Mein „Königswasser"

Brigitta Westhäusler, Hillesheim

Viele kennen bestimmt noch den Werbefilm einer weltbekannten Herstellerfirma für Tafelwasser:

Der Königin bringen die verschiedenen Diener oder Prinzen eine Wasserprobe zum Trinken, aber nur eine wird angenommen. Die Überbringer von .schlechtem Wasser' werden sogar bestraft.

Ja, es stimmt, Wasser hat einen guten oder schlechten Geschmack, je nach seiner Zusammensetzung. Und gerade wir hier in der Vulkaneifel können uns als wahre Kenner bezeichnen. Und es gibt Situationen, da ist Wasser köstlicher als Wein oder Kaffee oder Tee, je nachdem, was der Einzelne für das Nonplusultra hält.

Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen in den Sommermonaten zählen die Wege zu einer eingefassten Quelle, die fernab des Dorfes am Rande eines Wäldchens lag. Eine kleine Kapelle war ebenfalls dort, und meinem jüngeren Bruder und mir kam es so vor, als gäbe es keinen geheimnisvolleren Ort. Meistens am frühen Nachmittag zogen wir los, mit Milchkanne und zwei oder drei ausgedienten Bierflaschen - wegen des praktischen Verschlusses - bewaffnet. Der Weg führte durch eine große Wiese und durch Gerstenfelder. Staubig war es und warm. Der Geruch des reifen Getreides steigt mir selbst heute noch in die Nase, wenn ich mich zurückerinnere, denn wir stapften natürlich durch die Felder, was verboten war, aber woran wir uns nicht hielten. Die Halme waren so groß wie wir selber und kratzten fürchterlich. Aber was machte das schon? Denn was für einen Spaß bereitete es, sich darin zu verstecken! Manchmal brachen wir die Ähren ab und pulten die Körner heraus. Gab es etwas Köstlicheres? Das war der Geschmack des Sommers für uns!

Endlich an der Quelle angekommen, war es selbstverständlich, dass mein Bruder den Schwengel bedienen durfte. Man musste ihn erst ein paar Mal auf und ab bewegen, wobei er ein scheußlich quietschendes Geräusch von sich gab, und bevor ein geheimnisvolles Gluckern das Nahen des Wassers verkündete. Aus einem rostigen Rohr floss in mäßigem Strahl die Flüssigkeit, die aus einer unbekannten Tiefe stieg. Was für eine Wonne, wenn das köstliche Nass über die Hände lief! Wir schütteten es uns in das erhitzte Gesicht und dann tranken wir. Unsere Hände bildeten eine Schale, die wir füllten. Und anschließend neigten wir den Kopf, so als ob es ein Zeichen der Verehrung wäre, näherten den Mund dem kleinen See und begannen zu schlürfen. Unbeschreiblich der Geschmack! Besser als jeder Saft, so kam es uns vor, und der beste Durstlöscher an einem heißen Tag.

Der starke Eisengehalt gab dem Getränk seine besondere Note. Es war leicht trübe, und kleine Rostpartikel schwammen darin herum. Vorsichtig füllten wir die mitgebrachten Gefäße und verstauten die Flaschen in einer Tasche. Ehrfurchtsvoll näherten wir uns dann der Kapelle und knieten uns auf die einfachen Holzbänke, die davor standen. Das Blattwerk der dicht stehenden Bäume bildete einen wohltuenden Kontrast zu dem gleißenden Sonnenlicht auf den Feldern. Still war es meist, denn nicht viele Leute verirrten sich damals dorthin. Für uns ging auch eine gewisse Magie von diesem Ort aus, denn wir verstummten automatisch und wagten nur noch zu flüstern, wenn überhaupt. Meist schwiegen wir und verloren uns in unsere Gedanken. Dann genügte ein Blick, der signalisierte, dass wir nun den Heimweg antreten sollten. Diesen bewältigten wir etwas schneller als den Hinweg. Zu Hause freuten sich dann die anderen über das frische Wasser. Leider hielt es nicht lange, und oft war es schon am folgenden Tag, dass wir für Nachschub sorgten.

Das war mein „Königswasser". Wer weiß, ob ich es heute noch trinken würde, aber damals war es für mich einmalig.

Längst gibt es das .Heilbrünnchen' wie wir es kannten, nicht mehr, und nur die Alten erinnern sich noch.