Fallobst

Ingeborg Freisinger, Bad Reichenhall

Ein dumpfer Aufprall: Der Apfel hatte sich vom Baum gelöst und war mir vor die Füße gefallen. Ins Gras. Deshalb blieb er ganz. Ich hob ihn auf und roch daran: Welch ein Duft! Er versetzte mich in die Zeit meiner Kindheit... So hatten die Äpfel geduftet, die wir mit unserer Oma sammelten, zur Fallobstzeit in Ürzig an der Mosel. Wir gingen über die Wiesen mit den vielen Apfelbäumen, beladen mit köstlicher Last. Oma trug die große Tasche, in die wir die duftenden Äpfel sorgfältig legten. Ob wir die einzigen Fallobstsammler waren? Ob damals eine allgemeine Erlaubnis zum Sammeln bestand oder ob es eine Absprache zwischen meiner Großmutter und den Besitzern der Streuobstwiesen gab weiß ich nicht. Es ist nur dieses Bild: Viele Bäume auf der Wiese, gelbe und rote Äpfel im Gras, in Omas Tasche und in meiner Schürze; meine Oma, die dunkel gekleidete

Frau und ich – und der Duft der Äpfel in meiner Nase – welch ein Duft! Dann mit gefüllter Tasche und Schürze den Berg hinunter. Ein neues Bild: Oma sitzt vor dem Apfelberg, entfernt die faulen und wurmigen Stellen, bereitet die Äpfel zu für Apfelkuchen, -kompott. Ich stehe daneben und staune, wie hauchdünn sie einen Apfel schält, ringsherum, bis eine lange Apfelschalenschlange herunter hängt. Sie schneidet den nackten, feuchten, knackigen Apfel in dünne Spalten und steckt mir eine nach der anderen in den Mund – welch ein Genuss... Jahre später in der Eifel: Am Weg von Büscheich nach Michelbach standen Apfelbäume der frühen Sorte – Augustäpfel. Wir Kinder waren häufig auf diesem Weg unterwegs und genossen die herunter gefallenen gelbgrünen Früchte – manchmal halfen wir dem Fall ein wenig nach... An einer

anderen Straße gab es Bäume, deren Früchte später reiften. Sie gehörten der Gemeinde. Im Herbst konnte man sich einen Baum „kaufen“, das heißt, man erwarb das Recht, diesen Baum abzuernten. Die Eifeläpfel waren auch gut und eigneten sich sehr für Kuchen und Kompott. Doch in meiner Erinnerung waren die Moseläpfel köstlicher. Und heute rieche ich wieder den herrlichen Duft eines Apfels - diesmal in Bad Reichenhall – er hält den Vergleich aus. Es ist derselbe Duft – oder sind es die vielen Jahre die dazwischen liegen? Dankbar sammle ich alle Äpfel auf und verarbeite sie zu Kuchen und Kompott. Manchmal schäle ich einen Apfel ringsherum – die hauchdünne Schale hängt als lange Apfelschalenschlange herunter... Ich schneide den nackten, feuchten, knackigen Apfel in Schnitze und stecke mir einen um den anderen in den Mund – welch ein Genuss!