Schalkenmehren - Im Aufbruch der 50er Jahre

Hartmut Flothmann, Schalkenmehren

Eine Stagnation zeichnete sich in den 1950er Jahren im Maardorf Schalkenmehren mit seinen 459 Einwohnern nicht ab. Im Gegenteil: Der einsetzende Fremdenverkehr entwickelte sich schnell zum Haupterwerbszweig des kunstsinnigen Dorfes, das mit einem groß angelegten Freilichtspiel am Weinfelder Maar von sich reden machte. Schon kurze Zeit nach der Währungsreform 1948 und der Einführung der harten DM in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands sorgten neue Arbeitsplätze in und außerhalb des Dorfes für frischen Aufwind. Jeder war bestrebt, seine Chance im Wirtschaftsaufschwung zu nutzen und gutes Geld zu verdienen.

Einbußen für die Bauern

Industrielle Arbeitsplätze führten dazu, dass der Anteil der Landwirte an der Zahl der Erwerbstätigen abnahm. Vor allem die Kleinstbetriebe bis 5 ha gingen zurück, wodurch zahlreiche Bauern wirtschaftliche Einbußen erlitten. Einige mussten ihre Betriebe ganz aufgeben. Der kleinbäuerliche Nebenerwerbsbetrieb und die Landwirtschaft für den Eigenbedarf mit ein oder zwei Kühen für Milch und Butter, Federvieh sowie Obst- und Gemüsegärten prägten das Maardorf bis in die 60er Jahre.

Lieser Mühle stellte den Betrieb ein

Die Zeit des Mühlesterbens erreichte auch die Schalkenmehrener Mühle. Ihr letzter Müller Matthias Lieser musste 1954, nach vierunddreißigjähriger Laufzeit, den Betrieb einstellen. Bis 1960 wurde die Mühle noch als Schrotmühle weiter betrieben, danach ihr Gelände landwirtschaftlich genutzt.

Die Touristen kommen

Der Wirtschaftsaufschwung hielt Einzug in das Dorf, und die Gastronomie stellte sich aufdie Touristen ein. Man fing an, mit den Pfunden zu wuchern, die die natürliche Schönheit der Eifel zu bieten hatte, anfangs noch mit geringeren Übernachtungszahlen.1951 zählte man 466 Gästeankünfte mit 5372 Übernachtungen. Die durchschnittliche Verweildauer betrug also rund 11 Tage. Auch Ausländer waren unter den Gästen, an erster Stelle aus den Niederlanden, Großbritannien und den USA. Die Landwirte erkannten die Chancen, die im Fremdenverkehr steckten, so dass die Zahl der Fremdenpensionen im Bauerndorf sprunghaft anstieg. 1958 waren schon 606 Gästeankünfte mit 6704 Übernachtungen zu verzeichnen. Neben der Zahl der Dauergäste entwickelte sich auch der Durchgangsverkehr recht lebhaft, so dass auch die beiden Tante-Emma-Läden und die im Vergleich zu heute noch kleinen Wirtsstuben davon profitierten.

Anekdote "Die wiedergefundene Uhr"

Auch Überraschungsgäste tauchten mit den Touristen in Schalkenmehren auf. Dazu zählte u.a. ein ehemaliger französischer Kriegsgefangener, der zur Landarbeit bei einem Bauern im Dorf eingeteilt worden war. In den 50er Jahren besuchte er mit seiner Frau diesen Bauern und bat ihn, noch einmal auf den Dachboden steigen zu dürfen. Voller Freude und mit Tränen in den Augen stieg er wieder herunter und präsentierte dem Landwirt seine wiedergefundene Uhr, ein altes Familienerbstück, das er einst zwischen den alten Lavakrotzen im Dachgebälk versteckt hatte.

