Weihnachten hat viele Gesichter

Marianne Schönberg, Feusdorf

"Nein", sagten die erwachsenen Kinder, "wir können nicht kommen, wir haben Einsatz im Krankenhaus", und die Enkel, mittlerweile so gut wie erwachsen: "Sollen wir für einen Tag über 200 Kilometer zu Oma und Opa fahren?" Wir verstehen, wünschen allen schöne Tage ums Fest. Allein sind wir nicht, der Hund erinnert uns an nötige Gängelchen, schöne Musik kann man hören und mit Freunden telefonieren. Also kein Besuch in diesem Jahr. Am Heiligen Abend erfahren wir, dass ein lieber Freund im Altenheim seinen letzten Weg geht - am Weihnachtsmorgen verstarb er. Es ist Vormittag, noch ein Kartengruß ist zu schreiben, da bellt der Hund ganz aufgeregt, drückt seine Nase an die Fensterscheibe. Ein mir unbekannter Mann geht mit seinem kleinen Vierbeiner vorbei, er winkt mir zu. Wer ist das? Nachmittags steht er vor der Tür, ein kleines Schokoladenpräsent in der Hand und sagt: "Ich bin der Daniel!" Das Gesicht kommt mir bekannt vor. Es ist der Sohn eines ehemaligen Chormädchens, und beide besuchen die Eltern im Haus gegenüber. "Sag mal, heißt Du nicht David? Vor vielen Jahren sah ich Deine Mutter mit einem Wickelkind. Da war sie auch hier zu Gast. Wir haben uns sehr lange nicht gesehen." Daniel rückte die Jahre zurecht. "David ist mein ältester Bruder, ich bin der jüngste in der Familie, dazwischen gibt's Miriam und Benjamin." Eine schöne Stunde wars, wir hatten uns viel zu erzählen. Danke für den Besuch. Der zweite Weihnachtstag. Nachmittags ein Anruf..."Können wir mal kurz vorbeikommen?" Eine liebe Frau, sie sang viele Jahre im Chor, ihr Vater war unser erster Bassist. Viele gute Gespräche hatten wir, denn ihm waren Text und Aussage allen Liedguts wichtig. Dann der Abstieg Jahr um Jahr - Endstation Demenz. Nun lebt er in einem betreuten Haus, die Tochter brachte ihn an Weihnachten zu alten Freunden. Er umarmte uns, Wärme und Licht vom Kamin taten ihm wohl, einige belanglose Sätze wurden gesprochen, dann war seine Mitteilungskraft erschöpft, doch die stille Freude im Gesicht blieb. Der Abschied. Das AUF WIEDERSEHEN hatte auf einmal einen ganz besonderen Klang. So schön kann Weihnachten sein.