"Fremde Heimat Deutschland"

Russlanddeutsche auch in der Eifel

Wolf-Henry Sturt, Daun

Seit der Regierung Gorbatschow und der in dieser Zeit erfolgten Wende in den deutschrussischen Beziehungen kamen über zwei Millionen deutschstämmige Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in das Land ihrer Vorväter zurück. Viele von ihnen fanden auch in der Eifel eine neue Heimat. Besonders Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre erreichte die Zahl der Aussiedler ungeahnte Dimensionen, zeitweilig sogar über 200 000 Menschen jährlich, wobei seit Mitte der neunziger Jahre auch verstärkt nichtdeutsche Familienangehörige mit nach Deutschland ausreisten. Dies erforderte er-

hebliche Anstrengungen seitens des Aufnahmelandes, sollten doch all diese Aussiedler, die mit großen Hoffnungen, aber häufig wenig materiellem Besitz zu uns kamen, möglichst reibungslos in die Gesellschaft integriert werden. Allein im Landkreis Vul-kaneifel leben und arbeiten mittlerweile etwa 4000 Deutsche aus Russland. Das entspricht etwa 20% der Gesamtbevölkerung.

Dieser enorme Zuzug aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR ist durchaus vergleichbar mit der Aufnahme der Flüchtlinge aus den östlichen Gebieten des dama-

ligen Deutschen Reiches nach dem 2. Weltkrieg. Allerdings dürften die sozialen und kulturellen Diskrepanzen zwischen der hiesigen Bevölkerung und den Neuankömmlingen aufgrund der langen zeitlichen und großen räumlichen Trennung größer sein als dies nach 1945 der Fall gewesen war. Damals wie heute stießen die "Zugereisten" nicht nur auf Toleranz und guten Willen. Mentalitätsunterschiede und Voreingenommenheit ließen mancherorts gegenseitiges Unverständnis und eine innere Distanz aufkommen. Die einen hatten vielleicht zu viele positive, teilweise unrealistische Erwartungen an ihre neue Heimat "im Gepäck", die anderen sahen sich allzu schnell als die Ausgenutzten, die mittels ihrer Steuergelder großzügige Eingliederungshilfen bezahlen sollten. Vorschnell und unbedacht sprach der eine oder andere daher nur noch von den "Russen" und stieß damit die Russlanddeutschen vor den Kopf, welche nicht grundlos Russland gerade den Rücken zugekehrt hatten.

Rückblick in die Geschichte

Die hier angesprochenen Unstimmigkeiten zu beseitigen, soll dieser Artikel einen bescheidenen Beitrag leisten. Ein kurzer Rückblick in die Geschichte dürfte hier hilfreich sein und zur Aufklärung beitragen. Es war vor allem die aus Deutschland stammende Zarin Katharina II (1762-1796), die mit ihrem Einladungsmanifest vom 22.07.1763 eine Einwanderung deutscher Bauern und Handwerker in das Zarenreich nach Kräften förderte. Auch ihr Sohn Pauli (1796-1801) und Ihr Enkel Alexander I (1801-1825) folgten ihrem Beispiel und strebten in der Folgezeit danach, die menschenarmen Weiten ihres riesigen Landes mithilfe deutscher Kolonisten zu besiedeln und in fruchtbares Ackerland zu verwandeln. Infolge dieser erhebliche Ausmaße annehmenden deutschen Einwanderung bildeten sich überall im Land, vor allem aber an der Wolga sowie nördlich des Schwarzen Meeres (Neurussland, Bessarabien und der Krim) und im Transkaukasus deutsche Siedlungskolonien.

Viele deutsche Siedler waren durch ihren Fleiß und ihr Wissen nach einer gewissen Zeit wirt-

schaflich erfolgreich, wobei ihre Tatkraft und der hieraus erwachsende relative Wohlstand jedoch gelegentlich den Neid ihrer russischen Nachbarn herausforderte, zumal den Deutschen anfangs seitens des russischen Staates Sonderrechte eingeräumt worden waren. Außerdem pflegten die Deutschen, gestützt auf ihren starken christlichen Glauben, weiterhin intensiv ihre deutschen Sitten und Gebräuche. Trotz dieses Eigenlebens versuchte man jedoch immer wieder einen Beitrag für das neue Heimatland zu leisten, so unterstützten beispielsweise deutsche Siedler im Krimkrieg die russischen Truppenteile tatkräftig bei der Versorgung und in der Verwundetenpflege. Auch zahlreiche Wissenschaftler, Unternehmer und Kulturschaffende kamen aus ihren Reihen.

Nachdem vorher schon vereinzelt für die deutsche Minderheit nachteilige Maßnahmen des russischen Staates erfolgt waren (Aufhebung der staatlichen Sonderverwaltung der Kolonisten, Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht, Begrenzung des Grundbesitzes für Ausländer etc.) und dies auch schon zu einer verstärkten Auswanderung nach Übersee geführt hatte, bildete der 1. Weltkrieg dann jedoch eine noch deutlichere Zäsur im Zusammenleben von Deutschen und Russen. Es kam verbunden mit Zwangsveräußerungen deutschen Grundbesitzes zu staatlich verordneten Umsiedlungen aus den westlichen grenznahen Gebieten, vor allem aus dem Baltikum und Wolhynien, ins Landesinnere und zu einem teilweise gewalttätigen Wirtschaftspogrom in Moskau.

