Vom "Entwicklungsland" zur "blühenden Landschaft"

Willi Heinrichs, Kopp

Geboren im Rheinland, konnten wir zunächst als Kinder und später als Jugendliche erleben, wie innerhalb von rund fünfzehn Jahren die riesigen Kriegsschäden in den großen Städten wie Köln, Düsseldorf oder Solingen beseitigt wurden. Die ländlichen Bezirke profitierten von den sehr guten Verdienstmöglichkeiten in Industrie, Handwerk und Handel. Das Bank-und Versicherungsgewerbe blühte auf. Neu geschaffene bzw. ausgebaute Verkehrswege ermöglichten es der ländlichen Bevölkerung, mehr oder weniger bequem ihren Arbeitsplatz in Städten und Industriezentren zu erreichen. Außerdem zogen viele Familien "aufs Land" in großflächige Neubaugebiete. Überall wurden neue Schulen, Stadthallen und Sportstätten gebaut.

In der Eifel sah das in den 1950-er Jahren ganz anders aus. Meinen ersten Kontakt zu diesem wunderschönen Landstrich hatte ich 1958 anlässlich einer Schulabschlussfahrt nach Trier. In Nordrhein-Westfalen war die B51 recht gut befahrbar. Dies änderte sich abrupt nach dem Überschreiten der "Grenze" zu Rheinland-Pfalz. Ich erinnere mich noch heute

daran, dass der Busfahrer alle Hände voll zu tun hatte, den Wagen einigermaßen sicher auf der Schlaglochpiste zu halten. Wir fuhren durch kleine, meist graue Dörfer und Städtchen. Überall sah man noch Kriegsschäden an Wänden und Dächern. Mehr oder weniger große Misthaufen reichten bis an den Straßenrand, Jauche lief oft über die Straße. Tiefe Spuren von Pferdefuhrwerken und Traktoren im Morast der Innenhöfe und der umgebenden Wirtschaftswege sowie der oft sehr desolate Zustand der Stallungen, Scheunen und Wohngebäude boten einen trostlosen, erbärmlichen Anblick.

In den 1960-er und 70-er Jahren besuchten wir sehr oft die Vulkaneifel, wo mein Schwiegervater in der Kyll mit der Fliege Forellen fischte. Wir wohnten in kleinen Hotels oder Pensionen. Die einfachen Unterkünfte waren stets sehr sauber. Fließendes kaltes Wasser gab es im Zimmer, das Gemeinschaftsbad und die Toilette befanden sich auf dem Flur. Im Winter musste man den Ofen im Zimmer selbst heizen. Es gab nur ein Telefon (meist Baujahr 1930) im ganzen Haus, was manchmal für ei-

nen Geschäftsreisenden unangenehm war. Die Übernachtungspreise waren so niedrig, dass wir uns oft gefragt haben, wie der Vermieter hiervon leben kann. Auch die Preise für gutbürgerliches Essen waren wesentlich niedriger als in unserer Heimat.

Bei vielen Gesprächen mit den Dorfbewohnern erfuhren wir, dass viele Väter und die heranwachsenden Söhne in der Woche in Köln oder Leverkusen arbeiten, während die Hausfrau den meist kleinen landwirtschaftlichen Betrieb versorgt. Schwere Arbeiten verrichteten dann die Männer am Wochenende. Viele Haushaltungen verfügten über einen Gemüsegarten, Schweinemästen war normal. Durch diese Lebensweise kam relativ viel Geld in die Familienkasse.

Langsam fing der Aufschwung an. Die Familien kauften neue Möbel, einen Fernsehapparat. Man richtete Badezimmer ein, baute die Häuser um bzw. baute ganz neue. Die Fassaden wurden freundlich gestrichen, die Dächer neu gedeckt, die Höfe gepflastert oder asphaltiert und - was immer mehr auffiel - Blumen in die Vorgärten gesät und Blumenkästen auf-

gestellt. Außerdem wurden stärkere Traktoren und größere Autos gekauft. Auch das Hotel-und Gaststättengewerbe, das für uns Besucher wichtig war, passte sich dem wachsenden Wohlstand an. Die Vulkaneifel wurde für immer mehr Gäste attraktiv, was dazu führte, dass sehr viele Leute in der Eifel einen zweiten Wohnsitz errichteten oder sich nach Erreichen des Rentenalters hier ansiedelten. Es fällt auch auf, dass sich die Einkaufsmöglichkeiten praktisch für alle Waren des täglichen Lebens enorm verbessert haben. Sowohl kleine Spezialgeschäfte als auch einschlägige Discounter lassen nahezu keinen Wunsch offen. Auch in kultureller Hinsicht hat sich vieles gewandelt. Museen und attraktive Sehenswürdigkeiten entstanden, wurden geschaffen, dem Einheimischen und Gast zur Freude. Lokalzeitungen oder die wöchentlichen Mitteilungsblätter beweisen die kulturelle Vielfalt der Vulkaneifel. Heute lässt sich abschließend bemerken: "Die Bewohner der Vulkaneifel haben aus dem einst verschrienen "Entwicklungsland Preußisch-Sibirien" eine "blühende Landschaft" gestaltet."