Fronleichnam 1942

Magdalena Müller-Koch, Remagen-Rolandseck

Jährlich gehen am Fronleichnamstag meine Gedanken zurück zum Fronleichnamsfest 1942 in Gerolstein. Sie betreffen auch meine damalige Schulklasse und wecken vielleicht bei denen, die dabei waren, wieder die frohen Erinnerungen.

Damals waren wir voller Begeisterung Kommunionkinder, die bei allem, was in und um unsere Pfarrkirche St. Anna geschah, eingebunden werden sollten. Darum freuten wir uns auch besonders auf das Fronleichnamsfest und die große Prozession durch den Ort, bei der wir in jenem Jahr die Ehrengarde um das Allerheiligste bilden sollten. Und so waren wir auch schon bei den Vorbereitungen zum Fest dabei.

Die Planung für Fronleichnam begann schon kurz nach Pfingsten. Es mussten vier Altäre an verschiedenen Straßenecken aufgestellt werden. Wir Kinder aus dem hinteren Flecken, dem sogenannten Brotecken mit sämtlichen Nebenstraßen, waren zuständig für den vierten der Altäre, an der Ecke Bäckerei Ockenfels/Schlosser Koch. Die Lehrerin Margarethe Pauls, die Schwestern Lorchen und Paula Güth sowie Kathrinchen Agnes waren dessen Gestalter. Frau Pauls entwarf jedes Jahr die neuen Bilder der großen Blumenteppiche. Stand ihr Plan fest, erhielten wir Kinder die Aufgabe, alle Blumen in den dafür benötigten Farben zu sammeln. Unser Altar sollte ja der Prächtigste werden, der jemals dort gestanden hat, und so zogen wir Kinder gleich nach dem Schulunterricht los mit Körben und Eimern. Es ging in Richtung der Gärten im Bungert und Kappesgarten, dann hin zu den Feldern, Wiesen und Wäldern. Wir wussten ja von unseren Sonntagsspaziergängen mit den Eltern, wo die verschiedensten Arten in Fülle blühten, denn damals gediehen auch die heute schon selten gewordenen Blumen noch überall recht üppig. Wir sammelten Margeriten, die herrlichen echten Kornblumen und den empfindlichen Klatschmohn. Aus den Gärten erhielten wir Körbe voll Pfingstrosen, die viele wohlduftende Blätter ergaben, und vor allem Schneeballen. Weil die Farbe Gelb für den Teppich sehr wichtig war, denn der goldene Kelch wurde damit gestaltet, "strüppten" wir fleißig Ginster und brachten zum Kontrast dazu Farnkraut mit. Unsere gesammelten Schätze, streng nach Farbe getrennt, wurden mit großem Lob begutachtet und entgegengenommen, um dann im Keller bei Böffgens, der besonders kühl war, aufbewahrt zu werden. Inzwischen hatten Männer hohe grüne Bäume für den Hintergrund besorgt und größere Buchenzweige. Sie hatten auch den Holzaltar bereits aus dem Lager genommen und aufgestellt.

Die kunstvollen Blütenteppiche wurden in aller Frühe gelegt und leicht mit Wasser besprengt. Wir konnten bereits auf dem Gang zur Kirche unseren fertigen Altar bestaunen, an dem wir mit so viel Freude mitgeholfen hatten. Erst wurde die heilige Messe gefeiert. Danach stellten wir uns zur Prozession auf. Unser Kirchenschweizer, Herr Duppich, erschien im roten Ornat mit Hut, er trug eine beeindruckende Hellebarde und sorgte, dass alles seine Ordnung hatte. Allen voran ging die geordnete große Schar der rotweiß gekleideten Messdiener. Ihnen folgte, unter dem Baldachin, getragen von vier Männern, in Festtracht Pastor Weber mit dem Allerheiligsten. Wir weißgekleideten Mädchen mit Kommunionkränzchen im Haar durften die grüne Girlande tragen, die um das Allerheiligste und den Baldachin ging. Nach uns kamen die Franziskanerinnen aus dem Krankenhaus, in ihrem damals noch gebräuchlichen traditionellen Habit. Diesen schloss sich der Kirchenchor an mit Karl Breuer, dem Dirigenten und Organisten. Dann formierte sich die Blaskapelle, die die schönen alten Fronleichnamslieder spielten: "Ihr Geschöpfe kommt heran" (1765), "Frohe Jubellieder bringen" (1807), "Deinem Heiland, deinem Lehrer" (1772), oder das älteste, aus dem Jahr 1637 stammende "Du Heil der Welt" von Friedrich von Spee. Mitsingend folgte der lange Zug der Gläubigen.

