Ameisen auf dem Altar

Christa Feltgen, Kerpen

Wer kennt sie nicht, die Dinge, bei deren Anblick unser Gehirn uns blitzschnell auflistet, bei welchen Gelegenheiten sie schon einmal eine Rolle für uns gespielt haben. Mir geht es mit meinen Lieblingsblumen so, den weißen Pfingstrosen. Sie verzaubern mich immer aufs Neue. Seit ich sie irgendwann kennen gelernt hatte, träumte ich von einem eigenen Garten mit einer solchen Pflanze. Zumal ich auch noch einen wundervollen Strauch Pfingstrosen im Garten meiner Großmutter in Erinnerung hatte, die ihn sorgsam hütete. Als mein Mann und ich einen Garten anlegten, musste natürlich so eine weiße Pfingstrose her. Die kleine Blume schien sich bei uns wohl zu fühlen und wuchs und gedieh. Mit der Zeit wurde aus ihr eine stattliche Pflanze mit großen weißen Blüten und immer haargenau nur einem dunkelroten Blatt in der Mitte der Blume. Sie stand etwas zu nah am Gartenweg und meine Kinder und deren Freunde nahmen wenig Rücksicht sie. Manchmal büßte die Pflanze sogar ein Blatt ein. Aber sie ertrug alles tapfer. Nur einen kleinen Wermutstropfen hält diese Blume bereit. Wenn man ihre Blüten pflückt, sind sie meist voller kleiner schwarzer Ameisen. Man braucht dann schon etwas Geduld, bis man alle Krabbeltiere gefunden hat und die Zweige in eine Vase können. Und dann kann es manchmal doch noch geschehen, dass die letzte Ameise beim Kaffeeklatsch in den ersten, besten Kuchenteller fällt. An dem Tag, an dem wir das erste Mal nach Steffeln kamen, waren die ersten, die wir von den Bewohnern kennen lernten, eine Gruppe Frauen, die dabei waren, die Blüten für einen Fronleichnamsteppich zu legen. Ich kannte so etwas noch aus meiner Kinderzeit. Da war ich ein paar Mal bei einem Großonkel im Schwarzwald zu Besuch gewesen und hatte im Frühsommer die Blumenteppiche bestaunt, die oft ganze Straßenzüge lang waren. Damals wuchsen ja noch, wie auch in der Eifel, auf Wiesen und Wegrändern unzählige bunte Blumen. Wenn am Dienstag vor Fronleichnam die Steffelner in den Wald zogen, um Blumen und Tannenzweige zu holen, mussten sie sich schon sehr anstrengen, um wenigstens genug Blüten für ihre jeweiligen Teppiche zu finden. Gut, dass aus den Gärten im Dorf ebenfalls Blumenspenden kamen. Und dabei waren auch weiße Pfingstrosen. Die sahen wir gern, mit den großen Blütenköpfen kann man schöne Figuren legen; wie etwa die Perlen eines Rosenkranzes. Ich musste bei ihrem Anblick immer an meinen Garten am Niederrhein denken, den ich so ungern in fremde Hände gegeben hatte. Aber dann tröstete ich mich damit, ein Teil einer gut funktionierenden Nachbarschaft geworden zu sein, wohl einen alten Garten aufwiegen kann. Und das Blumen-Legen war für mich immer wie ein Fest, an dem alles gemeinsam gemacht wurde. Wenn die Prozession oben auf dem Hügel von der Kirche aus ihren Anfang nahm und die schönen Blüten in der Sonne leuchteten, war ich Evangelische genau so stolz auf unser Werk wie meine Steffelner Nachbarinnen. Leider musste ich Steffeln verlassen. Bei meiner neuen Bleibe hatte ich keinen Garten. Unten am Haus blühte eine winzige rosa Pfingstrose, die aber mit all dem, was ich in dieser Hinsicht kannte, kaum Ähnlichkeit hatte. Bei ihrem Anblick musste ich immer an die Blütenfülle in der Eifel denken. Bei meiner jetzigen Behausung wird der Garten gerade erst angelegt. Aber unser Pfarrer hatte als Schmuck für den Tisch, der als Altar beim Gottesdienst dienen sollte, einen Strauß weißer Pfingstrosen mitgebracht. Meine Mitbewohner waren genau so begeistert wie ich. Nach dem Gottesdienst sprach ich mit ein paar Bekannten über die Ameisen in den weißen Pfingstrosen. Der Pfarrer musste lachen: "Ja, ich weiß, die sind eine Plage. Vorhin, beim Abendmahl, liefen auch ein paar auf dem Tisch herum!"

Irgendwie fühlte ich mich in diesem Augenblick, als hätte ich hier die erste kleine Wurzel geschlagen.