Ohne Fleiß kein Preis

Karl Peter Eis, Köln

Diese Worte prägten sich mir bereits in frühester Kindheit tief ein. Von meinem Platz am Esstisch habe ich sie oft genug auf dem Überhandtuch gelesen. Ein recht wirkungsvoller Spruch jedenfalls, den als junges Mädchen meine Mutter in Teile ihrer Aussteuer eingestickt hatte.

Gleich nach Beendigung der Bombardierungen begann jeder, oft mit primitivsten Mitteln, manchmal gar aus Trümmerteilen, selbst sein Haus aufzubauen oder ein beschädigtes wieder bewohnbar zu machen. Dächer wurden schon mal mit Blech aus aufgeschnittenen Fässern gedeckt, Bilderglas wurden als Fensterscheiben verwandt, Kalk brannten manche sich selbst, der Tauschhandel blühte. Während mit Improvisationstalent, größtem Eifer und vielen Entbehrungen aufgebaut wurde, man sah ja vielerorts die großen wie kleinen Erfolge, waren anderenorts jedoch Zerstörungen gewaltigen Ausmaßes im Gange. Direkt fielen sie einem nicht ins Auge. Manchmal aber doch. Dann sahen wir Gerolsteiner Kinder es sogar. Hatten wir die Holzbrücke überquert, die einzige Möglichkeit damals trockenen Fußes über die Kyll zu kommen, standen wir oft genug vor geschlossenen Bahnschranken. Vor uns zogen diese Güterzüge vorbei: Vorne zwei Loks und hinter der nicht enden wollenden Schlange, oft noch eine dritte zum Schieben der Last. Die Wagen hochbeladen mit Baumstämmen. Die französische Besatzungsmacht holzte unsere besten Eifelwälder planlos ab. Amerikanische Lkws, mit uns zuvor unbekannten mächtigen Ausmaßen, transportierten die geschlagenen Stämme zu Sammelpunkten zwecks Abtransport nach Frankreich. So entstanden überall in der Eifel große Kahlschläge. Die konnten so nicht bleiben. 1949 begann die Aufforstarbeit. Eine solche Aufforstgruppe gab es 1950 auch in Büscheich. Meine Tante Vroni gehörte dazu, sie verhalf mir während den großen Ferien zur Arbeit im Wald. Natürlich war ich gleich Feuer und Flamme und mächtig stolz, eine echte, ordentlich bezahlte Arbeit schon als 15-jähriger Gymnasiast zu bekommen. Ich erinnerte mich an meinen Büscheicher Opa, der sein ganzes Arbeitsleben lang, als Beschäftigter der Eisenbahn, täglich von Büscheich nach Gerolstein zu Fuß marschierte und zurück. Dann könnte ich das doch wenigstens während meinen Ferien tun, wenn auch in umgekehrter Folge mit Butterbrot, Henkelmann und einer Flasche Muckefuck im Rucksack.

Also marschierte ich zu Fuß nach Büscheich, denn hier formierte sich unsere Arbeitsgruppe aus sechs bis acht Leuten. Mit dem uns ausgehändigten Handwerkszeug gingen wir zur angegebenen Aufforststelle. Lag die Pflanzung sehr weit vom Dorf weg, wurde auch schon mal ein Traktor eingesetzt, und wir durften auf dem Anhänger mitfahren. Seit Abholzung der Bäume hatte sich dichter Wildwuchs aus Sträuchern und Hecken gebildet. Die härteste Arbeit bei der Neupflanzung war, die Fläche davon zu befreien. Ich war jung und stark und wurde sofort für diese schweißtreibende Arbeit eingeteilt, das blieb auch so bis zum Ende der Ferien. Dafür erhielt ich ein so genanntes Haumesser: Ein stabiles, schweres, längliches Messer an einem kräftigen Holzstiel. Gelegentlich versetzte mich das Abschlagen der Sträucher dicht über dem Boden im Geiste dabei in jene fernen Urwälder, über die ich gelesen hatte, durch die ich mir mit der Machete einen Weg schlug. Aber dann brachte mich der Ruf des Vorarbeiters in den Eifelforst zurück: "Rafft jetzt die Hecken zusammen!" Manchmal wurden Sensen verteilt, wenn nur hohes Gras zu entfernen war. Nach uns kamen die Frauen mit den Pflanzhacken und den jungen Bäumchen. die sie einsetzten. In der Mittagspause machten wir Feuer, darüber wärmten wir die Henkelmännchen. Es wurde gegessen und ein wenig Ersatzkaffee getrunken. Wir hatten wohl gute Arbeit geleistet, denn im Jahr darauf durften wir wieder im Wald schaffen. Wir, das waren vier Gerolsteiner Jungen, einer war mein Schulkamerad Franz Meier. Dieses Mal war es weniger schweißtreibend für uns. Denn die Neuanpflanzungen sollten wir gegen Wildverbiss schützen. Ein großer Leiterwagen wurde mit Glasfasermatten beladen, den zogen wir durch den Wald zu den aufgeforsteten Stellen. Von den Glasfasermatten zupften wir längliche Stränge und wickelten diese um die jungen Baumpflänzchen. Besonders wichtig war, dass der Leittrieb geschützt wurde. Sehr lästig und sicher nicht ungefährlich war der Umgang mit der Glaswolle. Die feinen Glaspartikel flogen überall herum, und wo sie die Haut berührten, juckten sie ganz schlimm. Heute wäre der ungeschützte Umgang mit diesem gefährlichen Produkt gewiss arbeitsrechtlich verboten, damals aber kümmerte sich niemand darum.

Zur Mittagspause bestiegen wir manches Mal einen der Hochsitze, die meist in der Nähe der aufgeforsteten Waldstücke standen. Dann kam es schon einmal vor, dass wir dort oben die Mittagspause eigenmächtig verlängerten und eine Runde Skat spielten. Denn aus guter Deckung vom Hochsitz her konnte ja nicht nur das Wild ausgezeichnet gesichtet werden, auch das Herannahen des Försters! Das waren denn unsere angenehmsten Beschäftigungen im Wald. Aber das Schönste war doch die Abrechnung, auf die wir uns freuten. Wir erhielten 84 Pfennige Lohn die Stunde. Von diesem Geld durfte ich mir mein erstes Fahrrad kaufen. Ich sehe im Geiste noch den Stricker-Katalog, den ich mir hatte schicken lassen, ausgebreitet vor mir auf dem Tisch liegen, mit all den verschiedenen Fahrradtypen, die es nun wieder gab. Jetzt kam der Moment, auf den ich zwei Jahre lang hingearbeitet hatte:

Ich wählte mir endlich ein Fahrrad aus. Eine unbeschreibliche Freude allein schon diese Wahl! Sorgfältig wog ich ab und wählte eins mit Gangschaltung. Dann durfte ich mein neues Fahrrad am Bahnhof abholen. Es kam flach in einem großen Wellpappepaket, nur unten schauten die Räder ein Stück heraus, und die drehten sich bereits. Der Anblick war viel schöner als Weihnachten.