Des Guten zu viel

Maria Aschemann, Gerolstein

Es war die Gerolsteiner Elektrofirma Reinhold, die um 1919 mit dem Ausbau des Stromnetzes in den umliegenden Eifeldörfern beauftragt wurde. Mein Vater, Peter Horsch, gehörte zu dieser Arbeitskolonne, denn er hatte als erster Elektrikerlehrling des Kreises Daun auf diesem neuen Gebiet Elektroenergie bei der Firma Reinhold den Beruf von der Pike auf gelernt. Montags wurde die Arbeitsgruppe in die oft entfernt gelegenen Orte gebracht, samstags wieder abgeholt. Während der Woche waren sie bei gut gestellten Bauersleuten in Kost und Logis.

Nun ergab es sich, dass sie einmal bei sehr frommen Leuten Quartier bezogen hatten. Jeden Abend wurde nach dem Essen der Rosenkranz gemeinsam gebetet. Das waren fünf Gesätze zu je zehn "Gegrüßet seist du Maria". Fünfzig Gebete! Das war den jungen Leuten nach dem harten Arbeitstag doch des Guten zu viel.

So beratschlagten sie, wie sie die lange "Beterei" verkürzen könnten. Am nächsten Abend warteten sie einen günstigen Moment ab und nahmen heimlich den Rosenkranz der Bäuerin mit auf ihr Zimmer. Unter dem schwachen Licht der Petroleumlampe entfernten sie geschickt aus jedem Gesätz eine Perle. Wenn das funktionierte, waren es fünf Gebete weniger. Am nächsten Abend saßen sie mit klopfendem Herzen um den Tisch. Nach dem Essen nahm die Hausmutter wie gewohnt den Rosenkranz zur Hand und begann zu beten. Wieder ließ sie bei geschlossenen Augen die Perlen durch ihre Finger gleiten. Das erste Gesätz wurde gebetet, das zweite und das dritte. Die jungen Männer atmeten auf, es hatte geklappt. Sie beteten -sich mutig dabei anblinzelnd - laut und deutlich weiter. Nach ein paar Tagen beschlossen sie, jedes Gesätz um eine weitere Perle zu kürzen. Und so geschah es. Mit hochroten Köpfen saßen sie abends am Tisch, als die Bäuerin ihren Rosenkranz durch die Finger gleiten ließ, wieder mit geschlossenen Augen ins Gebet vertieft. Es schien zu funktionieren. Doch am Ende des ersten Ge-sätzes stutzte die Frau, riss die Augen auf, sah entsetzt auf den kurzen Rosenkranz, sprang auf, nahm die jungen Burschen ins Visier und ließ "Blitz und Donner" auf sie herabfahren. Reumütig setzten sie die fehlenden Perlen wieder ein, die sie mit so viel Mühe entfernt hatten.

Jeden Abend beteten sie nun den Rosenkranz bis zum Ende mit, nie ließ die Bäuerin sie dabei aus den Augen.

So gut und reichlich die Kost auch auf diesem Hof war, so froh waren sie nach vier Wochen das Kosthaus zu wechseln. Letztlich hat ihnen ihr Lausbubenstück doch Spaß gemacht, sie haben es unter Lachen oft noch zum Besten gegeben.

2. v. links: Peter Horsch