Ein erlesenes Festessen vor hundert Jahren in Gerolstein Wilma Herzog, Gerolstein

Auf dem Speicher unseres Hauses, unter dem zerstörten Dach, trotzte diese kleine Holzkiste allem Schnee und Frost im Winter 1944/1945. Die alten Briefe und Fotoschätze unserer Familie fanden wir im Frühjahr zwar durch Feuchtigkeit lädiert vor, dennoch blieben sie höchst interessant. Zumal sie mir heute diesen interessanten Blick hundert Jahre zurück erlauben.

Denn zwischen den Fotos befand sich diese alte Menükarte von 1911. Sie ist ein Dokument dafür, wie sehr man bis in unsere Eifel Kaiser Wilhelm II verehrte, der in Berlin am 27. Januar 1859 geboren war. Sein Geburtstag war zum Nationalfeiertag erhoben. Kinder freuten sich ganz besonders auf den Tag, sie hatten dadurch schulfrei. Mir waren ältere Menschen bekannt, die noch vom Kaiserwecken sprachen, den sie als Kind an dessen Geburtstag erhalten hatten, in damaliger Zeit ein seltener süßer Genuss. Einige kannten sogar noch das Kindergedicht auswendig, das sie an Kaisers Geburtstag vortragen durften:

Der Kaiser ist ein lieber Mann
und wohnet in Berlin,
und wär es nicht so weit von hier,
so lief ich heut noch hin
und was ich bei dem Kaiser wollt,
ich reicht ihm meine Hand
und reicht die schönsten Blumen ihm,
die ich im Garten fand und sagte dann:
"Aus treuer Lieb bring ich die Blumen dir!"
Und dann lief ich geschwind hinfort
und wär bald wieder hier.

Bis in die kleinste dörfliche Schule wurden die Kinder mit Gedichten und Liedern auf dieses Geburtstagsfest vorbereitet. Es ging an Kaisers Geburtstag auch um den Spaß, zu sehen und gesehen zu werden. Ein wenig erinnerte die Aufmachung der Damen, selbst in kleineren Städten, noch an die in Berlin. Unter den breitkrempigen Hüten in pelzverbrämten Mänteln und mit Muffs trippelten sie in zierlichen Knöpfstiefelettchen am Arm der Herren. Diese trugen Zylinder zu den geschneiderten Paletots. Kaisers Geburtstag bot die optimale Gelegenheit, Galauniform oder Orden zu zeigen. Monokel und Spazierstöcke mit Elfenbeinoder Silberknauf waren andere erlesene Accessoires. Man lauschte den Platzkonzerten und Ansprachen. Überall wehten die Fahnen des Kaiserreichs, die Häuser waren geschmückt. Wer einen Balkon besaß, beobachtete von dort bei einem Glas Champagner die Vorbeiflanierenden. Wer über eine elegante Kutsche verfügte, fuhr natürlich damit durch die Straßen. Selbstverständlich nur im Schritt-Tempo, gezogen von besonders sorgsam gestriegelten Pferden. Froh gestimmt winkten daraus die festlich gekleideten Menschen, durch warme Pelzdecken gegen die Kälte geschützt.

Die Gerolsteiner wurden ohnehin tagtäglich an den Kaiser erinnert, und zwar seit 1907, dem Beginn der großräumigen Ausschachtungsarbeiten für die Erlöserkirche. Sie beobachteten die Fortschritte dieses erhabenen Prachtbaus. 1911 reckte er sich bereits zu stolzer Höhe gegenüber dem Felsmassiv der Munterley. Die kostbare Innenausschmückung mit Goldmosaiken war in vollem Gange, und es war schon bekannt, dass in zwei Jahren Kaiser Wilhelm II persönlich nach Gerolstein reisen würde, zur Einweihung der neuen Erlöserkirche. Darum plante man im Hotel Koch (später Ratskeller genannt) sehr sorgsam ein Festessen zum Geburtstag von Kaiser Wilhelm II und gab der Druckerei Heyer in Gerolstein den Auftrag die Menükarte zu drucken. Denn die Menschen, die so elegant flanierten, sollten auch erlesen speisen. Damit das Vergnügen ein komplettes wurde, bot man den Teilnehmern dieses Festmahls Weine aus dem Keller des Königlichen Kammerherrn Dr. Freiherr von Schorlemer Lieser an. Damit kam man an Kaisers Geburtstag dem Adel so nah, dass man durch den erlesenen Tropfen aus dessen Besitz diesen fast auf der Zunge kosten konnte.