50er und 60er Jahre

Als der Wohlstand in die Dörfer kam

Wirtschaftswunderjahre 1948 - i960 im ehemaligen Kreis Daun

Matthias Thömmes, Philippsheim

Mit der Währungsreform 1948 kehrten auch in unseren Eifeldörfern die heute noch viel zitierten Wirtschaftswunderjahre ein. Drei Jahre waren inzwischen vergangen, nachdem der unselige Zweite Weltkrieg 1945 beendet war und in Deutschland eine unendliche Trümmerwüste, Elend, Hunger und Not hinterlassen hatte. Vieles war seitdem schon getan worden, manches wieder aufgebaut oder im Aufbau begriffen. Als dann am 20. Juni 1948 jeder mit vierzig Deutschen Mark neu anfangen musste, war das zwar noch nicht viel, - aber der Beginn eines neuen Lebens. Auf einmal waren die Läden wieder voll, in denen tags zuvor noch gähnende Leere geherrscht hatte. Allerdings war es bei vielen so, wie Jupp Schmitz 1949 in seinem Karnevalslied gesungen hatte: "Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld!"

Was nutzten da einem die vielen angebotenen Waren, wenn man nicht das Geld dazu hatte, sie zu kaufen. Tatsächlich konnte man mit den 40 DM noch nicht viel anfangen, und es dauerte eine gewisse Zeit, bis jeder soviel verdiente, dass er sich die angebotenen Dinge leisten konnte. Aber Arbeit gab es damals ja genug. Die in unseren Dörfern und Städten noch zahlreich vorhandenen Zerstörungen sowie die wieder anlaufende Industrie boten Beschäftigung in Hülle und Fülle, so dass schon nach kurzer Zeit der beginnende Wohlstand zu spüren und zu sehen war. In den folgenden 1950-er Jahren wandelten sich unsere ehemaligen Bauerndörfer in blühende Arbeitersiedlungen. Ställe und Scheunen verschwanden, und bald war kein Misthaufen mehr zu sehen, der vorher noch fast jedes Haus geziert hatte.

Statt des Scheunentores wurde nun das Garagentor zum Statussymbol jeder Wohnung. Häuser wurden renoviert, frisch verputzt und zum Teil neu eingedeckt, und das bis dahin noch überall zu sehende Plumpsklo mit dem Herzchen an der Tür durch Klosetts mit Wasserspülung, meist in Verbindung mit einem komfortablen Badezimmer ersetzt.

Große Firmen wurden beauftragt, die Straßen zu teeren und die Hauszufahrten zu verschönern. Neue Häuser wurden gebaut und in den Außenbezirken der Ortschaften Neubaugebiete angelegt. Kirchen wurden erweitert beziehungsweise neu aufgebaut, wenn sie zerstört waren. So erfolgte der Wiederaufbau der zerstörten St. Nikolauskirche in Daun, die bereits 1949 wieder feierlich eingeweiht werden konnte. Schulen wurden renoviert oder neu gebaut. Gleichzeitig wurden sie besser ausgestattet und modernisiert. Die langen Bänke mit den Klappsitzen verschwanden und machten bequemen Tischen mit Stühlen Platz. Auch sonst veränderte sich das Leben der Menschen radikal. Neben Auto und Motorroller zogen nun das Fernsehen, die Waschmaschine, Kühlschrank, Staubsauger und moderne Möbel in die Wohnungen ein. Beliebt waren damals Nierentische und Couchgarnituren, Elektroherde und die ersten Einbauküchen galten als moderner Fortschritt. Ein wichtiges Möbelstück war damals die Musikanlage, meist truhenförmig, in denen der Schallplattenspieler mit den dazugehörigen Platten und das neue Radio ihren Platz hatten. "Vespa"-Clubs mit dem groß in Mode gekommenen italienischen Motorroller entstanden, und der VW-Käfer war das Standardauto. Das Fernsehen zog erst allmählich in die Häuser ein. Anfangs hatte nur die Gaststätte im Dorf

solch einen Apparat, die dann bei entsprechenden Sendungen von Besuchern überfüllt war. Das war vor allem bei den beliebten Sendungen von Peter Frankenfeld der Fall. Um diese zu sehen, pilgerten wir Wallenborner beispielsweise bis nach Salm, weil es in Wallenborn noch keinen Fernseher gab.

