Der Aufbruch

Zum letzten Mal die alten Wege gehen,
das Dörfchen in der Abendsonne sehn.
War er denn stets so schön, der Glocken Klang?
Ich werd' ihn hören, mein ganzes Leben lang.
Die alte Kirche grüßt vom Berg herab,
in ihrem Schatten liegt der Ahnen Grab.
Und wie ein Dom uralte Bäume stehn.
Werd' ich das alles einmal wiedersehn?
Noch einmal geh' ich durch das stille Haus,
vor ein paar Jahr'n trug man
die Eltern hier heraus.
So spürten sie nicht mehr die bitt're Not:
Für ihre Kinder fehlt der Heimat nun das Brot.
Es gab Missernten und sie wurden immer mehr,
die Keller, Scheunen und die Ställe leer.
Es kamen Dürrejahre, andre viel zu nass,
wir dachten, dass der Himmel uns vergaß.
Der Hunger war längst Gast bei jedermann
und sah dich aus der Kinder Augen an.
Wer sprach es aus, das schicksalhafte Wort:
"Hier ist des Bleibens nicht, wir müssen fort!"
War erst der Damm gebrochen, ging es viel zu schnell,
und auch ein Käufer war recht bald zur Stell'.
Ein Mann in Nadelstreifen und
mit kaltem Blick,
ihn rührten Tränen nicht und
unser Missgeschick.
Und so verkauften wir die Heimat, es war hart,
wir mussten es, für einen neuen Start.
Weit überm Meer, im grenzenlosen Land,
ward eine neue Heimat uns genannt.
Was nehm' ich mit?
Die Frage größeren Gewichts,
ich möchte alles, alles oder nichts!
Laut Vorschrift darf es nur ganz wenig sein,
mir fällt nur alles, alles oder gar nichts ein.
Nur der Mutter Gebetbuch auf dem Bord,
das soll mich begleiten an den fernen Ort.
Ein Bild fällt heraus, zerlesen und klein:
"Befiel dem Herrn die Wege dein!"
Zur Wiese hinterm Haus muss ich noch gehn,
wo an dem Bach die hohen Bäume stehn.
Wer einmal aus der klaren Quelle trank,
wird danach dürsten, sein ganzes Leben lang.
Seit ein paar Tagen sind wir auf dem Schiff
Und Angst und Heimweh, wie das Meer so tief.
Doch irgendeiner spricht mit stillem Mut:
"Wir sind zusammen, es wird schon wieder gut." Das Meer unendlich und so weit die Welt
Und alles unter einem Himmelszelt.
Ganz tröstlich fällt das kleine Bild mir ein:
"Befiel dem Herrn die Wege dein!"
Ein Jahr sind wir schon in der neuen Welt
Und golden liegt vor mir ein Weizenfeld.
Längst ist noch nicht vergangen alle Not,
doch Hoffnung gibt's und unser täglich Brot.
Auch unser Lachen haben wir
noch nicht verlernt,
obwohl wir von der Heimat
ach so weit entfernt.
Und während ich so denke,
geht's mir durch den Sinn:
In jedem Aufbruch liegt ein Neubeginn.

Thekla Heinzen, Feusdorf