Am Bodenbacher Drees

Christine Kaula, Wipperfürth

Bin ich in Bodenbach, führt mich mein Weg unweigerlich zum „Drees", der Kohlensäurequelle, die im Tal des Bongarder Baches liegt. Er gehört zu einer Reihe derartiger Quellen in der Region und wurde 1996 neu gestaltet.

Sein Wasser kann man sehr gut trinken, und es wird regelmäßig überprüft. Ich liebe diesen Ort, denn mit ihm verbindet mich manche Erinnerung aus der Kinderzeit und den Ferienwochen, die ich regelmäßig auf dem Hof des Onkels verbringen durfte. Nie vergesse ich, einen Becher mitzunehmen, um von der Quelle zu trinken. Ich steige hinab zum Brunnen und schöpfe vom Wasser, setze mich auf einer der Bänke im eingefassten Rund. Leicht säuerlich, ein wenig nach Eisen schmeckend, rinnt mir das Wasser die Kehle hinunter. Dann steigen die Bilder in mir auf. Ich sehe mich staunend über das Wasser gebeugt, aus dem perlengleich die Kohlensäure aufsteigt, mal mehr, mal weniger brausend, und flirrende Hitze liegt über den Weizenfeldern, die sich hinter dem Dorf erstreckten.

„Es war Hochsommer und die Ernte in vollem Gange. Der Onkel saß auf der Mähmaschine, die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt, mit harten Fäusten hielt er die Zügel des Pferdegespanns in der Hand und der Weizen fiel in langen Reihen. Die Tanten schritten hinterher, nahmen die Halme auf und banden sie zu Garben.

Röcke und langärmelige Blusen trugen sie oder Kleider, den Kopf schützten weiße Kopftücher. Allen lief der Schweiß über die hochroten Gesichter. Ähren aufsammelnd liefen die Kinder hinter der arbeitenden Schar her, das war ihre Aufgabe. Auf einen Zuruf und Wink hin eilte das Mädchen zum Onkel und schaute fragend zu ihm auf. „Hol ein paar Kannen Drees und beeil' dich", befahl er, eher barsch als freundlich, denn auch ihm setzte die Hitze heftig zu. Am Waldrand standen der Proviantkorb für die Arbeitspause, Blechkannen und einige Henkeltassen. Das Mädchen griff nach den Kannen und machte sich auf den Weg. Es war weit, sie schritt am Waldrand entlang, überquerte die Chaussee und dann, eingedenk der Mahnung des Onkels, begann sie zu rennen. Am Friedhof vorbei lief sie dem staubigen Feldweg nach, der nach einer weiten Linkskurve einen tiefen Abhang hinunter führte. Schon oft hatte sie den Wunsch verspürt, sich einfach auf den Boden zu legen und sich hinunter rollen zu lassen, doch eine unbestimmte Furcht hatte sie immer davon abgehalten. Auch dieses Mal traute sie sich das Wagnis nicht zu, sondern lief brav den Berg hinab, dann nach links dem „Drees" zu. Endlich angekommen, verschnaufte sie und setzte sich neben die Quelle, die jedes Mal wieder einen unwiderstehlichen Reiz auf sie ausübte. „Warte, bis es kocht!", war ihr eingeschärft worden. Mit dem „Kochen" war natürlich das heftige Aufbrausen des Wassers durch die aufsteigende Kohlensäure gemeint, das mal mehr, mal weniger stark war. Also harrte sie aus, bis es so weit war. „Dreesmänn'che, kumm eruss, kriegst och een decke Bunn'" rief sie leise hinab und glaubte wohl wirklich ein wenig an einen kleinen Wicht, der tief unten in der Erde das Wunder vollbrachte. Die Erde rund um die Einfassung des Brunnens, der aus einem einzigen Steinblock vulkanischen Tuffgesteins bestand, war durch die Eisenhaltigkeit des Wassers rötlich gefärbt, ab und zu rann ein wenig vom Wasser durch einen Spalt im Stein hinaus und versumpfte im noch unbefestigten Untergrund.

Es „kochte", rasch füllte sie die Kannen und machte sich auf den Heimweg, wieder den steilen Berg hinauf und am Friedhof vorbei, sie beeilte sich, weil sie ziemlichen Respekt vor dem Onkel hatte, und ihre Sache gut machen wollte. Aber sie war ein Kind, und Kinder kommen auf absonderliche Ideen. Leise begann sie die Kannen zu schwenken, hin und her, hin und her, im gleichen Takt, dann abwechselnd. Das machte Spaß und ihre Bewegungen wurden heftiger und höher und höher schwenkte sie die Kannen.

„Und wenn ich einen Überschlag mache, so wie der Bruder das kann?", überlegte sie und probeweise drehte sie die eine Kanne mit Schwung um ihre eigene Achse. Es klappte, und stolz versuchte sie ihr Meisterwerk mit der anderen Hand. Auch das gelang. Nun stand sie schon über eine Viertelstunde auf dem Weg und probierte ihr Kunststück immer weiter und weiter. „Ich kann's auch mit beiden Kannen!", beschloss sie und holte zu einem großen Schwung aus. Platsch! Der Inhalt beider Kannen ergoss sich über ihren Kopf und floss an ihr herunter. Pitschnass stand sie da wie ein begossener Pudel, und da fiel ihr wieder siedendheiß ein, dass irgendwo auf dem Feld noch durstige Menschen auf sie warteten. Leise vor sich hin weinend, wandte sie sich um, jagte den gleichen Weg zurück zum Drees, wartete nicht mehr ab, „bis es kocht", sondern füllte die beiden Kannen bis zum Rand. Den Weg zurück zum Weizenfeld legte sie in einem rekordverdächtigen Tempo zurück. Es half aber alles nichts, für ihr langes Ausbleiben wurde sie von den Durstigen doch noch heftig gerügt. Sie schämte sich und hätte um keinen Preis der Welt verraten, was sie aufgehalten hatte."

Ausgeruht steige ich wieder hinauf und begebe mich zurück ins Dorf. Als Kind glaubte ich, die Quelle sei so alt wie die Erde selbst. Heute weiß ich, dass diese „Dreese" der Eifel vulkanischen Ursprungs sind und schon in römischer Zeit gern genutzt wurden, da man die heilkräftige Wirkung dieser Quellen bereits kannte. Der Bodenbacher „Drees" aber ist uralt und es ist unbekannt, wer ihm einst die Tuffsteineinfassung gab.

Dieses sehr alte Foto vom „Drees", das - wie die anderen auch - freundlicherweise vom Bodenbacher Ortsbürgermeister Günter Rätz zur Verfügung gestellt wurde, zeigt den Sauerbrunnen in seiner ursprünglichen, erdhaften Gestalt.