Maare als Besuchermagnet

Schon in den 50er Jahren waren es in erster Linie das Schalkenmehrener Maar und das Weinfelder Maar, die die Besucher anzogen. Der Schalkenmehrener Maarkessel bot noch 1952 ein völlig waldfreies Bild. Die oberen Hangbereiche wurden von Öd- und Heideland eingenommen, auf dem bereits damals

Bauer Heinz Thielen mit seiner Mähmaschine aus den 50er Jahren

vereinzelt Hasel und Ginster aufkamen. Die Hänge unterhalb des mittleren Maarrundweges wurden bis 1955/60 mit Pferden als Zugtiere beackert, bevor diese durch den Schlepper abgelöst wurden.

Neben den Touristen kamen viele Tagesbesucher, die es sich nicht nehmen ließen, auch im Weinfelder Maar zu baden. Im Jahre 1954 war der Badebetrieb offensichtlich so stark, dass die Stadt Daun, die am Weinfelder Maar vorübergehend Trinkwasser entnahm, die Wasserqualität ernsthaft gefährdet sah.

Auch die Maarforscher ließen nicht auf sich warten. Herbert Straka, Institut für Landwirtschaftliche Botanik der Universität Bonn, nahm 1953 im Schalkenmehrener Trockenmaar (Süd-Ost) Bohrungen und pollenanalytische Untersuchungen vor, um das Alter der Dauner Maare näher zu bestimmen.

Veränderungen im Maardorf

Im Dorf wurde der Maarbach kanalisiert, die Brücken über den Bach verschwanden, und die Dorfstraße wurde neu geteert. Die Viehtränke wurde zugeschüttet und das alte Feuerwehrhaus abgerissen. Fachwerkhäuser wurden verputzt, weil es modern war oder teilweise abgerissen, mit neuem Fundament versehen und in größerem Maßstab in Eigenarbeit wieder aufgebaut.

Millisch-Haus 1955 vor und nach der Verputzung

Stattliches Bauernhaus an der Straße "Zur Sternwarte"

Das Dorfinnere in den 1960ern

Der Fernseher kommt

Den ersten Fernseher bestaunten die Schalkenmehrener in der Altburg, in dessen Gaststätte die Einheimischen zusammen mit Enthusiasten aus dem Kreisgebiet die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz miterlebten und die ganze Nacht hindurch den Titelgewinn feierten.

Aber die Altburg bot noch mehr. An jedem 1. Mai wurde im Burggelände ein großes Festzelt errichtet und dann tüchtig gefeiert: Eintritt 1 DM. Das war für alle Teilnehmer ein besonderes Erlebnis. Zeitzeugen berichten, dass auch Kinder und Jugendliche dort hinaufwanderten, um einen Blick auf das Festgeschehen zu erhaschen.

Werbung für die Wirtschaft in der Altburg

Den zweiten Fernseher im Dorf, allerdings privat, erwarb der heutige Ehrenvorsitzende des örtlichen Eifelvereins Werner Zillgen, der 1952 als frisch gebackener Huf- und Wagenschmiedemeister aus Köln zurückkehrte. Er kann sich noch gut an die 50er und 60er Jahre erinnern, auch daran, dass die mit Kohlblättern gefütterten Kühe ihm bei Ausübung seines Handwerks gelegentlich ins Gesicht geschissen haben.

Neue Gemeinschaftseinrichtungen entstehen

Mit der Badesaison 1953 verfügte die Gemeinde über eine neuerbaute moderne Badeanstalt, die den Bedürfnissen der zahlreichen Besucher Rechnung trug und mit ihrem Blockhausstil den Charakter der Landschaft unterstrich.

In der Badeanstalt wurde die Restaurierung des vom 2. Weltkrieg in Mitleidenschaft gezogenen Naturbades fortgesetzt. Wer von den Altbürgern wird sich nicht an die Versorgungseinheit der Wehrmacht erinnern, die in der Pfarrhaus-Scheuer Würste räucherte und das Maar aus heutiger Sicht für ihre Zwecke missbrauchte.

Um den vertriebenen Nachkriegsflüchtlingen aus dem Osten eine Heimstatt zu bieten, entstand das sog. Flüchtlingshaus in der Meh-rener Straße.

