Die Volksschullehrerin Berta Müller

Manfred Mayer, Mehren

Im Laufe der Jahre haben in der Volksschule in Ellscheid viele Lehrerinnen und Lehrer ihren Dienst versehen und unter oftmals schwierigen Bedingungen versucht, den Kindern aus den Dörfern Ellscheid und Saxler eine grundlegende Schul- und Allgemeinbildung zu vermitteln. Die meisten Lehrpersonen waren nur einige Jahre dort tätig. Eine Ausnahme davon war Frau Berta Müller. Sie stammte aus Trier und begann ihre Tätigkeit als Volksschullehrerin in Ellscheid im Jahre 1923 und versah mit Ausnahme einer von der Obrigkeit erzwungenen Unterbrechung in den Jahren 1943-45 bis zum Jahre 1950 ihren Dienst. Dies und ihre manchmal recht eigenwillige Art sind der Grund dafür, dass sich viele Schülergenerationen an "Die Berta", wie sie umgangssprachlich genannt wurde, noch sehr gut erinnern können. Da sie die meiste Zeit über die zweite Lehrperson an der Schule war, existieren von ihr leider nur wenige Eintragungen in der

hiesigen Schulchronik. Der Unterricht fand damals ausschließlich vormittags statt und endete mittags gegen 13 Uhr. Unterrichtet wurden bis zu 8 Klassenstufen gleichzeitig, was für die Lehrperson natürlich eine große Herausforderung war. Die zeitliche Abfolge eines Schulmorgens bestand ähnlich wie heute aus verschiedenen Unterrichtsstunden und ein oder zwei dazwischenliegenden Pausen. In diesen Pausen konnten die Schüler auf dem Schulhof herumtollen und spielen. Ein beliebtes Pausenspiel der damaligen Zeit war der Völkerball, an dem Mädchen wie Jungs gleichermaßen teilnahmen. Der Schulbesuch damals unterschied sich in vielerlei Hinsicht von dem der heutigen Zeit. Die Lehrpersonen erwarteten neben den schulischen Leistungen eine gehörige Portion Respekt seitens der Schüler und waren auch in der Lage, dies durchzusetzen. Ihre Situation war nicht einfach. Für viele Menschen

Schulklasse Ellscheid, 1927

im Dorf hatte der Lehrerberuf keinen hohen Stellenwert. Das Lied vom "armen Dorfschulmeisterlein", welches wohl jeder schon einmal gehört hat, basiert mit Sicherheit auf einem realen Hintergrund. Oft standen die Eltern dem Schulbesuch ihrer Kinder eher skeptisch gegenüber, da diese auch im Haushalt als Arbeitskraft eingeplant waren. Viele der Familien im Dorf betrieben Landwirtschaft und so mussten die Kinder ab einem gewissen Alter dort mitarbeiten. Das bedeutete für das Schulkind, dass es, nachdem es aus der Schule kam und zu Mittag gegessen hatte, zur Feldarbeit mitgenommen wurde oder aber das Hüten der Kühe anstand. Dies zog sich bis zum Abend hin und erst danach konnten die Hausaufgaben, welche es damals ebenso gab wie heute, in Angriff genommen werden. Das so nicht allzu viel Zeit zum Lernen blieb, ist leicht vorstellbar. Ein von Seiten der Lehrerschaft oft beanstandeter Zustand. Das Schulhaus in Ellscheid stammte aus dem Jahre 1896. Eine Heizung gab es zu der Zeit nicht, sondern einen großen Ofen, mit dem der

