Ein „unvergesslicher" Wandertag

Brigitta Westhäusler, Hillesheim Das Thema des diesjährigen Jahrbuchs ist „Wasser". Spontan entsteht bei diesem Begriff ein Bild vor meinem inneren Auge, das ein „besonderes Wasser" zeigt. Nein, es hat nichts mit Sprudel zu tun, sondern mit einem Wasserfall, der seinesgleichen sucht. Er hat eine abenteuerliche Reise zurückgelegt und arbeitet immer noch an seinem Aussehen. Der Mensch wird bei seinem Anblick ganz klein und sprachlos und bewundert einmal mehr den Baumeister Natur. Ein nahezu magischer Ort ist für mich der Wasserfall Dreimühlen, wie er offiziell heißt. Im Folgenden möchte ich von einem Tag erzählen, der in die 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückführt, zu einem „unvergesslichen" Wandertag. Wandertag' - ein Wort, das beim Leser bestimmt die unterschiedlichsten Erinnerungen hervorruft. Zunächst einmal ist der Begriff positiv belegt, weil man an einen unterrichtsfreien Tag denkt. Als Schüler ist man zu allem bereit, Hauptsache kein Deutsch oder Mathe! Dann kann es aber auch sein, dass einige nur mit Abscheu oder Schrecken an kilometerlange Touren durch Feld, Wald und Flur denken. Das gute alte Wandern ruft nicht bei allen Begeisterung hervor. Die meisten möchten lieber eine schicke Tour nach Trier oder Köln unternehmen, wobei der Zoo- oder Museumsbesuch billigend in Kauf genommen wird!

Ich möchte von einem solchen Tag erzählen, als ein Fußmarsch noch einigermaßen populär war. Es war Mai, es herrschte ideales Wetter, und ich war Klassenlehrerin einer 6. Klasse. Da an jenem besagten Tag viele Klassen eine Busfahrt unternahmen - wir hatten Schüler aus Frankreich zu Besuch -, waren nicht mehr genügend Personen da, die mitwandern konnten. So kam ich zu einem Abkommen mit der Klassenlehrerin einer 5. Klasse: Gemeinsames Ziel war der Nohner Wasserfall. Wir wollten getrennt gehen, uns dort treffen und aufhalten und gemeinsam im Bus zurückfahren.

Der Nohner Wasserfall begann gerade erst zu der Zeit bekannt zu werden. Für ,Insider' war er ein Geheimtipp, und das Naturschauspiel hatte natürlich seinen besonderen pädagogischen Wert. Privat waren wir schon dort - mit dem Auto bis Nohn gefahren und dann den Fußweg gegangen. Aber von Hillesheim aus zu Fuß? Von einem wandererfahrenen Kollegen ließ ich mich instruieren, betrachtete intensiv die Wanderkarte, lauschte gebannt seinen Ausführungen. „Aha, alles klar", dachte ich.

Mit leichtem Morgennebel begann der Ausflugstag, aber es versprach ein perfekter Tag zu werden. Alle Schüler- und Schülerinnen waren in ausgelassener Stimmung, und los ging's. Bei einigen verschwand kurz die gute Laune, als wir zur Schwedenschanze hochsteigen mussten, aber die große Schaukel entschädigte sofort. Kurze Pause also, und die ersten mussten natürlich schon an ihren Proviant. Wir marschierten weiter in Richtung Kerpen. Über die Höhe zu wandern war Vergnügen pur - der Gesang der Vögel, die Düfte, Singen und Lachen der Kinder. Wir kamen zum Sport- und Spielplatz, wo eine nicht allzu lange Rast vorgesehen war. Ein Junge hatte seinen Fußball dabei, und sofort fand sich eine kleine Mannschaft zusammen. Die Mädchen spielten ,Gummitwist', zu jener Zeit sehr beliebt, oder saßen einfach da und beobachteten die anderen. Ich bewunderte die Energie der Kinder. Nach dem Gehen hatten sie noch Reserven zum Laufen und Springen. Aber wir waren noch lange nicht am Ziel, und es dauerte schon ein bisschen, bis alle wieder marschbereit waren. Einige bedauerten sogar, dass wir weitermussten. Der Weg führte geradeaus, aber irgendwo sollte ich rechts abbiegen. Aber nur wo? Ich betrachtete die Wanderkarte und versuchte mir krampfhaft in Erinnerung zu rufen, was mir mein Kollege erklärt hatte. Verdammt, ich war noch nie gut im Kartenlesen! Warum habe ich mir kein Zeichen gemacht? Sagte er nicht irgendwas von Waldrand? Aber vor den Schülern durfte ich mir natürlich keine Blöße geben. Selbstsicher rief ich aus: "Da müssen wir jetzt runter!" Eine herrliche Löwenzahnwiese verlockte die Kinder kreuz und quer zu laufen. Da, ein Junge stolperte und schlug sich das Knie auf. Der erste Unfall. Aber zum Glück war er schnell verarztet und vergaß das kleine Missgeschick schnell. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz" - ein Spruch, der immer ankommt. Ein Mädchen hatte auf einmal dick geschwollene Hände. Löwenzahnallergie! Was tun? Für sie gab es erst einmal nicht viel Hilfe. Nur schnell aus der Wiese, hieß das Kommando. „O je", dachte ich, „jetzt kommen die Querschläger, und du bist allein."