Darüber hinaus zogen weitere neue technische Entwicklungen in das Bauerndorf ein. Da sich die Dorfbewohner Mitte der 1950er Jahre noch keine eigenen Tiefkühltruhen leisten konnten, wurde von der Gemeinde in der Straße "Im Aul" ein Kühlhaus bzw. Gefrierhaus eingerichtet, in dem jeder Dorfbewohner jeweils für ein Jahr ein Kühlfach zur Aufbewahrung seiner Vorräte anmieten konnte.

Auf Bergbrück entstand eine Wäscherei, ausgestattet mit einer großen Waschmaschine, die von der Gemeinde betrieben wurde, und darüber hinaus oberhalb von Mehrheck eine Strickerei, in Privatinitiative geführt.

Erweitertes Schulhaus

1961 wurde der Schulerweiterungsbau durch Bürgermeister Adam Schmitz-Aelen und Amtsbürgermeister MdL Julius Saxler festlich eingeweiht. Das Dorf war auf 510 Einwohner angewachsen, 72 Kinder besuchten die Volksschule Schalkenmehren. An der dörflichen Feierstunde nahmen auch die beteiligten Handwerksmeister sowie die Handwerkerschaft teil, die an der Erweiterung und Renovierung des Altbaus beteiligt waren.

Die Heimweberei als zusätzliche Erwerbsquelle

Von Bedeutung war auch die seit 1926 genossenschaftlich zusammengefasste Heimweberei mit ihrem Anspruch, Spinnrad und Webstuhl wieder zum Haus- und Wirtschaftsgerät von Bauernfamilien zu machen. Nach kriegsbedingter Unterbrechung wurden 1954 in der Heimweberei wieder Stoffe aus Wolle, Leinen und Baumwolle gewebt und zum Teil nach alten Verfahren mit Pflanzenstoffen eingefärbt. Die Stoffe wurden vor Ort zu Kleidern, Tischdecken, Kissen, Vorhängen etc. verarbeitet. Das "Maartuch" fand wegen seiner hervorragenden Qualität große Beachtung und über die Grenzen der Eifel hinaus Anklang. Man ging auch auf individuelle Kundenwünsche ein. Im Werkhaus, am Ortsausgang Richtung Mehren, wurde das Geschäftliche ausgeführt, die Rohmaterialien bestellt und ausgegeben sowie Werbung und Verkauf abgewickelt. Darüber hinaus wurde eine ständige Ausstellung unterhalten.

Im Juli 1952 gewann die Schalkenmehrener Heimweberei als Vertreterin des Eifeler Kunsthandwerks auf der Internationalen Messe in Luxemburg eine Gold-Medaille.

1962 war die Zahl der Mitglieder der Heimwebereigenossenschaft aus Schalkenmehren, Mehren, Steineberg und Steiningen auf 44 angewachsen.

Flugplatz schafft Arbeit fürs Dorf

1957 wurde der 1. Flugsportverein des Kreises Daun e.V. gegründet und ein kleiner Segelflugplatz auf der Senheld errichtet, einem Bergrücken nördlich des Schalkenmehrener Maares. Die ersten Segelflugzeuge wurden mit Hilfe einer selbstgebauten Seilwinde hochgezogen. Der Auf- und Ausbau des Flugplatzes gingen kontinuierlich weiter und brachte den Handwerksbetrieben im Dorf Aufträge ins Haus. Mit großem Besucherandrang beging der jetzige Segelflugverein Vulkaneifel e.V. 2007 sein 50jähriges Jubiläum.

Hoher List: Naturschutzgebiet, Lava-Abbau oder Sternwarte?

Nach anfänglich hitzigen Kontroversen, ob Landschaftsschutz oder Lavaentnahme auf der Hohen List Priorität haben sollte (bis 1951 wurde dort noch Lavasand bzw. Lavakies abgebaut) war es im Herbst 1954 soweit, dass der astronomische Betrieb des Argelander-Insti-tutes der Universität Bonn auf dem Südhang des Schlackenkegels Hoher List in der Gemarkung Schalkenmehren seine Arbeit aufnehmen konnte. Zuvor wurden vom Argelander Institut mehr als 8 Hektar Land für das Observatorium von der Ortsgemeinde Schalkenmehren und Privateigentümern erworben. In der ersten Bauphase bis 1954 wurde das Hauptgebäude mit seinen drei drehbaren Kuppeln fertig gestellt, später ein vierter, kleinerer Turm.

