Reisen war damals ein Abenteuer

Der „Kreis Daun“ vor 200 Jahren

Mitgeteilt von Werner Schönhofen, Leutesdorf

In seinem Buch „Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der Französischen Republik (1798) in Briefen an einen Freund in Paris“ Berlin 1808, schildert Johann Nikolaus Becker unter anderem eine Wanderung von Kelberg nach Hillesheim um 1800. Verständnishalber sollte man wissen, dass Becker ein Anhänger der Franzosen war, der deren Einfall in die Eifel als eine fortschrittliche Bereicherung ansah. Durch deren Bewegung „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ könne jetzt endlich dem rückständigen (Eife-ler) Volk, als Folge des Feudalismus, geholfen werden, was er unter anderem auch durch seine folgende subjektive Zu-standsbeschreibung zum Ausdruck bringen wollte. (Die damalige Rechtschreibung wurde in etwa der heutigen angepasst.)

„Schlechter gibt es nichts als die Wege in diesem Lande. Ohne Führer ist es kaum möglich, sich zurechtzufinden. Ich schlug auf der Höhe vor Kelberg einen Fahrweg ein, weil ich sicher glaubte,

er würde mich wenigstens zu Menschen führen. Aber abgerechnet, dass mir keine Seele begegnete, hörte mein Weg auf einmal mitten im Walde auf, und ich stand in einer mir unbekannten Gegend einsam da.

Die Sonne war schon hinter den Berg gesunken, und im Walde fing es schon an dunkel zu werden. Ich sah nur zwei Wege vor mir, aus dieser Verlegenheit zu kommen, entweder gerade vorwärts zu gehen, und zu versuchen, ob sich irgendein Dorf von mir finden lassen wollte, oder die Nacht im Walde zuzubringen. Der erste schien mir gefährlich. Ich wusste nicht, wie weit der Wald noch gehen konnte, und musste fürchten, mich immer tiefer zu verirren. Ich wählte den letzten, und kauerte mich getrost unter eine alte Eiche, um so den Morgen und mit ihm meine Erlösung abzuwarten. Der Mond war eben aufgegangen, als ich entschlummerte. Ich möchte wohl zwei bis drei Stunden so gelegen haben, als ein heller Gesang an meine Ohren schlug und mich erweckte. Nicht weit von mir, zur Rechten, sah ich ein großes Feuer brennen, um das sich einige Männer im Kreise gelagert hatten. Ich muss Dir nur gestehen, dass es mir nicht wohl bei diesem unerwarteten Anblicke zu

Mute ward. Der Gedanke an Räuber war zu dieser Zeit und an dieser Stelle sehr natürlich. Ich war unentschlossen, was ich tun sollte. Aufstehen und mich fortschleichen konnte ich nicht. Die Herren waren mir zu nahe, als dass ich nicht von ihnen hätte bemerkt und gehört werden müssen. Indem stand Einer von ihnen auf, und ich konnte bei dem Schein des Feuers ziemlich deutlich erkennen, dass es ein Bursche war, den ich bei dem Pfarrer zu Kelberg schon gesehen hatte. Nun stand ich auf und ging hin. Sie kannten mich Alle, und waren verwundert, mich hier zu sehen. Sie hüteten da ihre Pferde, und, um munter zu bleiben, hatten sie ein großes Feuer angezündet. Ich hörte nun mit Erstaunen, dass ich nur eine halbe Stunde von Kel-berg entfernt war. Dahin zurück wollte ich nicht. Ich bat also einen von ihnen, mich auf das erste beste Dorf zu führen, das auf dem Wege nach Prüm liege. Aber da wusste keiner Rath, denn keiner war noch in Prüm gewesen und wusste, wo es lag. Ich nahm nun meine Landkarte zu Hilfe, um ungefähr den nächsten Ort aufzusuchen. Ich fand Hillesheim. Aber bis dahin waren es noch drei starke Stunden. Indessen hatte ich nun so viel gewonnen, dass sie mich weiter bringen

konnten, denn sie kannten die Stadt Hillesheim, wie sie sagten, alle wohl. Das nächste Dorf auf dem Wege dahin war eine Stunde weit entfernt und hieß Bongard. Ich brach mit Hannes, so hieß mein Führer, dahin auf. Hannes war sehr gesprächig, und es ging ihm in der fin-stern Nacht gerade so wie Scherasmin im Oberon. Herr, fing er an, in diesem Walde ist’s nicht just. Da geht ein Mann mit einem Mantel von Blei drin um, der in seinem Leben den Bauern unrichtiges Holzmaß gegeben hat; er klopft mit einem Hammer an die Bäume, und wer ihm in den Weg kommt, dem schlägt er den Hirnkasten ein. Indem hörten wir von fern, wahrscheinlich einen Holzdieb, an einem Baum schlagen. Mein Hannes tat einen lauten Schrei: Da kommt er, da kommt er! Und ohne sich weiter um mich zu bekümmern, lief er bergein, als ob er den bösen Kobold schon auf der Hauben hätte. Glücklicherweise hatte er bald eine Wiese vor dem Walde erreicht, wo er sich niedersetzte und aus Leibeskräften zu schreien anfing. Ich durfte also nur der Stimme nachgehen, um mich aus dem Walde herauszufinden. Hannes freute sich kindisch, als er mich wieder hatte, und tat mir den Vorschlag, auf dieser Wiese den Morgen zu erwarten, denn da könnte uns der böse Geist nichts anhaben, weil es eine Kirchenwiese wäre. Ich machte Vorstellungen, ich bat, ich drohte. Umsonst. Ich musste