Schulsaal in der kalten Jahreszeit beheizt wurde. Dafür mussten die Jungs der älteren Jahrgänge draußen das Feuerholz für den Winter hacken, welches dann von allen Schülern nach oben auf den Dachboden geschleppt wurde. Im Winter wurde dann bereits früh am Morgen der Ofen angeheitzt, sodass zu Beginn des Unterrichts eine erträgliche Temperatur herrschte. Frau Müller wohnte während ihrer gesamten Lehrtätigkeit in Ellscheid. Zu Beginn waren es einfache, zum Teil möblierte Zimmer, später folgte dann ein richtiger Hausstand. Am Dorfleben außerhalb der Schule nahm sie selten teil, hatte aber Kontakt zu einigen Familien im Ort und besuchte diese auch des öfteren abends. Natürlich war sie nicht nur in der Schule eine Respektsperson. Das galt wie bei allen anderen Lehrern auch außerhalb der Schule. Wer von den Schülern sich von ihr bei irgendwelchen "Missetaten" erwischen ließ, konnte mit einer schallenden Ohrfeige rechnen. Überhaupt war während des Schulunterrichts bei ihr wie auch bei den meisten Lehrpersonen dieser Zeit die Prügelstrafe an der Tagesordnung. So manches Kind kam weinend nach Hause, nachdem es als Strafe Ohrfeigen oder Stockschläge erhalten hatte. Wobei den Mädchen mit einem Stock auf die Hände geschlagen wurde, während es für die Jungs auch Schläge auf das Hinterteil setzte. Den Stock dafür mussten die Schüler des jeweils ältesten Jahrgangs selbst von einer Hecke abschneiden. Auch das Nachsitzen war eine übliche Form der Bestrafung. Dies war jedoch keineswegs eine besondere Eigenschaft von Frau Müller. Auch die anderen Lehrerinnen und Lehrer an der Schule verschafften sich so über Jahrzehnte hinweg den nötigen Respekt. Was heute unvorstellbar wäre, entsprach damals dem Zeitgeist. Was den Umgang mit Frau Müller für ihre Schützlinge schwierig machte, waren ihre Launen. So konnte es durchaus passieren, dass ein und dasselbe Verhalten eines Schülers an einem Tag keinerlei Beanstandungen erfuhr, während das Gleiche am nächsten Tag bestraft wurde. Übereinstimmend berichten einige Schüler und Schülerinnen aus den 30er Jahren, dass man an manchen Tagen schon an ihrer Kleidung erkennen konnte, wie die jeweilige Stimmung war. Trug sie zum Beispiel ein rotes Strickkleid, konnte schon das geringste Fehlverhalten drakonische Strafen nach sich ziehen. Somit war Frau Müller nicht sonderlich beliebt und dies führte natürlich zu entsprechenden Gegenmaßnahmen seitens der Schüler. Lehrer und Lehrerinnen waren schon immer ein lohnendes Ziel der Dorfjugend für Schabernack jeglicher Form und Art. Bei ihr jedoch ging man mit besonders großem Elan zur Sache, um sich so zumindest ein klein wenig für das vermeintliche Unrecht zu rächen. Eines der Hauptziele solcher Aktionen war das "Herzhäuschen", die Toilette. Diese befand sich in der damaligen Zeit außerhalb des Hauses und war daher für Vergeltungsmaßnahmen für jeden zugänglich. Dort wurden dann schon einmal mit Dornen gespickte Sträucher oder klebrige Fliegenfänger ausgelegt. Da es in diesem Abort keinerlei Beleuchtung gab, konnte der nächtliche Besuch dieses Örtchens zu einer recht schmerzlichen Angelegenheit werden.

Abwechslung vom damaligen Schulalltag brachten die Wandertage. Diese führten ohne große vorherige Planung in die nähere Umgebung des Dorfes. Oftmals wurden dann auch Lieder gesungen, nach den Erinnerungen der damaligen Schüler jedoch mit nur mäßigem Erfolg. In den Kriegsjahren wurden von Schülern der Schule auch Sammelaktionen abverlangt. So gab es unter anderem Schafgarbe-Sammlungen, welche danach verschickt wurden um daraus Tee zu gewinnen. Des Weiteren gab es Waldwanderungen, bei welchen Heidelbeeren gepflückt wurden, die dann bei Frau Müller abgegeben werden mussten. Natürlich hatten gerade diejenigen, welche öfters mit dem Rohrstock Bekanntschaft gemacht hatten, recht wenig Lust, ihr durch großen Sammeleifer auch noch einen Gefallen zu tun. Aber hier tat sich eine Möglichkeit auf, sich ein klein wenig für diese Frondienste zu rächen. In einem Waldstück namens Helt gab es einen sogenannten Tierfriedhof, Tiergarten genannt. Zwar wuchsen dort die größten Beeren, diese sollten aber aus verständlichen Gründen nicht gepflückt werden. Da aber eine Lehrerin auch nur zwei Augen hat, wurden schnell Beeren im verbotenen Tiergarten gepflückt und diese unter die anderen gemischt. Frau Lehrerin hat es nie erfahren.

