das mediale Angebot an der Schule unterstützte wirkungsvoll die Unterrichtsund Lernprozesse. Sehr früh konnte mit Hilfe des Schulträgers ein Computerraum eingerichtet werden, auf den andere weiterführende Schule lange Zeit warten mussten. Das gesamte Grund- und Hauptschulkollegium nahm geschlossen an einem Einführungslehrgang in die neue

Technologie teil. Das hatte zur Folge, dass die Schüler zeitig an die Arbeit am Computer herangeführt wurden.

Hauptschule und Integration

Zu den besonderen Verdiensten der Hauptschule (nicht nur in Kelberg) gehörten ihre Bemühungen zur Integration verschiedener Schülergruppen. Keine andere Schulart in unserem Kreis hat so viele Kinder von Aussiedlern und Kinder mit Migrantenhintergrund erfolgreich unterrichtet und diesen Kindern den Weg in unsere Gesellschaft geebnet, obwohl die unterrichtlichen Rahmenbedingungen (z.B. Klassengröße) oft nicht ausreichend waren. Auch im Schulversuch im Kreis Daun (Beginn 1990/1991) „Erprobung einer Förderschule mit integrierten Fördermaßnahmen an allgemeinen Schulen“ leistete die Hauptschule einen wichtigen Integrationsbeitrag. Kinder mit Lern- und Verhaltensproblemen wurden in vielen Fällen so differenziert gefördert, dass sie ihre Schullaufbahn in der Hauptschule fortsetzen konnten.

Die meisten Schüler, die ohne Empfehlung die Realschule oder das Gymnasium besuchten, wechselten im 7. oder 8. Schuljahr zur Hauptschule. Diesen SchülerInnen fehlten oft Selbstvertrauen und Lernmotivation; nicht selten zeigten sie Verhaltensauffälligkeiten. Die Integration dieser Schülergruppe war eine ständige Herausforderung.

Hauptschule und Arbeits- und Wirtschaftswelt

Die verschiedenen Schwerpunkte des Faches Arbeitslehre sowie Betriebspraktika und –erkundungen waren wichtige Bausteine und Erfahrungsfelder für die Berufswahl.

Da viele HauptschülerInnen nach ihrer Kelberg Schulzeit die Berufsbildende Schule in Gerolstein besuchten, bot sich eine Kooperation mit dieser Schulart an. Aus einem Pilotprojekt – das Kelberger Kollegium informierte sich an der

BBS im Rahmen einer Fortbildung - ist eine tragfähige Form der Zusammenarbeit gewachsen.

Auch hat die Berufsberatung durch das Arbeitsamt die Berufsfindung entscheidend gestützt.

Hauptschule und gesellschaftliches Engagement

Fast alle Hauptschulen haben je nach Schulprofil neben sportlichen und musischen Schwerpunkten auch soziale Projekte gepflegt. Die Kelberger Grund- und

„Pioniere“ der Hauptschulentwicklung in unserem Kreis

Folgende Schulleiter haben mit ihrer Schulgemeinschaft die

Weichen für eine positive Entwicklung der Hauptschule am

jeweiligen Schulstandort gestellt.

Annen, Adolf

HS Daun

Holzhäuser, Paul

GHS Gillenfeld

Jakob, Josef

GHS Jünkerath

Krings, Karl

HS Daun, Schulrat

Maas, Wunibald

GHS Kelberg

Meyers, Alois

GHS Niederstadtfeld

Schuhn, Josef

Hauptschule Hillesheim

Tarter, Willi

Hauptschule Gerolstein

Wollscheid, Günther

GHS Gillenfeld, Schulrat, MdL

Hauptschule fühlte sich ihrem Namensgeber „St. Martin“ verpflichtet und beschloss am 11. November 1986 eine Schulpartnerschaft mit der Schule in Mubumbano in dem rheinland-pfälzischen Partnerland Ruanda. Diese Partnerschaft hat den Bürgerkrieg überdauert und war Grundlage für den Landes-Ruanda-Tag in Kelberg. Der ganzheitliche Bildungsansatz, der sich an der Kelber-ger Hauptschule im Laufe der Jahre entwickelte, fand seine Konkretisierung in sportlichen, musischen, religiösen und gesellschafts-politischen Angeboten.

Hauptschule und Schulgemeinschaft

Der Erfolg der Unterrichtsund Erziehungsarbeit hing und hängt auch heute noch von dem jeweiligen Engagement der Lehrpersonen, der Schüler, der Eltern und des Schulträgers ab. Die Verantwortlichen in der Verwaltung und den Gremien der Verbandsgemeinde haben mit hohem finanziellem Engagement sehr gute Rahmenbedingungen für das Lehren und Lernen in der Kelberger Schule geschaffen. Diese Aussage trifft auch auf die anderen Verbandsgemeinden zu. Im Unterricht entwickelten gerade die Hauptschullehr-personen neben der fachlichen Kompetenz ein hohes Maß an pädagogischer Sensibilität. Die Leistungs- und Herkunftsunterschiede der Schüler waren eine ständige Herausforderung. Erziehung kann nur gelin-

gen, wenn Elternhaus und Schule in einer Erziehungspartnerschaft vertrauensvoll zusammenarbeiten. Das gilt besonders für die Kooperation von Elternhaus und Schule. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Elternvertreter an der Kelberger Grund- und Hauptschule einen substanziellen und zielfördernden Beitrag geleistet haben. Besonders die Ehrenamtlichen im Förderverein haben die Entwicklung der Hauptschule und einzelne Schüler mit finanzieller Unterstützung und anderen Hilfen gefördert.

Auf Herrn Wollscheid geht die Initiative der Gründung der „Kooperativen Gesamtschule Daun“ zurück. Die Gymnasien, die Realschule und Hauptschule in Daun, sowie die Hauptschulen Gil-lenfeld, Kelberg und Niederstadtfeld beteiligten sich an einem Schulversuch, der eine effektivere Durchlässigkeit in der gesamten Sekundarstufe I erproben sollte. Dieser Schulversuch hatte

auch die Absicht, die Hauptschule als gleichwertige Schulart im Sekundar-I-Bereich zu profilieren.

Hauptschule

und Schulreformen

Ob die Abschaffung der Hauptschule und die Einführung der Realschule plus ein richtiger Reformansatz ist, muss die Zukunft zeigen. Die Würdigung der Leistung der Hauptschule durch unsere Ministerin (s. Zitat am Anfang) bleibt gerechtfertigt. Leider haben das Wahlverhalten der Eltern und die dramatisch zurückgehenden Schülerzahlen das Ende der Schulart Hauptschule trotz ihrer Vorzüge beschleunigt. Befürchtungen lassen sich nicht von der Hand weisen, dass jetzt noch mehr Schüler ohne Eignung zum Gymnasium wechseln. Vielleicht ist auch politisch gewollt, dass das Ende der Hauptschule den Ausgangspunkt für die Schaffung größerer, integrierter Schulsysteme in unserem Land bildet.