Mancher gibt sich viele Müh’ mit dem lieben Federvieh

Erinnerungen an meine Kinderzeit

Bernhard Klärs, Oberbettingen

1941 wurde ich als der älteste Sohn von fünf Kindern in Oberbettingen in einer Mühle geboren, die im 18. Jahrhundert erbaut wurde und sich seit 1906 im Familienbesitz befindet. Mein Großvater und mein Vater waren Müllermeister.

Ich habe schon früh Aufgaben und Pflichten übernehmen müssen. Eine dieser täglichen Aufgaben war das Füttern der Hühner und das Einsammeln der Eier. Im Frühjahr kam die Obhut der bis zu sechs Bruthennen dazu. Diese wurden dann auf ein Nest, je nach Größe der Bruthenne, mit neun bis zwölf Eiern gesetzt. Die auszubrütenden Eier wurden außerdem in der Nachbarschaft untereinander ausgetauscht und nach Größe und Form ausgewählt. Man war der Meinung, aus kleineren, ovalen Eiern würden mehr Legehennen schlüpfen. Schon bald stellte ich fest, dass dies so nicht stimmte und keinerlei Auswirkungen auf das Geschlecht der Küken hatte. Zudem sollte mit dem Austausch der Bruteier eine Inzucht des Hühnervolkes vermieden werden. Dies schien mir bei späterer Betrachtung nicht notwendig, waren doch die Hähne meistens fleißig und in

der ganzen Nachbarschaft tätig. Aber nicht nur die Hähne, sondern die ganze Sippschaft des Hühnervolkes, machten mir damals genug Ärger. Es gab keine Zäune und Barrieren, die sie in Ihrer Freiheit beeinträchtigten. So konnten sie ihre Futtersuche auch auf „Nachbars Garten“ ausdehnen. Besonders arg war dies im Frühjahr, wenn die Beete umgegraben, gelockert und neu eingesät waren. Da wurde nach der Lieblingsspeise der Hühner, den Regenwürmern, gescharrt und gefressen und dann auch noch zu guter Letzt eine Kuhle gebuddelt, in die hinein sich zur Mittagsruhe und zur Verdauung gelegt wurde. Meist endete diese Ruhephase aber sehr abrupt, wenn der Gärtner zu seinem Entsetzen das gemütlich vor sich hin dösende Hühnervolk in seinem mit Liebe angelegten Beete sah. Der „gerechte Zorn“ überkam ihn und nach einer Kanonade von Beschimpfungen und Flüchen ging der Erboste flugs zum Angriff über. Die nächstliegende Latte, Stange oder ähnlich anmutendes „Kriegs-gerät“ kamen zum Einsatz. Steine, Dreckklumpen und Hände voll Erde flogen durch die Luft. Viele Federn des armen und unschuldigen

Federviehs wirbelten durch die Luft. Einige schafften es mit sicheren Schwingen über den Zaun, anderen hingegen blieben vor Schreck „auf der Strecke“. Ein gebrochener Flügel oder ein zerschmettertes Bein waren häufig der Grund für eine „Notschlach-tung“. Eine gute Hühnersuppe entschädigte dann meist für den eigentlich im Vorfeld schon programmierten Streit mit der Nachbarschaft, der aber zum Glück selten lange dauerte.

Saßen die Bruthennen aber auf ihren Eiern, waren sie kaum zu bewegen, das Brutgeschäft zu unterbrechen. Wie bei manchen Vögeln üblich, waren und sind die Hähne nicht bereit, ihrem Nachwuchs ins Leben zu helfen. Musste die Bruthenne einmal zur Futteraufnahme und zur Bewegung das Gelege verlassen, zog ich sie an den Schwanzfedern. Honoriert wurde dies jedoch mit einem blitzschnellen und heimtückischen Schnabelhieb auf meine Finger. Mancher blaue Fleck war das Resultat dieser Fürsorge. Hatten sie sich dann mal unter gackerndem Protest vom Brutnest erhoben, waren sie jedoch nicht so schnell wieder zu bewegen, sich wieder dorthin zu begeben, wo

sie hingehörten um die Eier nicht auskühlen zu lassen. Nach drei Wochen Brutzeit war es dann endlich geschafft. Die Küken schlüpften! Die besorgten Bruthennen wurden in ihrer Fürsorge um die Kleinen noch aggressiver. Kam ich ihnen zu nahe, setzten sie mit gespreizten Flügeln und einsatzbereitem Schnabel zum blitzschnellen Spurt an. Schön war hingegen der Anblick, wenn die Henne ihre Küken unter ihre Flügel nahm und einige vorwitzig darunter hervor schauten. Bei allen meinen Erfahrungen und Erlebnissen mit dem lieben Federvieh, bei allen Vorzügen die Eier, Fleisch und weiche Federkissen haben, habe ich aber immer noch den Reim eines Lehrers aus der Zeit meiner Ausbildung zum Landwirtschaftsmeister im Ohr: „Willst du pleite gehen

und weißt nicht wie, so halte sehr viel Federvieh!“ Eine andere Aufgabe, die mir in der Kindheit aufgetragen wurde, war das Hüten der Kühe. Das „Rindvieh“ stand meinem Herzen auch wesentlich näher, als das vorher beschriebene Hühnervieh. Schon sehr früh mit neun Jahren konnte ich die Kühe mit der Hand melken, was ich oft alleine tat. Melkmaschinen kannte man damals noch nicht.

Wir Kinder trafen uns beim Kühehüten. Mehr als einmal geschah es, dass ich die Kühe der Nachbarskinder melken musste, damit Pudding gekocht werden konnte. Einzige Bedingung war, dass sie während dieser Zeit meine Kühe mit hüten und mir vom Pudding abgeben mussten. Das Hüten der Kühe wurde sehr ernst genommen. Zum einen

waren oft Klee- oder Rübenfelder in der Nähe, die eine ähnliche Anziehung darstellten wie Nachbars Garten für die Hühner, zum anderen durfte das nie der damalige „Feld- und Wiesenhüter“ Irrelbecks Schorsch mitbekommen. Irrelbecks Schorsch war ein Bayer, und er kam -Gott weiß warum - immer im unpassenden Moment. Dann war, trotz Sonnenschein, mit Blitz und Einschlag in Form seines mitgeführten Spazierstocks auf unserem Hosenboden zu rechnen. Im Krieg und auch noch bis 1950 wurden in unserer Mühle wöchentlich 99 (!) Brote gebacken. Das lag daran, dass wir den größten Backofen (Backes) im Dorf besaßen. Dreimal in der Woche war bei uns Backtag. Dreiunddreißig Brote passten in eine Ofenladung.