Eine Region, in der andere Urlaub machen

Die Eifel – meine Heimat

Clothilde Retterath, Lind

Was ist Heimat?

Da, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Dort, wo ich lebe, wo mein Zuhause ist, aber auch dort, wo meine Familie heimisch ist. Da, wo meine Wurzeln sind. Für mich kann ich alle diese Punkte mit „in der Eifel“ beantworten.

Selbst meine Vorfahren müssen seit vielen Generationen bereits in der Eifel heimisch gewesen sein. Dies beweist schon mein Nachname, der seinen Ursprung von dem Ort „Retterath“ im Vulkaneifel-kreis hat.

Nach meiner persönlichen Definition ist Heimat dort, wo man geliebt wird und sich geborgen fühlt. Karl Jaspers, ein deutscher Philosoph, der von 1883 bis 1969 lebte, drückte sich so aus:

„Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde.“

So ähnlich empfand auch vor ihm schon Johann Gottfried von Herder, deutscher Dichter und Philosoph (1744 – 1803): „Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss.“ Die sanften Hügel der erloschenen Vulkanlandschaft, die wunderschönen Maarseen

als „Augen der Eifel“, die vielfältig blühenden Wiesen, artenreichen und ruhigen Wälder und im Sommer wogende Getreidefelder machen es einem leicht, sich in der Eifel wohl zu fühlen. Was man vor der Haustüre hat, lernt man erst zu schätzen, wenn man einmal weggewesen ist. „In der Fremde erfährt man, was die Heimat wert ist.“, erklärte Ernst Wiechert (18.05.1887 -24.08.1950).

Mein erstes Heimweh in der „Fremde“ bekam ich als Kind im 2. Schuljahr bei organisierten dreiwöchigen Kinderferien in Kronenburg. Nicht alle Kinder dort waren nett, und es regnete ununterbrochen. Einzelne Kinder wurden reihenweise von ihren Eltern abgeholt. Ich hielt durch, aber es führte dazu, dass ich jahrelang nicht mehr in die Ferien wollte. Gedanklich lief bei mir dann öfter eine bestimmte Szene ab und zwar die Sicht, die man bei der Einfahrt in meinen Heimatort hatte. Nach der Linkskurve sah man das gelbe Ortsschild und den Stall mit seinem markanten Giebel von Bauer Hein. In dieser Zeit ein Symbol für das Heimkommen zu meiner Familie. Einige Jahre später verbrachte

ich glückliche Ferienfreizeiten für Kinder in der Katholischen Landvolkshochschule in Kyllburg. Bei der Anreise mit dem Auto fühlte ich mich in weiter Ferne, wenn ich auf einer Weide entlang der Straße schwarzweiß gefleckte Kühe sah, statt der gewohnten braunweißen daheim. Hier sahen sogar die Kühe anders aus, dachte ich, obwohl ich tatsächlich bloß in einen Nachbarkreis gefahren war. Wie bei einer Expedition in ferne Kontinente, so fühlte ich, wenn ich im Pkw mit meinen Eltern nach Trier fuhr und entlang der Autobahn die geologische Besonderheit erblickte: Hier war die Erde rot! Und ich empfand dies als kleines Kind wie in Afrika oder Australien. Heimat ist aber auch eine Vertrautheit der Sprache und des Dialekts.

„Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache. Sie bestimmt die Sehnsucht danach, und die Entfernung vom Heimischen geht immer durch die Sprache am schnellsten.“, sagte schon Wilhelm Freiherr von Humboldt, der vom 22.06.1767 bis 08.04.1875 lebte.

Auch während meines Studiums in Köln verbrachte ich

die Wochenenden daheim bei meinen Eltern in der Eifel. Deshalb fuhr ich regelmäßig mit dem Zug. Wenn ich dann freitags nachmittags vom D-Zug in die Eifelregional-bahn umstieg, fühlte ich mich schon dort halb zu Hause, da mir das Geschnatter der Eifelbewohner mit ihrem typischen „Eifeler Platt“ so vertraut war.

