„Graf vom Daxberg“ und die Flaschenpost

Maria Aschemann, Gerolstein

Im Jahre 1993 wurde an der Burgruine Gerolstein eine größere Baumaßnahme durchgeführt. An der nördlichen Ringmauer hatten sich schwere Steinbrocken gelöst und waren zu Tal gestürzt. Das gesamte Mauerwerk musste abgetragen und neu aufgebaut werden. Meine Familie lebt in der fünften Generation auf der Löwenburg, meinem Ur-Ur-Großvater gehörten noch Vorder- und Hinterburg. Darum verfolgte ich auch mit größtem Interesse diese Abtragungsarbeiten. Ich war, genau wie bei einer archäologischen Ausgrabung, äußerst gespannt, was dort zu Tage treten würde. Es kamen Mauerstücke aus den verschiedensten Zeitepochen zum Vorschein, dazwischen lagen immer wieder Tonscherben von zerbrochenen Krügen

und Schalen. Auf einmal wurden Teile der originalen Hofpflasterung der Burg sichtbar, jahrhundertelang verschüttet, die dann leider wieder abgedeckt wurden. Ich bedauerte sehr, dass man sie nicht offenhielt, weil so wenig von der Burgruine erhalten ist. Und dann, bei der Freilegung eines noch erhaltenen Türmchens, fanden die Arbeiter eine alte, mit Zementresten behaftete Flasche. Als ihr Verschluss entfernt wurde, kam eine Papierrolle zum Vorschein mit der nachstehenden Mitteilung, sogar ein Geldschein lag bei. Sofort erkannte ich meines Vaters Handschrift, neben seiner sogar die Unterschriften meiner Großeltern M. (Maria) Horsch und Franz Horsch, samt Stempel ihrer damaligen Sommer-Restauration

sowie die Unterschriften von anderen alten Gerolsteinern, die damals als Maurerkolonne Sanierungsmaßnahmen im Burgbereich begannen. Sie entwickelten wohl beim festlichen Start die Idee, eine Flaschenpost ins Mauerwerk einzulegen, für diejenigen als Spaß gedacht, die an dieser „ewigen Baustelle Löwen-burg“ später einmal tätig sein würden. Sie rechneten damit, dass es eine Weile dauern würde, denn sie verabschiedeten sich zum Schluss entsprechend: „Auf Wiedersehen in der Ewigkeit!“ Als ich den Namen „Graf vom Daxberg“ las, wusste ich, Nett Christ war damit gemeint, und gleich fielen mir einige „Stü-ckelchen“ von diesem Gerol-steiner Original ein, die im-

mer mal wieder in geselliger Runde erzählt wurden: - Foto -

So saß dieser Nett Christ, alias „Graf vom Daxberg“ nach Feierabend mit seinen Leuten in der von meinen Großeltern geführten Burggaststätte, als zwei fremde Damen, Sommerfrischlerinnen, in hier unbekannter modischer Aufmachung eintraten. Nett Christ schlüpfte die Bemerkung: „Kootzmerije“ (Schlampen) in deren Richtung heraus, was die Frauen irgendwie mitbekamen. Sie zeigten sich empört! Nett Christ, nie um einen Ausweg verlegen, erhob sich: „Aber meine Damen, Ihnen scheint die Bezeichnung „Kootzmerrisch“ nicht geläu-

fig zu sein, in Hochdeutsch heißt das doch „Dame von Welt“! Worauf die Sommerfrischlerinnen sich zufrieden gaben und sogar ein wenig stolz als „Damen von Welt“ Platz nahmen. Ein anderes Mal hatte der „Graf vom Daxberg“ mit seinen Leuten die Mittagspause in der Gaststube wohl zu weit überzogen, als zu allem Übel auch noch ein Gewitter drohte. Nett Christ forderte seine Leute trotzdem auf, die in Auftrag genommene Stützmauer fertig zu stellen, was der Mannschaft in aller Hast noch vor Einsetzen des Regens gelang. Doch am nächsten Morgen war das gesamte Mauerwerk zusammenge-

brochen. Ein großer Verlust, neben dem Tagelohn der Männer auch noch das Material. Ob die Zementmischung nicht stimmte, ob es die Eile war, der Platzregen, ein paar Bierchen zuviel, wer weiß? Vielleicht die gesamte Kombination? Aber der „Graf vom Daxberg“ wusste wie immer Rat. Mit einer Lötlampe bearbeitete er die nebenstehende Wand solchermaßen, dass für jeden klar war, wo all die Blitze eingeschlagen waren, die diese erstklassig gefestigte Mauer zerstört hatten. Der Arbeitslohn war gerettet. All diese Erinnerungen weckte bei mir die Flaschenpost, deren Inhalt wie folgt lautet:

Gerolstein den 16. August 1929

Am heutigen Tage, dem 16. August 1929 wurden die Reparaturarbeiten der Löwenburg durch den Grafen vom Daxberg in Angriff genommen. Unter seiner Leitung führten, der Unteroffizier M. Prison, der Gefreite Fritz Eichmann, der Kanonier B. Konrad, sowie der treue Hofdiener Johann Krämer im Schweiße ihres Angesichts in den heißen Augusttagen die Arbeiten aus. In den Felsen der Munterley sind die Kommandostimmen des Grafen noch deutlich vernehmbar. Dieses Dokument hinterlassen ihren Nachkommen:

Peter Horsch, Burgwirt Franz Horsch “ Frau Wwe Josef Becker M. Horsch

v. Daxberg M. Prison der Unteroffizier Fritz Eichmann Bernhard Konrad J. Krämer

Anbei fügen wir für unsere Nachkommen einen Geldbetrag zur feierlichen Begehung des Tages. Auf Wiedersehen in der Ewigkeit!