Bedrohliche Eisfahrten und Hochwasser der Kyll - 1891 und 1918

Ernst Becker, Mürlenbach

Der so idyllische und friedlich dahinplätschernde Eifelfluss brachte immer wieder den Ort Mürlenbach durch Hochwasser und Eisgang in eine beängstigende Lage. Bei zwei besonders zerstörerischen Ereignissen zeigte die Kyll ihren Anwohnern, wer Herr im Tal ist und die älteren Rechte hat.

Eisgang des Jahres 1891

Bereits Anfang November 1890 setzte ein harter Winter mit eisiger Kälte ein, und binnen weniger Wochen war die Kyll zugefroren. Monate mit strengem Frost und viel Schnee sollten noch folgen und unsere Vorfahren in arge Bedrängnis bringen. Durch den lange anhaltenden Frost trat ein Mangel an Trinkwasser ein, denn die Brunnen waren zugefroren. Eis und Schnee musste gekocht werden, um Wasser für Mensch und Vieh zu gewinnen. In den Bächen hatte sich das Wasser gänzlich in Eis verwandelt - für die eingeschlossenen Fische brachte dies den Tod. Das Wild kam bis in Dorfnähe, fand aber auch hier nicht genug zum Überleben. Viele Tiere sahen den Frühling nicht mehr. Die Mühlen standen still, kein Rad drehte sich mehr. Das Mehl wurde knapp und bald herrschte Brotnot. Die Kartoffelvorräte litten unter dem Frost. Besonders für die Armen steigerte sich die Not von Tag zu Tag. Zu Trier gab die Suppenanstalt täglich 900 Kostportionen an Bedürftige ab. Die Tageszeitungen aus jener Zeit berichteten ständig über die katastrophale Lage, der Mensch und Tier ausgesetzt waren.

Der von Eisenschmitt nach Kyllburg laufende Postschlitten blieb am 18. Januar 1891 auf der Seinsfelder Höhe im Schnee stecken. Der Postillon hatte bereits die Pferde abgespannt und den Postbeutel umgehängt, um nach Kyllburg zu gehen und den Schlitten stehen zu lassen. Da kam quer übers Feld ein Schlitten, in dem der Pastor von Kyllburg, vom Dienste in Seinsfeld kommend, nach Hause fuhr. Der Pastor hatte eine Schaufel dabei, und nach halbstündiger Arbeit war der Postschlitten wieder frei. Gemeinsam fuhren dann die beiden PferdeSchlitten ihrem Ziel entgegen.

Bis zum 19. Januar war noch kein Ende des harten Winters abzusehen. Das Eis auf der Kyll war inzwischen etwa 60 Zentimeter dick. Als man am 20. Januar endlich die bittere Kälte gebrochen glaubte, setzte bedeutender Schneefall mit Sturm ein, der alles erst recht in den Winter versetzte. Der 22. Januar brachte das ersehnte Tauwetter - mit Regen. Damit waren die Probleme allerdings keineswegs vorbei, sondern das Schlimmste stand den Bewohnern noch bevor. Die riesigen Wassermassen aus Regen und schmelzendem Schnee konnten nicht in den Boden versickern, da dieser tief und fest gefroren war. In kurzer Zeit schwoll die Kyll rapide an. Das dicke Eis wurde von der unbändigen Kraft des Hochwassers krachend in überdimensionale Eisschollen zerbrochen, die in einem wilden Tanz mit dem Hochwasser ihren Weg kyllabwärts nahmen. Aber bald bot die steinerne Mürlenbacher Kyllbrücke der gewaltigen Fahrt Einhalt. Die riesigen Eisschollen stauten sich an den Bögen der Brücke und auch die größten Anstrengungen der Bewohner schafften es nicht, die Eiskolosse in passierbare Stücke zu zerkleinern. Mit Getöse wälzten sich immer mehr der gewaltigen Eisstücke heran und höher und höher wuchs der riesige Wall aus Eis. Er schob sich mit Urgewalt über- und untereinander, bedeckte bald die Uferstraße meterhoch und bedrohte die Häuser der Anwohner. Die gestauten Eismassen bedeckten schließlich kilometerweit das ganze Kylltal flussaufwärts Richtung Birresborn. Das Hochwasser, dem sein natürlicher Lauf Richtung Mosel versperrt war, suchte sich problematische Wege außerhalb des Flussbettes und bedrängte zusätzlich die Menschen mitsamt ihrem Besitz. Hier konnte nur noch professionelle Hilfe etwas ausrichten. Diese kam am frühen Abend des 25. Januar, einem Sonntag, über die knapp 20 Jahre zuvor eröffnete Eisenbahnstrecke mit einem Extrazug von Trier an. Ein Pionierhauptmann mit einer Gruppe Soldaten hatte bereits am Nachmittag die Brücke in Kyllburg mit neun Sprengladungen vom Eis freigesprengt. In Mürlenbach war die Lage ungleich dramatischer und so benötigten sie mehrere Tage, um das Eis zu sprengen und die Brücke passierbar zu machen. Die Kinder hatten schulfrei - für sie waren die gefährlichen Naturereignisse und die ungewöhnlichen Aktivitäten an der Brücke ein grandioses Schauspiel und hätten ruhig noch länger dauern sollen.

