Mit Sondergenehmigung im Gefängnis

1945 - Die Zeitenwende

Dr. Franz Josef Klassen, Bonn

Opel 1,8, Fräulein Hippchen und drei Kinder

Nachdem die Amerikaner Bonn im März 1945 eingenommen hatten, war der Krieg mit seinen Kampfhandlungen für unsere Familie zu Ende. Im April erreichte uns die Nachricht, dass der Bruder meines Vaters von den Amerikanern aus dem Genesungsurlaub, den er in Wallenborn verbrachte, in die Gefangenschaft abgeführt worden war und mein Großvater in Wallenborn schwer erkrankt daniederlag und dringend die Hilfe seines Arztsohnes, meines Vaters, brauchte. Da Wallenborn in der französischen Besatzungszone lag und Bonn in der britischen, musste eine Sondergenehmigung bei der Militärregierung erwirkt werden, die auch schließlich für die Fahrt von Bonn nach Wallenborn gewährt wurde. Mein Vater, mein Bruder Ludwig und ich gelangten, nachdem wir die Grenze zwischen der britischen und der französischen Besatzungszone bei Wiesbaum/ Mirbach überwunden hatten, nach Wallenborn, wo wir den vom Tod gezeichneten Großvater erlebten. Mein Vater und mein Bruder Ludwig machten sich sofort auf den Weg nach Trier, um Medikamente zu besorgen. Doch in Trier wurden sie in der Stadtmitte von einer Militärstreife angehalten. Es wurde ihnen erklärt, die Bescheinigung, die der britische Kommandant in Bonn ausgestellt hatte, gelte nur für Wallenborn und nicht für Trier. Das Auto meines Vaters wurde konfisziert und er in das Trierer

Eifeler Mädchen

Franz Klassen, Lehrerin Wallenborn (1893-1933)

Gefängnis eingeliefert. Meinen Bruder Ludwig übergab man dem Onkel Johannes, dem Trierer Domkapellmeister, zur Weiterbetreuung. Mein Vater wurde zu Aufräumarbeiten im Trierer Priesterseminar und im Konvikt, besonders im Weinkeller des Priesterseminars, verpflichtet. Dort im Konvikt hatte er seinerzeit als Schüler die Jahre verbracht, und dessen Direktor war ihm auch persönlich gut bekannt. So konnte er die meiste Zeit in der Predigerstraße hinter dem Dom bei seinem Bruder zubringen und wurde nur nachts im Gefängnis eingeschlossen. Dank einer Ordensfrau, die den amerikanischen Gerichtsvorsitzenden kannte, fand das Gerichtsverfahren schon nach wenigen Tagen statt, und nach Entrichtung einer geringen Geldstrafe wurde Vater sogleich entlassen. Er konnte mit Sohn Ludwig nach Wallenborn zurückkehren. Doch trotz aller ärztlichen Kunst und guten Pflege durch die Familie, ist unser Wallenborner Großvater am 06.07.1945 an Nierenversagen verstorben.

Sein Tod ließ die Verbindung nach Wallenborn nicht abreißen. Im Gegenteil, mein Vater, der die ärztliche Unterversorgung in der Eifel nach dem Krieg kannte, fuhr häufig nach Wallenborn, um dort eine Zweitsprechstunde abzuhalten. Dann kamen die Dorfbewohner, die "Hauers Käth", die stets hilfsbereite Krankenschwester während der Woche unter den Wallenborner'n "gesammelt" hatte, mit ihren Krankheiten und Kümmernissen zu ihm. Nach der Sprechstunde zeigten die Wallenborner sich erkenntlich, in dem sie auch noch die Hefe, die mein Vater aus Bonn von einem Patienten, der eine Hefehandlung hatte, nach Wallenborn transportierte, eintauschten gegen Eier, Butter und Speck. So mussten die Wallenborner nicht auf ihren geliebten Hefekuchen und wir Bonner nicht auf unsere Grundnahrungsmittel verzichten. Wegen der strengen Kontrollen an der Zonengrenze wurde in unserem Auto in der hinteren Sitzbank ein Fach installiert, in dem die Hamsterware deponiert wurde. Bei einer dieser Fahrten von Wallenborn nach Bonn erlebten wir eine Militärsperre der Besatzungsmächte vor Adenau. Als wir die Sperre von Ferne erblickten, warfen wir vor Angst und Schrecken die Hamsterware in den Straßengraben. Nach erfolgter Kontrolle jedoch wurde dann sogar ein französischer Militärpolizist mit dem Motorrad angewiesen, meinen Vater mit uns Kindern zielsicher von der Ahr über die Zonengrenze nach Bonn zu begleiten.

Die Wallenborner Freunde Pitchen und Kurt

Dr. Peter Klassen vor seiner Arztpraxis in Bonn

Lass doch der Jugend ihren Lauf!

Mittlerweile war ich dem Kindesalter entwachsen und lernte Wallenborn von einer anderen Seite kennen. Die Jungen und Mädchen aus Kindertagen waren mit ihren 15 und 16 Jahren mit ihren Lebenserfahrungen viel weiter als wir Stadtkinder. Es waren jetzt nicht mehr die Spiele und Streiche, für die wir in Kindertagen zu begeistern waren. Jetzt kam so etwas wie Verlegenheit und Spannung unter den Jungen und Mädchen auf.

Unser Wallenborner Opa hatte immerzu "sinnhaftes Tun" empfohlen. Er hatte uns vor "unbedachten jugendlichen Freundschaften" gewarnt. Sonntägliche Spaziergänge und Fahrradtouren mit den Jungen und Mädchen des Dorfes wurden nur "duldend" in Kauf genommen. Dabei war alles so harmlos und unkompliziert. Tante Lis stand auf dem Standpunkt: "Lass doch der Jugend ihren Lauf!" An Sonntagnachmittagen gingen die Mädchen auf der einen, die Jungen auf der anderen Straßenseite und wie der Zufall es wollte, traf man sich irgendwo, saß zusammen auf der Wiese, schaute sich verlegen an und ließ die Verlegenheit aufeinander wirken. Die erste Zigarette gehörte dazu. Doch mir hat sie eigentlich nie geschmeckt. Allerdings haben meine Wallenborner Freunde Anne Pitchen und Dupger Kurt mir klarzumachen versucht, dass Rauchen eben die Persönlichkeit ausmachte. Des Weiteren sollten dazugehören "lässiger Gang, die weit geschnittene Hose und die geheimnisvollen, auf die Zukunft gerichteten weisen Sprüche", die aber so eigentlich gar nicht zu dem Gesamtbild einer "jugendlich Eifeler Persönlichkeit" passten. Selbstverfasste Dichtung und Eigenkompositionen der Lieder, gewidmet den Eifeler Bergen und den Eifeler Mädchen, waren besonderer "Ausdruck einer pubertären oder postpubertären Lebensstimmung", an die ich mich heute noch gerne erinnere.