Annemarie Folgnandt †

Gladiolen für den lieben Gott oder die Metzgerfrau

Gerlinde Bylinski, Lissendorf

In unserem großen Bungertgarten unterhalb der Ruine Löwenburg gediehen allerlei Gemüse, das unsere Familie übers ganze Jahr hindurch versorgte. Allgemein blieb in den Gemüsegärten früher kaum Platz für Blumen. Doch die Größe unseres Gartens erlaubte uns auch noch den Luxus Blumen. Sie wuchsen entlang der Pfade oder auf eigenen Beeten. Vom Frühjahr bis zum späten Herbst wechselten sich Osterglocken ab mit Iris in allen Farben, Tausendschön und prächtige Gladiolen, bunte Astern und wunderschöne Dahlien in vielen Formen und Größen. Es standen auch alte Fliederbäume am Gartenrand und herrliche gefüllte Bauernrosen, von denen meine Schwester und ich, betört von ihrem Duft als Kinder annahmen, dass sie aus dem einstigen Burggarten der Grafen stammten. In den 40er- und 50er-Jahren war es in Gerolstein noch Sitte, Blumensträuße aus Privatgärten ins Pfarrhaus zu liefern. Sie dienten als Altarschmuck. Das war schon eine besondere Freude, wenn man sonntags während der Messe die eigenen Blumen am Altar sehen konnte. Frau W. aus der Metzgerei nebenan legte großen Wert darauf, eine Bodenvase im Laden stets mit frischen Blumen zu füllen. Weil sie selbst keinen Garten hatte, lieferten wir ihr manch schönen Strauß.

Diesmal hatte Mutter einen Korb voll Gladiolen heimgebracht. Während sie die langstieligen Schönheiten zu Sträußen zurechtlegte, fragte sie mich, ob ich einen davon ins Pfarrhaus bringen würde. Aber ich spekulierte insgeheim auf die Scheibe Wurst, die Frau W. mir jedes Mal für einen Strauß gab und sagte: „Och, lass meine Schwester ins Pfarrhaus gehen, die kann das besser. Da wird man immer nach frommen Dingen gefragt, und ich weiß nie, was ich darauf sagen soll!"

Ich kannte Mutter. Sie ging meist darauf ein, wenn ich mich als Jüngste ein wenig unsicher darstellte. Sie gab kurzerhand die Order an meine Schwester, sie soll einen Gladiolenstrauß ins Pfarrhaus bringen. Da es solch prächtige Blumen waren, tat die es auch gerne und kam mit einem Heiligenbildchen vom hl. Aloysius als Dank dafür zurück. Ich lachte insgeheim darüber und hoffte, mit meiner Blumenlieferung mehr Glück zu haben. Erst steckte ich noch ein paar gelbe Gladiolen nach außen, denn Gelb mochte die Metzgerfrau ganz besonders. Sie strahlte: „O wie hübsch, du hast mir sicher die schönsten Gladiolen ausgesucht?" Ich hob die Schultern: „Ich glaube...!"

„Dann kriegst du heute auch ein besonders dickes Stück Fleischwurst! Du teilst das ja mit deinen Geschwistern, denn es ist genug für euch drei!" Zwar schlachteten wir jedes Jahr ein Schwein, darum gab es aber nur Blut- und Leberwurst und jetzt im August war die längst verzehrt, und es dauerte noch bis zum November, wenn wieder mal geschlachtet wurde, dass wir endlich wieder Wurst zu essen bekamen. Brav bedankte ich mich für die dicke Scheibe und lief damit schnell nach Haus. Besser gesagt, am Haus vorbei, unten zu unserem Holzplatz, wo niemand mich vom Haus aus sehen konnte. Hier kostete ich die Wurst, nur ein wenig, nah am Rand.

Ehrlich, nur um zu schmecken, ob sie auch schmeckte. Und wie sie schmeckte! Bei jedem Bissen sogar besser! Und als sie fast aufgegessen war, und ich konnte schon nicht mehr, ja da musste das letzte Stück doch auch noch beseitigt werden. Denn sonst hätte ich bestimmt Schimpfe bekommen, weil ich so wenig für die anderen übrig ließ.

Ich trollte mich noch eine Zeit am Holzplatz herum, jagte unsere Hühner und den Hahn lustlos ein wenig hin und her. Dann begannen die Bauchschmerzen. Ich ging in die Küche und legte mich dort auf die kleine Couch und klagte so sehr, dass Mutter, obwohl sie beim Waschen war, kommen und das Feuer im Herd anzünden musste, um mir einen Pfefferminztee zu kochen. Ich bereute meine Tat und nahm mir vor, das nie wieder zu tun. Aber dann im Herbst brachte ich Frau W. diesen Dahlienstrauß, in den Farben lila und rosa, aus riesigen gezackten zweifarbigen Blütendolden, mit ganz kleinen weißen Pompondah-lien dazwischen, eine wahre Pracht. Das Stück Kalbsleberwurst, das sie mir gab, war entsprechend prachtvoll. Wie hieß die

Wurst noch mal? Kalbsleberwurst! Nie in meinem neunjährigen Leben hatte ich Kalbsleberwurst gegessen. Wie mag die denn überhaupt schmecken? Sie roch ja so köstlich als ich sie aus dem Papier wickelte. Vorsorglich schon wieder unten am Holzplatz. Es ist schnell erzählt. Nachdem sie aufgegessen war, gesellte sich zu den Bauchschmerzen eine nie gekannte Übelkeit. Schon auf den Stufen zu unserm Haus konnte ich nichts mehr im Magen halten.

Als ich noch gestützt gegen die Hauswand stand, kam die Katze von „Rejine" zu mir und entfernte - Gott sei gedankt - alle verräterischen Spuren. Von dem Tag an brachte ich die Wurstgeschenke immer direkt durch die Haustür und teilte sie redlich mit den Geschwistern.