"Nur Christus die Treue"

Dr. Wilhelm Keller, ein mutiger Mann in einer gefährlichen Zeit

Theresa Mayer, Gillenfeld

"Du fürchtest nicht die Menschen, du hieltst zu deinem Gott!"1 - noch heute besingt die Gillenfelder Kirchengemeinde mit diesen Worten den heiligen Andreas, der als Schutzpatron für das Wohlergehen der Dorfbewohner angerufen wird. Doch in diesen Worten steckt mehr, als das Andenken eines Heiligen, mehr als die Erinnerung an einen Menschen, der vor nun schon fast 2000 Jahren, Jesus Christus als Apostel nachfolgte und bereit war mit im Leben und im Tod für seinen Glauben einzustehen.

Mit seinem Leben und seinem Wirken in der Gemeinde machte Pastor Dr. Wilhelm Keller diesen Satz zur erklärten Aufforderung an alle Menschen in seiner Gemeinde und darüber hinaus. Dr. Keller war von 1921 bis 1936 Pastor im kleinen Gillenfeld in der Vulkaneifel und schaffte es durch intensive Jugendarbeit und engen Kontakt zu den Menschen in der Gemeinde den Glauben entgegen den Widerstand des nationalsozialistischen Regimes als höchstes Gut des Menschen zu verteidigen. Diese Forderung wird im Refrain des Liedes noch deutlicher: "Dein Wahlspruch soll uns gelten, im Leben und im Tod: Nur Christus die Treue, nie gebt den Glauben feil! Drum schwören wir aufs Neue: Im Kreuz ist Sieg und Heil!" Hier wird ganz klar: Keller gesteht niemandem einen Anspruch auf bedingungslose Treue ein, außer Jesus Christus, was hier, berücksichtigt man 1935 als Erscheinungsjahr des Textes, als deutliche Absage für den Totalitätsanspruch des Führers verstanden werde muss.

Die Umsetzung dieser Aussage, eine Form lebendigen Glaubens, sah Keller vor allem in der Gruppenarbeit in der Gemeinde, die die Menschen zum gelebten Glauben ermutigen sollte. In der allgemeinsten Form tat er das mit dem "Gillenfelder Pfarrboten", eine Art Gemeindezeitung, die, anfangs noch mit Unterstützung der Schule, später von Keller allein, viermal im Jahr seit dem 1. Juli 1930 herausgegeben wurde.

In ihm waren sowohl Berichte über das Geschehen in der Gemeinde, als auch umfassende Leitartikel von Keller über das Leben in der Gemeinde, die Stellung der Kirche oder zu allgemeinen christlichen Themen. Diese wurden von dem Pastor nicht selten dazu genutzt seine Meinung zu aktuellen politischen Geschehnissen deutlich zu machen. Allerdings geschah dies nie in einer eindeutigen Form, die es seinen Gegner ermöglicht hätte gegen ihn vorzugehen. Keller war ein kluger Mann und fand für sich einen Weg der öffentlichen Protest möglich machte. Ein Beispiel, das die sprachliche Gewandtheit und Voraussicht Kellers deutlich macht, ist das Vorwort zur Oster-ausgabe des Pfarrboten 1934, in dem es heißt: "Noch immer muss der Unglaube unglaublich viel glauben! Damals wie heute! Wie wird doch heute versucht, die Osterbotschaft zu überschreien mit der "artgemäßen Religiosität" des Neuen Deutschland, mit den "Offenbarungen von Blut und Rasse" Mit der blinden Naturkraft als höchster Gottheit!" Hier weißt er klar darauf hin, dass die nationalsozialistische Ideologie mit den Grundsätzen der christlichen Ethik unvereinbar ist. Der folgende Satz zeigt, warum Keller trotz dieser ideologiekritischen Äußerungen weder verhaftet noch bestraft wurde: "Gut, dass der Führer unserer Regierung das neue Deutschland aufden festen Boden des Christentums gegründet hat!"

Damit richtet er den Vorwurf auf die Bürger und Anhänger der rassistischen Überzeugung und weg von der eigentlich verantwortlichen Regierung. Damit sorgt er dafür, dass er im Falle einer Anklage abgesichert ist, da jede Behauptung, er habe sich regimekritisch geäußert dem Geständnis, der Führer habe sich vom Christentum abgewandt gleichgekommen wäre. Dass dies kein Einzelfall in Kellers Verhalten war, belegen verschiedene Briefwechsel, beispielsweise innerhalb der zuständigen Behörde für die Gillenfelder Schule, in der es in einem Antwortschreiben auf eine Beschwerde durch den Oberlehrer Gebhardt vom Kreisschulrat heißt, dass die ablehnende Haltung des Pfarrers gegen den Nationalsozialismus allgemein bekannt sei und dass er, sollte man Keller zur Verantwortung ziehen, damit rechnet, dass dieser sich nur wieder mit einer für ihn typischen Ausrede entschuldigen werde, die er für "bestimmt nicht stichhaltig" hält.