Der Weg war eigentlich kein Weg mehr, und wir landeten in einem Dickicht. Ich schickte ein paar .Pfadfinder' - im wörtlichen Sinn - vor, die erkunden sollten, ob es irgendwo weitergeht. Sie kamen mit einer negativen Nachricht zurück, und ich bekam ein bisschen schlechtes Gewissen, wohin ich die armen Schüler geführt hatte. Intensiv studierte ich die Wanderkarte und verkündete: „Wir müssen noch mal hoch und dann weiter hinten rechts runter." Zum Glück war die Stimmung noch überwiegend gut. Einige Jungen stürmten mit richtigem Indianergeheul wieder den Hügel hinauf, und die anderen folgten wie eine fromme Lammherde. Der nächste Weg rechts ab war dann unser zweiter Versuch. Der Wald spendete Schatten, über den wir uns freuten, denn die Temperatur war inzwischen gestiegen und die Sonne brannte ein wenig vom Himmel. Die ersten zeigten jetzt doch Ermüdungserscheinungen und fingen zu jammern an, wie weit es denn noch wäre. Ich schaute auf meine Uhr und begann mich bang zu fragen, ob wir unser Ziel überhaupt noch rechtzeitig erreichten. Irgendwie wurde es lichter, ein kleiner Abstieg, und wir fanden uns an einer Straße wieder. Wo waren wir? Große Felsblöcke waren zu sehen, und eine Anzeigetafel informierte uns über geologische Besonderheiten bei - Niederehe!

Wo lag Nohn? Wie kamen wir zum Wasserfall? Kleinlaut musste ich eingestehen, dass wir nicht da waren, wo wir hinwollten. Einige fingen an zu maulen, andere freuten sich über die großen Steinblöcke und begannen zu klettern, wieder andere liefen zum Bach auf der anderen Straßenseite und kühlten ihre Füße. Was tun? Die Handy-Zeit für jedermann war noch nicht angebrochen. Wie sollte ich meine Kollegin informieren? Wie den Bus erreichen? Doch manchmal gibt es tatsächlich Fügungen, die man nicht so ohne weiteres erklären kann. Auf einmal tauchte ein Reisebus auf und hielt an, denn der Fahrer hatte mich erkannt. Er war auf dem Weg, die Klassen abzuholen. Nachdem ich von unserem Irrweg erzählte, bot er uns an, bis zum Parkplatz mitzufahren. Dort könnten wir noch bis zum Wasserfall laufen und wenigstens einen Blick darauf werfen. Er würde auf uns warten, aber wir sollten uns schon beeilen. Die andere Klasse und deren Lehrerin warteten schon auf den Bus. Ich erzählte meiner Kollegin noch einmal von unserem Abenteuerspaziergang, aber ihr war nicht klar, was wir angestellt hatten. Jedenfalls veranstalteten meine Schüler einen Wettlauf und kamen wie versprochen auch gleich wieder zurück. Mit zwei Kommentaren möchte ich enden: „War das schön! Schade, dass wir nicht den richtigen Weg gefunden haben!" Diese Worte haben mich schon sehr beschämt. „Es war trotzdem ein lustiger Wandertag. Da können wir wenigstens was erzählen!"