Das Virus

Wenn sich das Jahr neigt seinem Ende, da greift ein Ding um sich behende, das allgemein im ganzen Land als Virus Fastnacht ist bekannt. Am 11.11., vorher nie, beginnt die große Epidemie. Ob klein, ob groß, ob jung, ob alt: Das Virus macht vor keinem halt. Die schwere Infektion beginnt wenn man ganz harmlos nachdenkt, sinnt, was, wer und wie im letzten Jahr im Dorf der größte Hammer war. Da sitzt er nun, der arme Tropf. Ihm fällt nichts ein, ihm qualmt der Kopf. Ach ja, der Dings hat' doch im Mai mit Dem aus Da ne' Keilerei. An Nachbars Urlaub man noch denkt, wie der sein Schlauchboot selbst versenkt. Dann ließ doch Der, so kommt's inzwischen, glatt in flagranti sich erwischen. So nach und nach wird's immer mehr und bald, da fällt die Auswahl schwer. Nun muss man die Gedankenmassen recht witzig noch in Verse fassen. Dem kranken Jeck es besser geht; ihm wird ganz wohl, der Vortrag steht. Doch dann, so Anfang Januar nun kommt heftigst ne' Verschlimmerung. Bis Fastnacht ist es nicht mehr weit: Was zieh' ich an, welch' Hos', welch' Kleid ? Soll ich was Neues mir besorgen, oder beim Nachbarn schnell was borgen ? S' wird langsam Zeit sich zu beeilen. Dann auch am Vortrag noch was feilen und üben, üben, welche Qual, dreimal die Woch' im großen Saal. Die Fieberkurve steigt und steigt, ganz plötzlich sich ein Merkmal zeigt: Im Bauch, da kribbelt's und es brennt, was man auch Lampenfieber nennt. Noch flott zwei Cognac, dort am Tresen, ein letztes Mal den Vortrag lesen und dann hinaus mit Maus und Mann, als nächstes ist man selber dran. Man wartet draußen mit den Funken und hat doch nicht zuviel getrunken? Im Magen liegt ein schwerer Stein; die Türe auf und dann: hinein! So langsam wird's im Herzen bang: Was ist der Weg zur Bühne lang! Dann hastig in die Bütt hinein und fühlt zunächst sich ganz allein. Von unten tausend Augen starren auf den dort droben, dich, den Narren. Die Spannung hält man fast nicht aus. Doch endlich kommt er, der Applaus. Gelächter, Tusch, Rakete noch; den Orden um, das Weinglas hoch, den Arm zum Narrengruß man hebt und federleicht dem Saal entschwebt. Dann Schulterklopfen, Händedruck., Die Nacht vergeht fast wie im Flug. Am Aschermittwoch bleibt dem Tropf nur übrig noch der dicke Kopf. Er denkt dann nach: Für die Sekunden hast Tage, Wochen dich geschunden? Hast dich gequält und nicht geschont. Sag selbst: Ob sich der Aufwand lohnt? Natürlich nicht ! Jetzt werd' vernünftig und lass den ganzen Quatsch zukünftig! Ich werd' immun auf jeden Fall!!! Doch nur bis nächst' Jahr Karneval.

Helmut Schäfer, Strohn