Wenn bei Capri die rote Sonne

Allmählich verdienten auch die Menschen in der Eifel so gut, dass sie sich eine Urlaubsreise gönnen konnten. "Ab in den sonnigen Süden" hieß das Motto schon Anfang der 1950-er Jahre. Italien, Mallorca, Capri und Spanien waren die Gegenden, die damals von den Deutschen, auch von den Eifelern, aufgesucht wurden. "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt" und "Komm ein bisschen mit nach Italien" waren die Schlager jener Jahre. Aus dem Ausland zogen auch neue Speisen und Getränke in unsere Heimat ein: Pizza und Toast Hawaii war der neueste Essgenuss, und Cola wurde das Nationalgetränk vor allem für die Jugend. Damals gab es im Fernsehen auch die ersten Kochsendungen, in denen die neuesten Speisen vorgestellt wurden. Sicher erinnern sich die Älteren noch heute an Clemens Willmenrod, der in jenen Jahren als Fernsehkoch große Erfolge hatte. Er gilt bis heute als der "Erfinder des Toast Hawaii". Auch die Unterhaltungsmusik wandelte sich mehr und mehr. Neben den Schlagern von Peter Alexander, Rene Carroll, Vico Torriani, Catharina Valente, Gerhard Wendland, Margot Eskens, Bibi Johns, Fred Bertelmann, Freddy Quinn und vielen anderen, brachten nun Peter Kraus, Conny Froboes, Ted Herold vor allem aber Elvis Presley und Bill Haley mit dem Rock' n Roll härtere Töne und Rhythmen in die Schlagerwelt und begeisterten damit vornehmlich die Jugend.

Das kulturelle Leben nahm in diesen Jahren einen ungeheuren Aufschwung. Neue Chöre

wurden gegründet, Musikvereine nach dem Kriege reaktiviert, neue kamen hinzu. Vor allem in Gerolstein und Daun entwickelte sich ein reges Konzertleben. In Daun waren es vor allem der Kirchenchor unter Alois Merkes und der Männerchor unter Albert Blümling, die mit ihren Konzertabenden musikalisches Leben in die Stadt brachten. Im Gegensatz zu heute gab es in den Chören damals noch keine Nachwuchsprobleme. Auch der Dauner Musikverein erreichte in diesen Jahren unter seinem Dirigenten Hans Stark ein hohes Niveau. In Gerolstein bestimmte der Organist, Chorleiter und Musiklehrer Carl Breuer das musikalische Geschehen. Heute noch spricht man von seinen großartigen Kirchenkonzerten und Operettenaufführungen.

Groß war die Begeisterung im Sport, vor allem beim Fußball. Fast in jedem Dorf entstand eine Fußballmannschaft, die sich gegenseitig nach dem Vorbild der damaligen Spitzenmannschaften TUS Neuendorf und FC Kaiserslautern Wertungsspiele lieferten. Über die Region hinaus bekannt war damals der TUS Daun mit einer hervorragenden Handballmannschaft und seiner Leichtathletikabteilung unter Peter Tourmo. Legendär sind heute noch die damaligen Leichtathletikmeisterschaften auf dem Wehrbüschstadion.

Mit dem Fortschritt aber lockerte sich auch die Moral. Man befreite sich allmählich von den religiösen und streng sittlichen Zwängen, die bis dahin geherrscht hatten und lebte freier und ungezwungener. Vor allem der

Umgang der beiden Geschlechter untereinander lockerte sich bedeutend. Wie züchtig und schüchtern waren wir anfangs noch, wenn wir nach der Tanzmusik ein Mädchen nach Haus bringen durften. Ein scheuer Kuss war da -wenn überhaupt - das höchste der Gefühle. Und später??? Auch in den Schulen machte sich diese Haltung bemerkbar. Bis in die ersten 1950er Jahre hinein wurde hier noch vielfach das Trierer System - d. h. Trennung von Jungen und Mädchen im Unterricht der Oberklassen - praktiziert. Später gab es dann nur noch die Koedukation. Besonders im öffentlichen Leben konnte man deutlich die Wandlung von autoritären Auffassungen zu neuen, teils ungewohnten Freiheiten feststellen. Während die Aufführung des Spielfilms "Die Sünderin" mit Hildegard Knef - ein für heutige Verhältnisse vergleichsmäßig harmloser Film - 1950 noch heftige Proteste seitens der Kirche hervorrief, nahm 1957 bei der Aufführung des Films "Das Mädchen Rosemarie" - die Geschichte der Frankfurter Lebedame Rosemarie Nitribitt -kaum noch jemand Notiz davon. Neben all diesen Ereignissen und Errungenschaften aber war noch viel wichtiger, dass Deutschland in der Welt wieder an Ansehen gewonnen hatte. Spätestens nach der Weltmeisterschaft 1954 in Bern wurde unser Vaterland in der Welt wieder geachtet und als gleichwertige Nation anerkannt, wozu vor allem aber auch unsere Politiker Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Theodor Heuss beigetragen hatten.