Das erste Lied wurde angestimmt vom Chor, begleitet vom Orchester, und die Prozession bewegte sich von der Kirche zunächst durch die mit blau-weißen Kirchenfähnchen und Girlanden beidseitig geschmückte Burgstraße, hinunter zur Hauptstraße. Vor manchen Häusern oder in Fenstern aufgebaut, sahen wir private Altäre. Dort standen Christus- oder Marienfiguren auf eigens für diesen Anlass gestickten Tüchern, worauf "Gelobt sei Jesus Christus" zu lesen war. Die besten Vasen aus dem Familienbesitz, Engelfiguren und brennende Kerzen umstanden diese Bildnisse. Singend und betend zogen wir unter Girlandenbögen her, die unsere Straßen überspannten, zum ersten Altar an der Oberen Marktstraße. Auch dieser war, wie die anderen, jedes Jahr neu gestaltet, so wie auch die Motive der Blumenteppiche von Jahr zu Jahr wechselten. Von diesen nahmen sich nach dem Segen viele Gläubige Blüten für ihre Kranken mit nach Hause. Nach Gebet und Segen gingen wir weiter bis vor das damalige Krankenhaus zum zweiten Altar, hergerichtet von den Franziskanerinnen des Krankenhauses.

Pastor Weber und sein Kaplan wechselten sich ab beim Tragen des Allerheiligsten. Die Prozession zog nun zum dritten Altar bei Bauer Schüssler an der Bahnhofstraße. Der hl. Antonius stand damals weiter zurück, in der Ecke des früheren Hauses Schüssler. Jedes Jahr wurde diese Heiligenfigur von der Nachbarschaft in den Altar integriert. Hier versammelten sich die meisten Gläubigen zum Segen, sie kamen von Sarresdorf, der Lindenstraße und dem Kasselburger Weg. Jetzt ging die Prozession durch den Flecken (Innenstadt) hinauf, endlich zu unserem, dem vierten Altar. Mir schien die Sonne zu bestätigen, dass unserer der allerschönste Altar sei, denn sie ließ unseren Blütenteppich in all seinen kräftigen Farbtönen besonders schön aufleuchten. Alte Nachbarn aus dem Brotecken, die nicht mehr den steilen Weg zur Kirche hinaufgehen konnten, hatten sich eingefunden, um mit uns gemeinsam den Fronleichnamsegen zu empfangen.

Von hier zog die Prozession zur Burgstraße hinauf. In den mehrstimmigen Gesang des Kirchenchores St. Cäcilia und die getragenen Töne des Blasorchesters mischte sich nun das Festgeläut der Glocken von Sankt Anna, um uns willkommen zu heißen. Auf der Hälfte der Burgstraße (Kirchewäsch) hatte sich Karl Breuer bereits von seinem Chor entfernt und ließ die Orgel aufbrausen bei unserem festlichen Einzug in die herrlich mit Fahnen und mit duftenden Blumen geschmückte Kirche.

Wem ging in diesem Jubel nicht das Herz weit auf, und beim dreimalig wiederholten "Defen-sor noster aspice" aus dem Gregorianischen Choral empfingen wir den Segen, und wir sangen voller Freude gemeinsam, begleitet von Orgel und Chor und dem Schellengeläut der Messdiener, ins Tönen der Kirchenglocken hinein zum feierlichen Abschluss das "Te Deum".