nachgeben. Wir legten uns beide nieder und schliefen bis an den Morgen. Bongard lag vor uns. Ich nahm von meinem Führer Abschied, und ging fürder, schon lüstern auf das Frühstück, das ich da einnehmen wollte. Aber in Bongard war leider keine Schenke zu finden. Ist denn kein Pastor hier? Fragte ich einen Mann. Man wies mich zum Frühmessemacher [Anm.: Geistlicher, der den Bauern eine Frühmesse hielt und sie so bald an die Stall-und Feldarbeit konnten.]. Ich fand den Mann in einem kleinen Häuschen in der Küche beschäftigt, sich seinen Frühkaffee zu brauen. Nach einigen Entschuldigungen, ob ich mit einem Kaffee und einem Stück Fladen vorlieb nehmen wollte, führte er mich in seine Stube. Ich staunte. Die vier Wände waren mit Büchern von oben bis unten besetzt. [Anm.: Es handelte sich um religiöse Literatur, die nicht die Zustimmung des Freigeistes Becker fand.] Nach einigen Stunden brach ich auf. Mein gastfreier Wirth begleitete mich bis Ober-Ehe, ein Dorf, das eine Stunde weit von dem seinigen liegt. Wir kamen durch sumpfige Wiesen, über dürre Heiden, Berge und durch Wälder. Der Weg war oft romantisch, aber das Land rund umher durchaus wild und unfruchtbar. Von einem hohen Berge herab sahen wir Ober-Ehe zu unsern Füßen liegen. Am ende des elendesten schmutzigsten Dorfes nahm sich ein herrschaftliches Schloß gut genug aus. Es liegt unten im Thale

und frappiert [Anm.: erstaunt], wenn man es auf ein Mahl, indem man aus einem düstern Wald hervortritt, tief unter sich liegen sieht. Es gehört dem Grafen von Metternich-Winneburg, der es vor ungefähr achtzehn Jahren von dem ehemaligen Besitzer, einem Herrn von Veyder, gekauft hat...

Mein Begleiter nahm es auf sich, mich bei dem Beamten, der sein Freund ist, und im Schlosse wohnt, einzuführen. Wir wurden unter dem Tho-re von einem freundlichen Mädchen, der Schwägerin des Beamten, empfangen und mit frischer Milch bewirtet. Unser Mittagessen war ländlich und frugal [Anm.: Hier in der Bedeutung von köstlich.] Ich labte mich nach vierzehntägiger schlechter Bewirtung während meiner Streifereien durch das Land, hier an köstlichen Stein-Forellen, von schönen Händen bereitet und aufgetragen.

Nachmittags machten wir einen Spaziergang nach Hohenfels, einem Dorfe, das schauerlich schön zwischen nackten Felsen in der abgeschiedensten Gegend liegt. Ich ging in verschiedene Häuser, und ließ mich mit den Bauern in Gespräche ein... [Anm.: Becker will sie über die politischen Verhältnisse und ihre neuen Rechte als Untertanen Frankreichs aufklären. Das Land hier gehörte als Departement Rhein und Mosel zu Frankreich bis 1814.]

Am andern Tage mit dem frühesten machte ich mich nach Hillesheim auf, das noch

eine starke Meile von OberEhe entfernt liegt. Der Weg geht wie gewöhnlich in dieser Gegend, durch Sümpfe, Heiden, Gebüsche und Wälder, bis dicht an das Dorf, das in einem Thale liegt, und um nichts besser ist, als die gewöhnlichen größeren Dörfer dieses Landes. Die Leute rund umher tun ihm zwar die Ehre

an, es eine Stadt [zu] nennen, und nach ihren Begriffen mag es auch wohl eine Stadt sein. Die Menschen kommen hier selten über die grenzen ihres Kirchspiels hinaus, und selten findet man einen, der in seinem Leben eine Stadt gesehen hat. Was Wunders also, dass er ein großes Dorf, das ein wenig besser aussieht als das

seinige, ein Dorf, in dem es einen Pastor, einen Beamten, einen Krämer und ein Kloster gibt, dass er ein solches Dorf für eine Stadt ansieht. Ich traf in Hillesheim einen alten Bekannten, mit dem ich noch eine Meile weit landeinwärts zog, und dann ... mit ihm an die Mosel zurück-kehrte...“ (S. 341ff.)