Der Ausdruck „Ich fahre nach Hause“, bedeutete für mich viele Jahre, dass ich zu meinen Eltern heimfuhr. Für meine Singlewohnung empfand ich diese Redewendung lange Zeit als nicht passend. Doch eines Tages telefonierte ich von einer Telefonzelle aus mit meiner Schwester, die mich fragte, was ich gleich noch so mache. Ich antwortete, ich fahre anschließend in meine Wohnung. Etwas später rief ich meine Mutter an. Sie war ganz erstaunt, denn sie glaubte, ich sei bereits unterwegs zu ihr. Sie sagte: „Ich dachte, du kommst gleich. Deshalb habe ich eben die Pfanne auf den Herd gestellt, um dir was Leckeres zuzubereiten. Mit deiner Schwester habe ich zufällig vor ein paar Minuten telefoniert und sie hat erzählt, du hättest gesagt, du würdest gleich heimfah-ren.“ Ein Missverständnis. Unbewusst hatte ich zum ersten Mal das Wort „heim-fahren“ mit meiner eigenen Wohnung verwendet und nicht wie sonst mit dem Elternhaus.

Dies bedeutete, ich fühlte mich endlich auch in meiner

Wohnung irgendwie zuhause. Andrej Sinjawski, ein russischer Schriftsteller (1925 – 1997), hätte dazu nur gesagt:

„Heimat ist kein geografischer Begriff. Man trägt sie in sich selbst.“

Wollte mich jemand aus der Großstadt Köln damit necken, dass ich aus der Eifel kam, ließ ich mich nicht beirren und entgegnete: „Na und? Ich komme aus einer Region, in der andere Leute Urlaub machen.

Mittlerweile hat doch jeder Städter, der was auf sich hält und es sich leisten kann, sein Ferienhaus in der Eifel.“ So gefiel mir anfangs auch nicht wie der Autor Jacques Berndorf das Klischee der zwar schönen, aber rückständigen Eifel gerne schürt, wenn er beschreibt, dass die Hauptfigur seines Eifel-Krimis an einem Autounfall vorbeifährt, bei dem ein Eifeler, nur in langer Unterhose bekleidet, aussteigt und seinen Schaden begutachtet. Solche Geschichten, die ja in ganz Deutschland gelesen werden, führen dazu, dass sich so ein untypisches Bild von den Ei-felern durchsetzt. Ich dachte, der Autor weiß gar nicht, was er den Eifelern, die sich aus beruflichen oder privaten Gründen fern der Heimat aufhalten, damit antut. Bis ich eines Sonntag morgens gegen zehn Uhr selbst am Haus einer bekannten Familie vorbeifuhr und deren Mutter auf dem Bürgersteig im Frottee-Pyjama erblickte, wie sie sich in das Fenster eines haltenden Wagens

beugte, und mit den Insassen sprach. Zumindest ähnelte diese Szene der, über die ich gelesen und die mich so empört hatte. Nun musste ich doch schmunzeln und tief im Innern zugeben, dass manche Geschichten, wenn sie auch stark übertrieben sind, irgendeinen, wenn auch kleinen Funken Wahrheit in sich tragen. Jedenfalls ist so ein Anblick eine Kuriosität, die man mit viel Glück höchstens einmal im Leben zu sehen bekommt, und in der Eifel auf keinen Fall gang und gäbe! Eines Tages erzählte mir mein Chef, er habe gerade ein Vorstellungsgespräch mit einer Eifelerin geführt. Ob ich sie vielleicht kennen würde? Und tatsächlich war mir die Dame bekannt. „Und hast du sie eingestellt?“, fragte ich, und er antwortete, dass er das vorhabe. Spontan erkannte ich belustigt: „Aha, weil du mit mir schon so gute Erfahrungen gemacht hast und ich aus der Eifel stamme, hast du dir gedacht, dass du beruhigt wieder jemanden aus der Eifel nehmen kannst.“ Daraufhin wusste mein Chef, der ansonsten nicht auf den Mund gefallen war, nichts Gegenteiliges zu erwidern, und wir lachten alle amüsiert. Denn wir wussten, im Grunde hatte ich Recht.

Ich denke, die Menschen in der Eifel sind im Allgemeinen weder besser noch schlechter als in anderen Regionen oder Städten, doch muss man viele Stunden fahren, um eine schönere Landschaft zu finden.