Die Entstehung der Sternwarte löste im Dorf nicht nur Begeisterung aus. Der Schlackenkegel Hoher List bestand aus rötlichem Lavasand und eingestreuter Backschlacke, die teilweise basalt-ähnliche Strukturen besaß und zum Bau von Scheunen und Wohnhäusern Verwendung fand. Die Ortsgemeinde befürchtete die Schließung der Kiesgrube und damit das Versiegen dieser Geldquelle. Aber der damalige Ortsbürgermeister drängte darauf, die Sternwarte zu realisieren, nicht aus einem Gewinnstreben heraus, sondern weil damit ein großer Imagegewinn für das Dorf verbunden war. Es entstanden Arbeitsplätze für wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter sowie für Putzfrauen aus dem Dorf.

Vereinsleben nahm zu

Traditionell belebten die Feuerwehr und die 1922 gegründete Eifelvereins-Ortsgruppe das Miteinander im Dorf. Groß wurde das 30jährige Stiftungsfest des Eifelvereins Schalkenmehren gefeiert. Theateraufführungen und Tanzveranstaltungen zogen viele Besucher an. 1958 kam die Gründung des SC Blau-Weiß Schalkenmehren hinzu. Vielleicht als Auslöser des Fußball-

Urkunde des Eifelvereins im Jahr 1952

Urkunde des Eifelvereins im Jahr 1952

Wunders von Bern spielten die Männer begeistert Fußball und waren im Umkreis schnell gefürchtete Gegner. 1957 folgte die Gründung des Handwerker- und Gewerbevereins, 1960 die des Angelsportvereins.

Der Postbote brachte alles mit

Öffentliche Dienstleistungen waren noch nicht sehr ausgeprägt. Der Postbote war deshalb ein wichtiger Mann, denn er erfüllte viele Funktionen in einer Person. Er brachte Briefpost, Pakete und Telegramme und zahlte auch die Renten aus. Ein Telefon für private Gespräche gab es in der örtlichen Poststelle in der Mehrener Straße und vereinzelt in der Hotellerie.

Die Bahn bringt Leben ins Dorf

Eine wichtige Funktion erfüllte die Bahnstation Schalkenmehren, die immer mehr Gäste brachte und zum Wirtschaftsaufschwung beitrug. Im Zuge dieser Entwicklung entstanden nahe dem Gasthaus Zum Bahnhof (heute: Dorfgasthof Schmitz) einige öffentliche Einrichtungen mit Publikumsverkehr.

Pitt Kreuzberg

Viele Einheimische erinnern sich noch, wie der Maler Pitt Kreuzberg in den 50er Jahren mit seiner Staffelei in und um Schalkenmehren auf Motivsuche ging. Auch für den bekannten Künstler war die Bahnstation das Tor zur Welt, das er häufig nutzte, um Freunde aus nah und fern zu besuchen. Als Künstler erfuhr er Bestätigung durch eine große Jubiläumsausstellung 1958 anlässlich seines 70. Geburtstages im Kurfürstlichen Palais in Trier.

Pitt Kreuzbergs Leben und Arbeit als Kunstmaler in Schalkenmehren, von persönlichen Schicksalsschlägen in den 50ern begleitet, entwickelte sich wechselseitig, mit der Folge, dass viele seiner Bilder - neben der bedeutenden Sammlung der Gebrüder Rau in der PittKreuzberg-Galerie- in die Gastronomie, in das Heimweberei-Museum und in Privathaushalte Eingang gefunden haben.

Dieser Rückblick erlaubt die Feststellung, dass einige Dorf-Entwicklungen der 50er Jahre ihre nachhaltigen Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein bewahrt haben.

Als Autor dieses Beitrages danke ich den Mitbürgern des Dorfes, die ihre Erinnerungen an jene Zeit wieder aufgefrischt und mit mir geteilt haben.