Landwirtschaft in den Wirtschaftswunderjahren

Ernst Retterath, Lirstal

Die politische Bindung an den Westen und die Verflechtung mit der Wirtschaft erleichterten der Bundesrepublik Deutschland den raschen Wiederaufstieg. Produktion und Export wuchsen, Arbeitslose gab es kaum noch. Für breite Schichten der Bevölkerung besserten sich die Lebensverhältnisse. Das Wirtschaftswunder bestaunten viele Menschen im In- und Ausland. Gesellschaft und Wirtschaft waren im Umbruch. Die Landwirtschaft verlor weiter Arbeitskräfte, doch dank moderner Technik steigerte sie dennoch ihre Erträge. Die Hungerjahre waren überstanden, vergessen waren sie nicht. Der Staat betrieb eine aktive Agrarpolitik. Sie sollte die Versorgung der Verbraucher und die Einkommen der Landwirte sichern. Landwirtschaft und ländliche Gebiete erlebten einen stürmischen Wandel. Die Technik hielt Einzug ins Dorf. Zahlreiche Arbeitskräfte wanderten ab. Sie fanden bessere Einkommen in der Industrie. Viele Höfe mussten aufgegeben werden, nur große leistungsfähige Betriebe überlebten. Der Staat förderte ihre Modernisierung, damit sich die Lebensverhältnisse in Stadt und Land anglichen. Viele Bauern hatten aber auch große Sorgen. Arbeitskräfte und technische Geräte fehlten. Einkommen sanken bedrohlich. Der deutsche Bauernverband rief nach dem Staat. Die Bundesregierung half ab 1956 mit dem Förderprogramm "Grüner Plan" den bäuerlichen Familienbetrieb zu sichern. Die Landwirte sollten Anschluss finden an die allgemeine Einkommensentwicklung. Neue Pferdestärken revolutionierten die Landwirtschaft. Der Traktor pflügte nun das Feld. Bereits die Kinder lernten spielend die neueste Technik kennen. Schlepper waren universelle Antriebsgeräte, die vor allem Kühe, Ochsen und Pferde bei Transporten und der Feldarbeit ablösten. Die größere Kraft der Maschine war stets verfügbar und der Unterhalt weniger aufwendig. Den Vorteilen stand der hohe Kaufpreis gegenüber. Zwischen 1950 und 1960 stieg in Westdeutschland der Bestand an Traktoren von 139.000 auf 824.000. Zahlreiche Unternehmen fertigten diese in Serie. Zu den bekanntesten gehörten: Lanz, Fendt und Deutz.

Die Technik veränderte das Dorf. Vermessungsingenieure waren unterwegs mit Flurkarten und Fluchtstäben. Felder wurden neu vermessen und neu aufgestellt, das Wegenetz begradigt und ausgewertet. Ganze Höfe wurden an den Ortsrand ausgesiedelt. Die Flurbereinigung schaffte große Ackerflächen für die Arbeit mit modernen Maschinen. Sie beseitigte die unwirtschaftliche Zersplitterung der Besitzflächen, die durch Erbteilung über viele Generationen entstand. Die neue Technik hielt auch Einzug in den Kuhstall. Die Elektromelkanlage ersetzte das anstrengende Handmelken und verdoppelte die Arbeitsleistung. Trotz fehlender Arbeitskräfte blieb die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vieler landwirtschaftlicher Betriebe nicht nur erhalten, sondern wurde sogar noch gesteigert.

Doch hier lagen auch Gefahren. Landmaschinen berücksichtigten zunächst nur Anforderungen der Arbeit, nicht der Arbeitskräfte. Durch Staub, Lärm, Gift und Erschütterungen drohten Gesundheitsgefährdungen und Berufskrankheiten. Unfälle mit Schleppern oder Antrieben häuften sich. Bessere Ausbildung und Aufklärung sollten helfen. Aufklärung war notwendig. Lehrfilme, Plakate und Broschüren verbreitete der Agarinforma-tionsdienst (AID). Seine Mitarbeiter fuhren in die Dörfer, um die Landbevölkerung vor Ort zu schulen. Zuschüsse des Staates und aus dem Marshall-Plan finanzierten diese wichtige Bildungsarbeit.

Aber auch die Ausbildung in der Landwirtschaft wurde den Veränderungen angepasst. Der Unterricht in den Landwirtschaftsschulen orientierte sich nun an den veränderten Anforderungen. Zu den neuen Fächern der modernisierten Lehrpläne gehörten jetzt auch Technik und Betriebswirtschaft.