Nach Übernahme der Staatsgewalt durch die Kommunisten änderte sich dann die Situation für die deutsche Minderheit dann noch nachhaltiger. Einerseits genehmigte man per Dekret eine Gebietsautonomie für die Wolgadeutschen, später sogar die Aufwertung dieses Gebietes zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, andererseits hatten jedoch auch die deutschen Bauernschaften erheblich unter einer verheerenden Wirtschaftspolitik zu leiden. Es kam zu Hungersnöten, radikalen Nahrungsmitteleintreibungen und später zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft,

verbunden mit der völligen Enteignung der wohlhabenden, größeren Bauern (Kulaken).

Das größte Unglück für die Russlanddeutschen begann aber erst mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Russland im 2. Weltkrieg (1941). Als Vergeltungsmaßnahme und aus Furcht, die Deutschen in Russland könnten mit der deutschen Wehrmacht kollaborieren, ordnete Stalin kurzerhand die Auflösung der Wolgarepublik an und befahl die Massendeportation der hier lebenden und der meisten anderen Deutschen aus ihren angestammten Siedlungsgebieten gen Osten. So kamen die Deportierten zuerst meist nach Sibirien, wo sie weit verstreut und unter oft harten Bedingungen - viele von ihnen Jahre lang in Zwangsarbeitslagern - leben mussten und später dann, wiederum unter staatlichem Kontrolle, in landwirtschaftliche Neulandgebiete, z.B. nach Kasachstan. Zwar gelangte das Leben der meisten Russlanddeutschen allmählich wieder in ruhigere, geordnete Bahnen, der Wunsch, wieder nach Deutschland, dem Land ihrer Väter, zurückzukehren, war jedoch seit dieser Zeit, trotz weitgehender Aufhebung der politischen Einschränkungen und Beseitigung des Verratsvorwurfes (Rehabilitierung), im kollektiven Bewusstsein eingebrannt und nahm -auch aufgrund entsprechender politischer Signale seitens der deutschen Politik- in der Folgezeit ständig zu, bis sich dann infolge bilateraler Verhandlungen zwischen Deutschland und der UdSSR bzw. den Nachfolgestaaten der UdSSR, insbesondere Russland, in der Ära der politisch-militärischen Entspannung endlich die Schleusen nach Westen öffneten.

Gegenwärtige Probleme und Lösungsansätze

Soweit der kurze historische Rückblick. In die Zukunft blickend sind jedoch einige Fragen zu klären. Mit welchen Hilfen und Maßnahmen kann den Zuwanderern der wirtschaftliche Neuanfang erleichtert werden? Wie kann vor allem die soziale Integration bewerkstelligt werden? Welche Gefahren und Probleme können hierbei auftreten und wie sind sie zu bewältigen? Auf welche Weise können insbesondere für die russlanddeutsche Jugend, die häufig zwischen "zwei Welten" aufwächst, die

persönlichen Perspektiven verbessert werden? Kann die Zuwanderung auch neue Chancen für unsere Gesellschaft insgesamt beinhalten?

Mancher Bürger hierzulande vertritt die Auffassung, den Neuankömmlingen würden zu viele Hilfen gewährt, zumal die deutsche Wirtschaft zur Zeit selbst eine Krise durchlebt. Der Sozialstaat werde dadurch unverhältnismäßig belastet und dadurch eine SozialempfängerMentalität zulasten der Eigenenergie gefördert. Diese Auffassungen bedürfen daher einer nüchternen, objektiven Überprüfung.

Folgende Unstützung sind für Aussiedler vorgesehen: Sie erhalten zunächst einen relativ bescheidenen pauschalen Ausgleich für die Kosten der Reise nach Deutschland. Des weiteren hat jeder Rückwanderer nach dem Zuwanderungsgesetz Anspruch auf eine kostenlose Sprachförderung für die Dauer von sechs Monaten. Ältere Aussiedler haben einen Rentenanspruch aufgrund des Fremdrentengesetzes (FRG). Damit will der Gesetzgeber dem Kriegsfolgenschicksal der Aussiedler Rechnung tragen. Diese Rentenanteile aus FRG-Zeiten im Herkunftsland belaufen sich derzeit für die nach dem Stichtag 06.05.1996 nach Deutschland gekommenen Aussiedler auf max. etwa 650 € bei Einzelpersonen, bei Ehepaaren auf max. etwa 1050 €. Für die vor dem Stichtag Zugezogenen wurden allerdings - je nach vorheriger Berufsausübung im Herkunftsland - häufig höhere Renten berechnet. Im Zeichen leerer öffentlicher Kassen wurde jedoch hier eine Begrenzung der Zahlungen notwendig. Spätaussiedler (nicht aber deren Familienangehörige) aus der ehemaligen UdSSR, die wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit politische Haft oder Verbannung erlitten haben, erhalten als Ausgleich eine einmalige Entschädigung von etwa 2000 €, sofern sie vor 1956 geboren wurden und von etwa 4000 €, sofern sie vor 1946 geboren wurden.

