Der Schwarze in der Flugzeugkanzel

Karl Peter Eis, Köln

Im Krieg werden - schleichend zunächst - viele Dinge anders. Man sah das schon am Kinderspielzeug. Es gab nun Vorlagen für Kriegsschiffe und Flugzeuge. Statt mit der Eisenbahn zu spielen, bastelten wir nun diese um die Wette, wie der Brief an meinen Vater nach Frankreich zeigt, den wir später bei uns in den Trümmern fanden. Wir vier Freunde waren damals gerade mal sieben/acht Jahre: Walter, Willi, Horst und ich, als 1944 der erste Jabo-Angriff auf die Reichsbahn in Gerolstein begann. Vorher hatten wir wohl schon bizarr geformte Bombensplitter in den Händen gehalten. Arno und Rolf, zwei gleichaltrige Düsseldorfer Jungen, die jedes Jahr ihre Ferien bei uns daheim in Gerolstein verbrachten, hatten sie uns mitgebracht.

Jetzt aber regnete es bei uns im beschaulichen Gerolstein selbst immer wieder Geschosshülsen und Kettenglieder, die wir Kinder eifrig suchten, um sie zu kompletten Geschossgurten zusammen zu setzen. Um aber endlich näher am Ort der Geschehnisse zu sein, eventuell zu beobachten, wie vielleicht ein ganzes Feindflugzeug abgeschossen wird, gingen wir hoch zu einer der Flakstellungen am Daasberg. Denn wir hatten gehört, dass wir dort sogar mit Stahlhelmen ausgerüstet würden! Also rannten wir erwartungsvoll dort hin. In dem Moment, als unser Gespräch mit den blutjungen Flakhelfern begann, heulten die Sirenen auf! Fliegeralarm! Eiligst steckten die uns in der Nähe in einen der Westwall-Bunker. Statt mit eigenen Augen zu sehen, wie sie ihre Geschütze drehten und bedienten, wie die Salven hoch zischten, ein Feindflugzeug durchratterten, das dann brennend abstürzt, hockten wir in diesem fensterlosen Bunker, unter dem Knattern der Flakgeschütze. Ein paar Wochen später stürzte tatsächlich mit fürchterlichem Knall ein Jabo gegen den Felsen der Hustley. Aber ohne Zutun der Flak. Ein fataler Fehler des Piloten! Er hatte von Lissingen her kommend, nach seinem Angriff auf Züge im Gerolsteiner Bahnhof sein Hochziehen falsch berechnet und prallte gegen das Felsmassiv. Kurz drauf schon rannten Willi und ich über die Eselsbrücke, um die Absturzstelle zu sichten. Klei-

ne und mittlere Trümmerstücke lagen verstreut am Fuße der Hustley, die uns anzeigten, dass das Flugzeug explodiert sein musste. Wir kletterten zwischen kleinen Kiefern und Fichten den Hang hoch, wo jedes freie Bodenstück übersät war mit kleinsten Wrackteilen, fanden aber nicht die geringste Spur vom Piloten, aber in etwa 300 m Entfernung, oben in der Nähe vom Hustley-Pla-teau auf einer Wiese, den herausgeschleuderten Sternmotor.

Mit Staunen und Bewunderung gingen wir erst um den riesigen Flugzeugmotor, mit seinen sternförmig angeordneten Zylindern, der noch immer Wärme abstrahlte, um dann Richtung Munterley zu gehen. Von dort wollten wir auf gewohntem Pfad ins Tal absteigen. Aber so einfach sollte das uns nicht gelingen. Denn kaum hatten wir das mächtige Massiv erreicht, kam der nächste Jabo-Angriff. Wir warfen uns nieder und hofften, nicht von den Piloten gesehen zu werden. Denn mit Herzklopfen sahen wir die Flugzeuge unterhalb der Munterley durchs Kylltal fliegen, von den Felsen echote das Scheppern ihrer Bordwaffen wider, sie flogen Richtung Pelm, dort drehten sie um und kamen erneut aus Richtung Lissingen wieder tiefer zum nächsten Angriff. Da blitzte mir durch den Kopf, wie einfach es sei, von meinem Platz aus mit einem MG einen der Jabos herunter zu holen, da dröhnte einer bereits auf gleicher Höhe auf mich zu, das Gesicht des Piloten konnte ich genau erkennen, es war schwarz! Der erste Neger in meinem Leben! Hat er uns entdeckt? Hastig gab ich Willi ein Zeichen, geduckt rannten wir unter einen nahen Felsvorsprung. Wir hatten Glück! Nach dem Ende des Angriffs stiegen wir zwar auf wackeligen Beinen, aber doch noch heil ins Tal, und es dauerte eine Weile, bis wir uns von all der Aufregung erholt hatten. Willi und ich hatten noch oben, wie es unsere Gewohnheit war, auf das uns so vertraute schöne Gerolstein herabgeblickt, nicht ahnend, dass es bald zum größten Teil vernichtet werden sollte. Heiligabend 1944 steht für den Schwerstangriff inmitten von zweiundzwanzig, mit all den tragischen Verlusten, aber auch als Schlussstein für unsere Kindheit.