Die gute Eifeler Qualitäts-Kartoffel

Das persönliche Wirtschaftswunder eines kleinen Kartoffelbauern

Tamara Retterath, Lirstal

Nach der Währungsreform versuchten meine Eltern mit ihrem landwirtschaftlichen Betrieb wieder Erzeugnisse für den Verkauf zu produzieren. Da die Kartoffel damals noch eines der Hauptnahrungsmittel der Deutschen war und diese Pflanze in der Eifel sehr gut gedieh, bestellten sie die meisten ihrer Felder mit diesem Nachtschattengewächs. Nach der Ernte im September/ Oktober versuchten sie zunächst die Kartoffeln in der nahegelegenen Kreisstadt Mayen zu verkaufen. Doch mussten sie leider feststellen, dass dort schlechte Verkaufsbedingungen herrschten, da die Stadt Mayen in großem Maße mit Kartoffeln aus dem Maifeld bedient wurde und das Angebot hier somit die Nachfrage überstieg. So fuhr unsere Familie frühmorgens mit unserem Einspänner (= offener Kastenwagen, der von einem Pferd gezogen wird) und mit einer Wagenladung Kartoffeln nach Adenau. Wir hatten so circa 20 - 25 Zentner Kartoffeln geladen. Meine Eltern verkauften die Kartoffeln dann von Haus zu Haus. Der Verkauf lief jahrelang gut, doch irgendwann war auch dort der Markt gesättigt, denn es kamen viele Eifelbauern auf die Idee, ihre Ware dort anzubieten.

In dieser Situation kaufte uns der Nachbar einige Säcke Kartoffeln zu einem sehr niedrigen Preis ab. In Köln jedoch verkaufte er sie

zu einem hohen Preis. Meine Eltern waren zwar froh gewesen, ihre Kartoffeln überhaupt

- wenn auch zu einem äußerst geringen Preis

- abzusetzen, doch als meine Mutter zufällig mitbekam, zu welchem überaus hohen Preis der Nachbar die mit ihrem Schweiß geernteten Kartoffeln nachher verkauft hatte, war sie sehr verärgert. Sie beschloss, sich im nächsten Jahr nicht mehr vom Nachbarn übers Ohr hauen zu lassen und die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Im folgenden Jahr fuhr meine Mutter nach der Kartoffelernte mit der Eisenbahn nach Bonn, denn hier hatte sie Verwandte, bei denen sie übernachten konnte. Sie verband einen Besuch bei der Verwandtschaft mit dem Kartoffelverkauf. In der großen Stadt fühlte sich die Landfrau unsicher. Alles war ungewohnt für sie. Es ist ihr sicher nicht leicht gefallen, von Haus zu Haus bei den Stadtbewohnern zu klingeln und zu fragen, ob Interesse an Einkellerungskartof-feln bestehe. Wenn die Leute dann erfuhren, dass die Einkellerungskartoffeln aus der Mayener Gegend kamen, bestellten sie gerne, denn sie wussten, dass diese einen wirklich guten Geschmack hatten. Alle Bestellungen notierte meine Mutter akri-bisch auf einem Zettel. Es wurden damals Bestellungen aufgegeben - die heute undenkbar wären - von fünf bis zu zehn Zentnern in ei-

ner Familie! Es wurden viele Bestellungen mit hohen Mengen abgegeben, weil Mutter günstige Preise verlangte. Sie lag weit unter dem Preis, den andere Bauern oder gar Händler in der Stadt verlangten. Als sie mit ihrer Verkaufstour fertig war, hatte sie bereits Bestellungen von über 70 Zentnern aufgenommen. Das war damals das maximale Ladegewicht für einen ganzen LKW. Meine Eltern engagierten dann einen Fahrer mit LKW für den Transport. Der Fahrer verlangte dafür eine Mark pro gefülltem Sack. Die Kartoffeln waren bereits auf dem Feld vorsortiert worden: in dicke Kartoffeln, Saatgut und Schweinekartoffeln. In der Scheune wurden die dicken Kartoffeln dann nochmals ausgeschüttet und ein weiteres Mal sorgfältig geprüft und beschädigte oder faule "herausgerafft". Jeder einzelne Sack für die Käufer wurde genau abgewogen. Abends luden wir den LKW bereits mit den Kartoffelsäcken, und früh am nächsten Morgen ging es dann los nach Bonn. Damals konnte man noch, im Gegensatz zu heute, jedes einzelne Haus anfahren, da an den Straßenrändern kaum parkende Autos hielten. Ein Teil unserer Kunden hatte eine Kartoffelkiste im Keller stehen. Die schweren Säcke wurden von uns in den Keller getragen und in die Kiste geschüttet. Pro Straße hatten wir sehr viele Abladestellen, so dass die Lieferung sehr schnell voran ging. Nach drei Straßen hatten wir bereits unseren LKW leer und es war erst

Mittag. Bei dieser ersten Fahrt hatte alles so gut geklappt, dass der LKW-Fahrer fragte: "Ei, wie viel Sack hast dau da noch?" (= "Na, wie viel Säcke Kartoffeln hast du denn noch zuhause liegen?")