Dienstjubiläum der Lehrerin Berta Müller, 1948

Trotz solcher Aktionen kann man das Verhältnis von Frau Müller zu ihren Schülern und deren Eltern als, für die damalige Zeit, durchaus normal bezeichnen. Sie pflegte ihre Kontakte im Ort und wurde auch von einigen Familien, vor allem in der Kriegszeit, unterstützt. Des öfteren besuchte sie ihre Eltern in Trier. In diesen Notjahren wurden ihr dann von einigen Ellscheidern Lebensmittel, die in der Stadt nur schwer beschaffbar waren, wie etwa Eier oder Butter, mitgegeben. Dafür war sie immer sehr dankbar und hat auch nach dem Krieg mit einigen Schülern einen Ausflug in ihre Heimatstadt gemacht.

Berta Müller hatte klare und feste Grundsätze und Vorstellungen, was die Ausübung ihres Berufes anging. Dies zeigte sich dann auch während der letzten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. Selbstverständlich wurden damals Dinge wie der Führergeburtstag gefeiert. Das war Pflicht und konnte nicht umgangen werden. Aber bei manch anderen Dingen versuchte sie, ihrem eigenen christlichem Leitbild treu zu bleiben und nicht dem Zeitgeist hinterherzulaufen. So musste jeder Schultag mit dem Führergruß begonnen werden. Dies war Gesetz. Frau Müller begann den Unterricht wie jahrzehntelang üblich mit dem Beten des Vaterunsers und dem Kreuzzeichen. Dadurch kam sie natürlich in Konflikt mit den auch in Ellscheid vorhandenen Führergläubigen. Es kam wie es kommen musste. Im Jahre 1943 wurde sie denunziert, weil einer der Braunhemden sie eines Morgens beim Gebet beobachtet hatte. Daraufhin wies dieser Herr sie vor der gesamten Klasse zurecht. Sie war sich der möglichen Konsequenzen ihrer Tat durchaus bewusst, was man auch daran

Schulklasse in Ellscheid, Anfang der 1930er Jahre

erkannte, dass sie, nachdem der Herr das Klassenzimmer verlassen hatte, vor ihren Schülern in Tränen ausbrach. Die Reaktion der Schulbehörde ließ nicht lange auf sich warten. Frau Müller wurde an eine andere Schule versetzt. Von einer härteren Bestrafung wurde wohl deshalb abgesehen, da in dieser Zeit auf Grund des Krieges ohnehin Lehrermangel herrschte. Nach Kriegsende 1945 kam Frau Berta Müller wieder zurück nach Ellscheid und unterrichtete dort noch einige Jahre bis zu ihrer Pensionierung. In diese Zeit fällt auch die Feier ihres 25-jährigen Dienstjubiläums im Jahre 1948. Im Jahr 1950 beendete sie aus gesundheitlichen Gründen ihre Lehrtätigkeit in Ellscheid und übersiedelte in ihre Heimatstadt Trier. Dort fand sie später ihre letzte Ruhestätte. Frau Berta Müller hat bedingt durch die lange Zeit ihrer Lehrtätigkeit die Kindheit und Jugend so vieler Schüler und Schülerinnen aus Ellscheid und Saxler geprägt wie keine andere Lehrperson.