Darüber hinaus werden keine aussiedlerspezifischen Hilfen angeboten. So gibt es beispielsweise die anfangs gewährten Eingliederungshilfen für bereits vorher berufstätige Zuwanderer inzwischen nicht mehr. Auch werden

etwa zinslose oder zinsverbilligte Darlehen oder Zuschüsse für den Erwerb von Häusern oder Wohnungen speziell für Aussiedler mittlerweile nicht mehr gewährt. Wohl aber günstige Darlehen oder Wohngeld für sozial schwache oder kinderreiche Familien, was aber auch allen anderen Deutschen beim Vorliegen entsprechender Voraussetzungen zusteht.

In diesem Zusammenhang sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Zuwanderer eine durchschnittlich relativ junge Bevölkerungsgruppe darstellen, die einer überalterten bundesdeutschen Gesellschaft gegenüberstehen. Als Steuerzahler und Beitragszahler der Sozi-alversicherungs- und Rentenkassen dürfte die prozentual große Gruppe der im Berufsleben stehenden Russlanddeutschen den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden in Zukunft eher von Nutzen sein, als ihnen schaden.

Neben den wirtschaftlichen Aspekten spielt im öffentlichen Bewusstsein jedoch auch das Problem einer möglichen Abkapselung der russischen Zuwanderer eine Rolle. Zwar besitzen die meisten Russlanddeutschen ein hohes Maß an gutem Willen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, dennoch lassen sich unterschiedliche Denkweisen und kulturelle Eigenarten nicht leugnen, die einer solchen Integration zunächst im Wege stehen. Einerseits sind viele der Zuwanderer nach unseren Maßstäben sehr traditionell verhaftet und in ihrer Lebensweise äußerst konservativ. Die christliche Glaubensgemeinschaft dient ihnen häufig als Hort innerer Sicherheit in einer für sie fremden Umgebung. Dabei wird die hiesige pluralistische Gesellschaft nicht selten als zu weltlich, ja sündhaft wahrgenommen. Andererseits geraten aber auch gerade junge Russlanddeutsche - vor allem dann, wenn der soziale Rückhalt der eigenen Bevölkerungsgruppe nachläßt - in einen inneren Zwiespalt und damit in die Orientierungslosigkeit. Die ungewohnte Freiheit kann dann schnell mit Regellosigkeit verwechselt werden, wie die angestiegene Kriminalitätsrate und hier vor allem die der Gewaltkriminalität zu belegen scheint. Es kann nicht von Vorteil sein, wenn schon in Schulklassen eine Aufspaltung der

Schülerschaft in Deutsche und "Russen" zu beobachten ist. Es kann auch nicht angehen, dass der Anteil der Russlanddeutschen an einer höheren Schulbildung und weiteren Hochschulbildung vergleichsweise viel zu gering ist. Auch eine Herausbildung von Wohngebieten, in denen vornehmlich Zuwanderer leben, widerspricht allen integrativen Bemühungen.

Um diese hier entstehenden Probleme zu lösen, kommt besonders der Schule und den verschiedenen staatlichen, nichtstaatlichen und kirchlichen Fürsorgeeinrichtungen eine wichtige Rolle zu. Besondere Angebote und Fördermaßnahmen sind vonnöten, damit Chancengleichheit in unserer Gesellschaft gerade für jungen Menschen wirklich hergestellt wird. Wie zahlreiche Beispiele belegen, sind der Leistungswille und die Leistungsfähigkeiten in der Bevölkerungsgruppe der Russlanddeutschen in reichem Maße vorhanden, die Voraussetzungen dafür, dass sich Wille und Fähigkeiten entfalten können, müssen allerdings weiterhin verbessert werden. Daneben sollte jedoch auch in den Vereinen und in den Nachbarschaften ein harmonisches Miteinander angestrebt werden, was natürlich ein Entgegenkommen von beiden Seiten voraussetzt.

Guter Wille auf beiden Seiten notwendig

Die deutschen Zuwanderer aus Russland verdienen unsere aufgeschlossene Zuwendung. Toleranz und konkrete Hilfe werden ihnen das Einleben in unserem Land ermöglichen. So wie es gelang, relativ schnell die vielen Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg in unser Gemeinwesen einzubeziehen und inzwischen aus Schlesiern, Pommern, Ostpreußen und Sudetendeutschen "fast waschechte Eifeler" machte, wird dann ebenso die Integration auch dieser Neubürger gelingen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass - wie die historische Erfahrung zeigt - jede Gesellschaft und jedes Gemeinwesen sich gerade dann schöpferisch weiterentwickeln, wenn sie imstande sind, auch fruchtbare Impulse von außen aufzunehmen und für sich nutzbar zu machen.

Foto rechts: Bolsdorfer Tälchen

Foto: Felicitas Schulz, Hillesheim