Sturm

Gertrud Margarete Morsink, Landscheid

Früher erzählte man Kindern oft Schauermärchen, zum Beispiel auch vom "Spuklieschen" und von "Wotans Heer", die unartige Kinder, die bei Sturm draußen waren, einfach mitnahmen. Folgendes Erlebnis hat mich meine ganze Kindheit über begleitet. Ich war etwa vier Jahre alt. Es war Winter, meine Eltern waren im Stall und versorgten das Vieh. Ich saß auf meinem Lieblingsplatz in der Küche am alten Eisenherd, in dem Feuer brannte. Draußen heulte und tobte der Sturm. Ich fürchtete mich sehr. Der Schornstein im alten Haus war halb offen. Der Wind konnte ungehindert sein Spiel treiben, sein Heulen und Poltern war unheimlich. Nach kurzer Stille gab es einen fürchterlichen Knall. Die Ofentüre flog auf. Die Küche war voll leuchtender Feuerfunken. Ich schrie so laut ich konnte und hatte fürchterliche Angst, Spuklieschen würde mich holen. Meine Mutter kam vom Kühemelken ins Haus. Sie nahm mich in den Arm, setzte mich auf den Schoß und versuchte mich zu trösten. Es dauerte lange, bis ich sprechen konnte. Sie fragte nach meiner Angst. Ich erzählte ihr, dass Spuklieschen mich holen wollte. Durch die vielen Funken konnte es mich nicht sehen. Welches Glück, dass die Mutter gerade ins Haus kam, denn hätte Spuklieschen mich gefunden, müsste ich mit ihr durch Sturm und Wind ziehen und unfolgsame Kinder von der Straße holen.

"Ruhig, ruhig, sei still mein Kind!
Was draußen wütet, ist nur der Wind,
es ist nicht Spuklieschen, nicht Wotans Heer,
die sind vergangen, die gibt es nicht mehr!
Es ist der Nordwind frostig kalt,
er tobt um die Häuser
durch Täler und übers Land,
legt Wälder nieder, knickt Bäume ein
und fegt vom Haus das Dach vernichtet
so mit einem Schlag
der Menschen Arbeit und Plag.
Ruhig, ruhig, sei still mein Kind,
was draußen wütet, ist nur der Wind.
Er wird es nicht wagen,
er kann dir nicht schaden,
denn ich bin bei dir, mein Kind."