Besonderen Wert legte Keller auch auf die Arbeit in konfessionellen Jugendvereinen. Sie nahm ihren Anfang in der Gruppe der deutschen Jugendkraft (DJK), ein Sportverein für männliche Jugendliche und dem MarienVerein, der 1931 bereits fast alle Mädchen und junge Frauen im Dorf mit einschloss. Die Mitgliederzahlen de DJK schwankten hingegen sehr, was nicht zuletzt mit der Gründung der HJ in Gillenfeld zu erklären ist. Jedoch hatten die Anfeindungen der beiden Vereine auf lange Sicht gesehen, so Kellers Aussage im Pfarrboten, nur eine Stärkung der gläubigen Jugend zur Folge. Hinzu kam die Entwicklung vom reinen Sportverein zu einer konfessionellen Gruppe, die sich neben verschiedenen Projekte, wie zum Beispiel die Erbauung einiger Zufahrten zum Gillenfelder Pulvermaar als 6-wöchige Projektarbeit, auch zu wöchentlichen Heimabenden traf. Jedoch hatte die Jugendarbeit mit dem wachsenden Totalitätsanspruch des Führers und somit auch der HJ und vielen Einschränkungen zu leben. Mit der Einschränkung der konfessionellen Jugendarbeit auf rein-religiöse Themen und Arbeiten kam das Verbot der DJK als Sportverein, von dem in Gillenfeld schließlich nur noch die Jungmänner, vormals eine Splittergruppe der DJK übrig blieb. Die Mitglieder dieser "Jungschar" hatten, nach Zeitzeugenberichten vor allem in der Schule sowohl unter Lehrern als auch unter ihren, meistens zahlenmäßig überlegenen Mitschülern aus der HJ zu leiden. Dennoch zählen mit den Jahren die Vereine mit den Jahren immer mehr junge Menschen zu ihren Mitgliedern, so dass beispielsweise die Jungschar schon 1934 in zwei Altersklassen unterteilt werden musste. In diesem Jahr gab es in Gillenfeld 65 und im Nachbarort Ellscheid 22 Jungmänner.

Das wohl größte Projekt der konfessionellen Jugend in Gillenfeld ist heute noch im Dorf sichtbar und beständiger Teil der Kirchengemeinde: die Marien-Grotte am Kirchenberg.

1935 kündigte Keller den Bau der Grotte im Pfarrboten an und berichtete später, dass nach den grundlegende Bau- und Ausschachtungsarbeiten, die von den Jungmännern übernommen wurden, die restlichen Bauarbeiten, die von einer Sammlung in der Gemeinde finanziert wurde, innerhalb von 5 Monaten abgeschlossen wurden. Die Motivation Kellers und der Jugend fasst er in dem Bericht wie folgt zusammen: "Wir möchten gerne der lieben Mutter Gottes ein Denkmal setzen zur Erinnerung an unsere Christustreue in schwerer Zeit"

Neben der intensiven Jugendarbeit widmete Dr. Keller auch den Erwachsenen verschiedene Vereine und Gruppen, die den Zusammenhalt und auch die Widerstandsfähigkeit der Ortsgemeinde bestärkte. Dies alles machte ihn zu einem festen Bestandteil in der Gemeinde und sorgte dafür, dass auch in politisch schweren Zeiten die Menschen am Glauben festhalten konnten.

Oft genug geriet er wegen seiner festen Überzeugung mit Ortsobrigkeiten und Behörden aneinander und oft genug half ihm der Rückhalt, den er in der Gemeinde fand, sich gegen Anfeindungen zu Wehr zu setzen. Seine wichtigste Botschaft war die, dass nichts und niemand das Recht hat sich über bzw. anstelle von Gott zu setzen und, dass nur im Glauben eine dauerhafte Obrigkeit zu finden sei. Und diesen Grundsatz verleugnete er nie. Gegenüber dem Gillenfelder Orstbürgermeister formulierte er dies einmal so: "Bitte bedenken Sie [...] daß es mein Amt und meine hl. Pflicht ist Unrecht als Unrecht zu bezeichnen, ganz gleich woher es kommt. Bedenken sie auch bitte, daß ich über meine Amtsverwaltung nur meinem Gewissen u. meinem Bischöfe verantwortlich bin, sonst niemandem!"

Nach etlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Gemeinde, vor allem mit Claus Bollonia, Besitzer des örtlichen Sägewerks, und zahlreichen Vorladungen nach Trier zur GeStaPo wuchs der Druck auf Keller, was ihn 1936 zu einem Antrag auf Versetzung in eine andere Ortsgemeinde veranlasste. Als Gründe nannte er, sowohl die Tatsache schon sehr lange in der Eifel tätig zu sein, als auch private Auseinandersetzungen mit Claus Bollonia. Doch auch nach seiner Versetzung nach Remagen-Kripp an der Mosel behielt er seine Haltung bei, was Zeitzeugen und Beschwerdebriefe von Seiten der dort zuständigen Behörden belegen. Pastor Dr. Wilhelm Keller starb am 25. April 1951 an den Folgen eines Unfalls.

Insgesamt war Dr. Keller einer der Menschen, die den Glauben zu etwas machen, was nicht an stumpfe Zeremonien und leere Gesten gebunden ist, sondern in lebender Gemeinschaft aufblüht. Und das noch dazu in einer Zeit in der der Lebensinhalt eines Jeden ausschließlich im Interesse am Wohl des deutschen Volkes und in der Erfüllung des Willens des Führer zu bestehen hatte. Mutig widerstand er den Anfeindungen und Bedrohung des NS-Re-gimes und wagte es, trotz der mit den Jahren immer stärker zunehmenden Anfeindung aller Gläubigen zu seiner Überzeugung zu stehen. Hier kann er uns als Vorbild dienen, als Mutmacher, dass wir selbst unsere Grundsätze, unsere Überzeugungen verteidigen, wenn sich die populäre Meinung der Masse gegen sie wendet und auf sie herabsieht. Abschließend kann man sagen, dass Kellers Worte im Andreas-Lied ihn selbst am besten beschreiben: "Du fürchtest nicht die Menschen, du hieltst zu deinem Gott!"

Anmerkungen:

1) Andreas-Lied Text: Pastor Dr. Keller (1935), Musik: Bernhard Barth