Henkelmann und Torpedo-Gang

1956 - 1965: (m)ein Streifzug durch zehn Lebensjahre

Uli Diederichs, Daun

1956

, als ich in Daun zur Welt kam, lebten meine Eltern dort mit meinem Opa väterlicherseits, zwei noch ledigen Schwestern meines Vaters und meinem neun Jahre älteren Bruder in einem kleinen Einfamilienhaus unter einem Dach zusammen. Ich fand diese große Familie toll! Mein Opa beschütze mich immer, beispielsweise indem er mich auf seinen Schoß nahm, wenn der heilige Nikolaus mit dem "Schwarzen Mann" kam; da konnte mir nichts Schlimmes passieren! Und meine beiden Tanten verwöhnten mich permanent. Ich habe noch heute den Duft des leckeren Puddings in der Nase, den sie immer extra für mich gekocht haben, und zwar auf unserem bei Elektro Langenbach* neu gekauften aller ersten Elektroherd.

1958

teilte die Baufirma Gebr. Thielen*unsere große Wohnküche mittels einer Wand und baute auf einer Seite ein Badezimmer ein. Das bestand aus einer Wanne, einem Kohle-Warmwasserofen und einem Klo, dessen Wasserspülung mit einer langen Zugkette, die oben am Spülkasten hing, betätigt wurde. Gott sei Dank hab ich bis dahin nie über den Hof auf das im Winter schweinekalte und im Sommer mit Fliegen übersäte Plumpsklo gemusst; denn bis zum Beginn unserer "Badezimmer-Epoche" konnte ich noch im Haus aufs Töpfchen gehen.

1960

leisteten wir uns als erste in der Straße - für einen ganzen Monatslohn meines Vaters! - bei Radio-Fernseh Dix* einen schwarzweiß Fernsehapparat. Mein Bruder und seine Alterskameraden durften sich nachmittags ab 5 Uhr, wenn das damals einzige Fernsehprogramm mit der Sendung begann, einige Serien ansehen: Ivanhoe, Abenteuer unter Wasser, Sprung aus den Wolken, Fury, Rin-Tin-Tin oder Am Fuß der blauen Berge. Wir Kleinen standen dann draußen hinter der Zimmertür und hörten nur den Ton. Ich kann mich noch daran erinnern, dass das Fernsehbild immer verschwamm, weil die Abstrahlleistung des Kirchweiler Senders noch nicht stark war. Dann stellte sich mein Vater so in den Flur, dass er den Bildschirm noch sehen konnte, meine Mutter ging ins Treppenhaus und mein Bruder musste auf den Speicher klettern, weil dort die Antenne war. Dann rief der Vater "dreh"; meine Mutter gab das Kommando weiter und mein Bruder drehte an der Antennenstange. Wenn das Bild dann besser wurde, rief mein Vater "halt!", meine Mutter gab auch das Kommando weiter und mein Bruder - der hatte schon zu viel gedreht. Denn das Kommando "halt!" kam natürlich mit Verzögerung bei ihm an. Also rief mein Vater - diesmal lauter - "zurück!". Meine Mutter gab das weiter und mein Bruder drehte zurück. Irgend wann rief mein Vater dann - natürlich noch viel lauter "halt!", die Mutter wiederholte dieses Kommando und mein Bruder - der hatte schon wieder zu weit gedreht. Dann ging das ganze Spiel noch mal von vorne los. Das Ende vom Lied war, dass die Fernsehzuschauer mehr "Schnee" und Streifen auf der Mattscheibe zu sehen bekommen hatten als Fernsehbilder.

1962

wurde unsere Straße geteert. Vorher kamen noch neue Wasserleitungen und - zum ersten Mal - ein Abwasserkanal hinein. Bis der Kanal in den Boden konnte, musste allerdings viel Fels weg gesprengt werden, weil der ganze Untergrund voller Basaltwaken war. Das Bauunternehmen Alois Deblon* hatte das gut im Griff. Nachdem Sprenglöcher in die Felsbrocken gebohrt und mit Dynamit gefüllt waren, wurden alte Bagger- und Raupenketten zur Beschwerung und als Splitterschutz drauf gelegt. Dann machte es "ruuuuuums", die Ketten flogen zwei Meter hoch, und man sah vor lauter Staub die Hand nicht mehr vor Augen. Das war für die Kinder der Straße ein Erlebnis. Genau so ein Erlebnis war es, dass wir mittags mit den Straßenarbeitern im Bauwagen essen durften. Die hatten alle ihren 'Henkelmann' dabei, den sie in kochendem Wasser auf dem selbst gebauten Kanonenofen erhitzten. Unsere Mütter füllten uns vom Mittagessen etwas in eigens für uns gekaufte kleinere Henkelmänner ab, die wir dann zum Bauwagen mit nahmen und dort wie die Bauarbeiter leer aßen. Wir kamen uns vor wie die Großen!

1963

an Ostern kam ich zur Volksschule; ungefähr 60 andere Jungen und Mädchen aus Daun auch noch. Obwohl wir uns auf die Einschulung (mehr noch auf die leckeren Schultüten!) gefreut hatten, verspürten wir noch lange Sehnsucht nach unserem Kindergarten. Alle waren wir gerne dorthin gegangen, obwohl er von strengen Nonnen geleitet wurde. Wir führten kleine Schauspiele an Weihnachten, Ostern und beim Sommerfest auf, die sogar auf Tonband aufgezeichnet wurden. Und alle lernten Blockflöte spielen. Der wöchentliche Höhepunkt war, wenn Milchhändler Horst Lingens* ('Butter-Horst') mit seinem sehnsüchtig erwarteten Milchauto kam, und jedes Kind V4 l frische Trinkmilch - manchmal auch Kakao - bekam. Bis weit ins l.Schuljahr hinein gingen viele von uns nachmittags noch gerne in den Kindergarten, um dort die Schulaufgaben zu machen (und um zu spielen).

1965

, am 25. April, ging ich zur Ersten Heiligen Kommunion. Dieser Weiße Sonntag machte seinem Namen vormittags alle Ehre. Denn draußen war es dick gefroren und weiß vom Raureif. Natürlich waren wir auf unsere Kommuniongeschenke sehr gespannt. Ich hatte mir sehnlichst ein größeres Fahrrad mit Schaltung (Torpedo-3-Gang) gewünscht. Das bekam ich auch. Aber nicht gekauft bei Rudi Fries *, dem damaligen Dauner Renault- und Fahrradhändler, sondern geschenkt von meiner Patentante, die mir ihr gebrauchtes 26er-Fahrrad vererbte. Das war schlimm! Nicht nur, dass das Fahrrad keine Stange hatte und deswegen sofort als Damenrad zu entlarven war. Nein, es hatte zudem noch ein zwischen der hinteren Radnabe und dem Schutzblech gespanntes buntes Netz, damit kein Rock in die Speichen kommt. Mit diesem Fahrrad vermied ich jede Fahrt. Lieber holte ich mir das 28er-Herrenfahrrad meines Bruders; denn der war weit weg bei der Bundeswehr. Weil dieses Fahrrad aber noch viel zu hoch für mich war, reichte ich nicht bis auf den Sattel, weshalb ich mit einem Bein unter der Stange durchfahren musste.

"(keiner dieser alt eingesessenen Dauner Betriebe existiert heute noch)