Und mein Vater antwortete: "Mir hann noch e paar Tunne laje." (= Wir haben noch ein paar Tonnen in der Scheune liegen.") "Do loss ohß noch en Tour maache!" (= "Dann lasse uns noch eine Tour machen!"), schlug der Fahrer vor und wir waren einverstanden. So fuhren wir bereits gegen Mittag die 80 Kilometer nach Hause, luden weitere Kartoffelsäcke auf und verkauften an diesem Nachmittag noch eine weitere Ladung. Den Preis für die Kartoffeln zahlten die Kunden in bar und auch der Fahrer erhielt seinen Lohn ebenso. Bereits nach unserer ersten Lieferung hatten wir zahlreiche Stammkunden gewonnen. Wenn man gute Ware hat und korrekt verkauft, dann kann man auch jedes Jahr wieder dieselben Leute mit Kartoffeln beliefern. Für uns war das der Beginn einer jahrzehntelangen Geschäftstätigkeit mit den Bonnern. Im ersten Jahr hatte meine Mutter einen sehr günstigen Preis verlangt, da sie die Marktlage noch nicht kannte. Während der Nachbar uns nur drei Mark pro Zentner gezahlt hatte, hatte meine Mutter in Bonn schon sechs Mark erzielen können, obwohl der tatsächliche Preis in Bonn bei etwa zehn Mark pro Zentner gelegen hatte. Auch in späteren Jahren blieben wir immer ein bis zwei Mark pro Zentner günstiger als andere Anbieter. Durch das verdiente Geld konnten wir in den nächsten Jahren für unseren Landwirtschaftsbetrieb einen ganz modernen Kartoffel-Schwingsieb-Roder kaufen. Das war zu dieser Zeit die modernste Kartoffelerntemaschine, die uns die körperliche Arbeit sehr erleichterte.

Bei unseren Lieferungen in Bonn, machten wir immer wieder die Erfahrung, dass Bonner Bürger, die am beladenen LKW vorbeigingen und sowohl das "MY"-Autokennzeichen als auch die Kartoffeln auf der Ladefläche sahen, auf uns zukamen und fragten: "Haben Sie von den Kartoffeln noch welche übrig oder sind die alle vorbestellt?" Das Kennzeichen "MY" war für die Bonner Stadtbewohner quasi ein Erkennungsmerkmal für Qualitätsware bei Erdäp-

feln. Im Laufe der Zeit nahmen wir immer etwas mehr Kartoffeln mit als bestellt waren, da wir schon wussten, dass wir auf diesem Weg noch zusätzliche Ware verkaufen konnten. (Einige Dörfer der heutigen Verbandsgemeinde Kelberg im Landkreis Vulkaneifel gehörten bis 1970 noch zum Kreis Mayen.) Es gab aber auch Schwindler, die unseren ehrlichen Ruf ausnutzen. Aus einem Dorf in der Nähe unseres Wohnortes war ein LKW nach Bonn zu unseren Kunden gefahren, und ein Mann hatte einfach in den Hausflur der Bonner gerufen: "Hallo! Hier sind ihre bestellten Kartoffeln!" Und als die Bewohner nach draußen auf die Straße gingen, stand dort tatsächlich ein LKW mit "MY"-Kennzeichen. Sie fragten dann: "Ist denn der Herr Retterath diesmal nicht dabei?" - "Nein, der konnte heute nicht.", entgegnete der Betrüger raffiniert. Da dachten die Bonner Leute, das seien unsere Kartoffeln und kauften sie. Als wir dann mit unserer Ladung kamen, fragten die Bonner erstaunt, ob wir denn nicht schon bei ihnen gewesen seien, sie hätten nämlich schon Kartoffeln gekauft. Wir fanden später heraus,

dass das ein Transportunternehmer war, der in großem Stil minderwertige Ware lieferte. Weil dies mehrmals geschah, schärfte mein Vater den Kunden ein, dass er stets selbst dabei ist, wenn die Kartoffeln geliefert werden. Wir waren schließlich ein Bauern- und Familienbetrieb und kein Großunternehmen. Anfang der 1950-er Jahre begannen wir mit unserem Kartoffelverkauf in Bonn. Es lief sehr gut bis zum Ende der 1970-er. Dann ging der Verkauf stetig zurück. Die Städter hatten inzwischen Heizungsanlagen im Keller und konnten deswegen Kartoffeln nicht mehr so lange lagern. Auch die Abnahmemengen pro Familie wurden immer geringer, da meist nur noch Kleinfamilien zusammen lebten. Der Bedarf je Haushalt ging zurück; drei Zentner Kartoffeln für eine Familie waren später schon viel. Noch in den 1980-er Jahren, als meine Eltern die Landwirtschaft beruflich bereits aufgegeben hatten, aber immer noch für den Eigenbedarf und den kleinen Nebenerwerb Kartoffeln pflanzten, bediente mein Vater die seit Jahrzehnten treuen Stammkunden noch per PKW bei seinen Besuchen in Bonn.