Geschichte eines altes Hauses

Christine Engels, Gerolstein

Wer könnte meine Geschichte besser erzählen als ich, das alte Haus aus Retterath.

Im Jahr 2008 beschloss meine Familie, aus vielen erklärlichen Gründen, mich abzureißen. Da ich aber etwas Besonderes war, musste ich zuerst aus der Denkmalliste herausgenommen werden. Schweren Herzens stimmten alle Ämter zu. Um mich nicht ganz aus der Geschichte zu streichen, rückten 2 Herren von der Denkmalpflege Mainz an. Sie vermaßen mich, nahmen jeden einzelnen Balken unter die Lupe und zum Schluss bohrten sie Löcher in meine uralten Balken. Sie wollten so feststellen, wie alt ich genau bin. 300 Jahre war das Ergebnis. Dieses Verfahren nannten sie "verformungsgerechtes Bauaufmass und den-drochronologische Untersuchung".

In meinem einfachen, bewegten Dasein als Wohnhaus zahlreicher Generationen hatte ich noch nie zuvor von so etwas gehört.

Nun konnte ich abgebaut werden; für die Nachwelt war ich ja auf dem Papier erhalten.

Was dann geschah, übertraf allerdings meine Erwartungen. Christian Engels hatte mit dem Denkmalschutz und meinem Besitzer verein-

bart, dass ich transloziert werden. Wieder etwas, was ich nicht verstand, aber ich sollte es bald verstehen.

Da kam nun der Bursche und machte es sich zur Aufgabe, mich Stück für Stück abzutragen. Am ersten Tag fotografierte er jede Ecke von mir und nummerierte jeden einzelnen Balken in verschiedenen Farben. Er rückte wieder ab und ich dachte, das war es. Aber am nächsten Tag erschien mit Hammer, Zange und Transportgerät. Da ich nicht wusste, was er genau vorhatte, habe ich es ihm besonders schwer gemacht. Das Dach mit dem Schiefer war noch recht einfach, aber mein Widerstand wuchs und ich hielt meine mit Holznägel und -zapfen verbundenen Balken fest, so dass er schweres Gerät einsetzen musste. Beim Entfernen der Lehmgefache machte ich besonders viel Staub, so dass er ins Husten und Schwitzen kam, aber als der Giebel verdächtig wackelte und der Bursche die Firstfette alleine nach unten schaffte, gab ich mich meinem Schicksal hin. Dass er bei meinem Abbau umkam, wollte ich auch nicht.

Er verlud alles und meine Reise begann. Balken für Balken, Fenster, Türen, Treppe, Fliesen und alles, was meine Schönheit ausgemacht

hat, ging auf Reisen. Sogar der Backofen, der viele Familien ernähert hat, kam mit.

In Sarresdorf, dem Urkern von Gerolstein, unterhalb der Munterley, neben dem Kreisheimatmuseum (ich dachte schon das Museum ist doch noch viel älter als ich) schwitzte ich nun ein halbes Jahr unter einer dichten Plane.

Der Bursche, Christian Engels, wartete auf die Baugenehmigung. Ein guter Architekt, Herr Pehrings, hatte für mich neue Pläne entworfen und sie wurden von der Stadt Gerolstein genehmigt.

Im Juni 2009, mit den ersten Sonnenstrahlen, sah ich den Ort und die Bodenplatte, auf welcher ich neu aufgebaut werden sollte. Langsam merkte ich, welch großes Glück ich hatte. Ich landete nicht auf der Deponie oder wurde verbrannt, sondern ich durfte wieder ein Haus werden, zwar ein altes Haus, aber ich wurde wieder gebraucht. Meine Nutzung wurde so konzipiert, dass wieder Leben in mir wohnen soll. Ich werde ein Cafe, ein Museumscafe und ich freue mich darauf. Die Schwellenbalken zu finden, war das erste Problem. Meine vielen Balken mussten sortiert werden, um Wand für Wand wieder entstehen zu lassen. Schwer wurde es bei dem oberen Geschoss. Die alten Eichenbalken für die Eckständer und die Decken- sowie Firstbalken forderten Konzentration und Kraft.

Eine Seitenwand, die mir schon vor 100 Jahren entfernt worden war, wurde neu gestaltet. Es wurde gehämmert und gezimmert, gemauert und verputzt, gestrichen und gemalt, die Fenster restauriert, meine alte Treppe wieder eingebaut und meine tolle Eingangstür restauriert. Von mir ging nichts verloren. Meine Seele und Charakter durfte ich behalten und so fühlte ich mich an meinem neuen Platz, mitten in Gerolstein, Sarresdorf, von Woche zu Woche wohler. Ich wurde bestaunt und der Bursche gelobt. Obwohl ich es ihm beim Abbau nicht leicht gemacht hatte, beim Aufbau wurden wir Freunde. Er schleppte und behandelte mich gegen Schädlinge, er wollte, dass es mir gut ginge.

Nachdem das Dach mit Hohlziegel gedeckt war, ging es an den Innenausbau. Mit viel Liebe zum Detail und Sachverstand wurden meine alten Fliesen wieder verlegt. Verschiedene Künstler verschönerten mich mit Ausmalungen. Ich bekam wieder einen alten Gussofen, der mich und meinen neuen Besitzer wohlig wärmte. Es war fast wie früher, ich war wieder wer. Ich bin es wert, dass man sich um mich kümmert.

Heute werde ich nicht mehr als Wohnhaus, sondern als gemütliches Cafe genutzt. Die Menschen mögen mich und den Gästen gebe ich hoffentlich dieses Gefühl zurück.

Der Bursche übrigens, Christian Engels, hat Tolles geleistet, um seiner Frau, Christine Engels, diesen schönen Traum vom Cafe zu erfüllen. Unermüdlich arbeitete er bei Wind und Wetter, Schnee und Sonnenschein alleine an mir und wir beide sind mächtig stolz aufeinander. Im Jahr 2010/11 soll ich einen Nachbarn bekommen, ein altes Haus aus Demerath.

Ob es genau so schön wird wie ich, wird sich zeigen, aber mein Backofen, wird dort angebaut und zum Brotbacken genutzt. Dort sollen die Gäste dann abends bei einem guten Wein verweilen.