Die steinerne Kyllbrücke war im Jahre 1842 als Ersatz für die alte Holzbrücke durch den Maurermeister Johann Blasius aus Manderscheid erbaut worden. Johann Hammel von Mürlenbach hatte die Lieferung sämtlichen Materials sowie die Bürgschaft für den Maurermeister Blasius übernommen. Bereits 1847 waren Reparaturen an der Brücke erforderlich. Der gutachtliche Bericht des königlichen Wegebaumeisters Lenz in Prüm sah den schadhaften Zustand der Brücke als eine Folge der schlechten Ausführung und der verwendeten untauglichen Materialien.

Zudem seien die Fundamente in weit geringerer Tiefe als vorgeschrieben angelegt, während aber die vorgesehene größere Tiefe in Rechnung gebracht und bezahlt worden war. Die Gemeinde verlangte die Rückerstattung der zuviel bezahlten Fundamentarbeiten und der Reparaturkosten insgesamt 413 Reichstaler, 22 Silbergroschen, 6 Pfennige. Der Gemeinderat beklagte, es sei bedeutender Schaden erwachsen und dürfte auch noch in Zukunft entstehen - eine zutreffende Prognose! Denn der Druck der Eismassen und die Erschütterungen durch die Sprengungen hatten die Standfestigkeit der vorgeschädigten Brücke sehr geschwächt. Ausbesserungen bei niedrigem Wasserstand im Laufe des Jahres 1891 halfen da auch nicht mehr entscheidend, und bei der nächsten Eisfahrt 1892 gab die Brücke ihren Widerstand gegen die Elemente auf - man konnte mit Schiller sagen: „Und donnernd sprengen die Wogen des Gewölbes krachenden Bogen." 1893/94 wurde eine neue eiserne Kyllbrücke erbaut.

Hochwasser im Januar 1918

Hochwasser der Kyll und der einmündenden Bäche ereignen sich immer wieder und versetzen die betroffenen Anwohner in Schrecken. Besonders stark und gefährlich war das Hochwasser vom Januar 1918.

Der Trierische Volksfreund berichtet in der Morgenausgabe vom 17. Januar 1918, das Hochwasser sei „springflutartig in der Nacht zum gestrigen Mittwoch aufgetreten. Die Staatsbahn gab den Verkehr auf der Kölner und Irreler Strecke auf. Alle Nebenflüsse der Mosel sind über die Ufer getreten, zahlreiche Ortschaften meterhoch überschwemmt".

Das auf den 16. Januar 1918 datierte Foto des in der gesamten Tallage überschwemmten Ortes Mürlenbach lässt das Ausmaß und die katastrophalen Folgen des extremen Hochwassers erahnen.

Die tiefergelegenen Häuser und Ställe standen meterhoch unter Wasser. Vieh musste aus überfluteten Ställen gerettet und Hausrat in höhere Lagen verbracht werden. Großer Schaden entstand an Gärten und Äckern. Glücklicherweise kamen keine Menschen zu Schaden. Der erst im Jahre 1910 „auf der Insel" errichtete 12 m hohe Steigerturm der Feuerwehr wurde ein Opfer des ungewöhnlich starken Hochwassers und versank in den Fluten. 1926 baute die Feuerwehr einen neuen Steigerturm - diesmal an weniger hochwassergefährdeter Stelle - am Westgiebel der Alten Schule.

Zu dem verheerenden Hochwasser in der gesamten Region schreibt die Trierische Landeszeitung in der Morgenausgabe vom 19. Januar 1918:

„Prüm, 16. Jan. Die Nacht vom 15. auf den 16. Januar ist für viele unseres Kreises eine wahre Schreckensnacht gewesen. Das plötzlich einsetzende Tauwetter brachte die in den letzten Wochen niedergegangenen riesigen Schneemengen zur Schmelze. Ein anhaltender Regen vermehrte die Wassermengen noch, so dass die Kanäle und Wasserabläufe das Wasser nicht alle fassen konnten. Die Folge davon war in vielen Häusern großer Schaden in Kellern, Ställen und den unteren Wohnräumen. Der Zugverkehr auf der Kyllstrecke musste infolge des Hochwassers, das an mehreren Stellen den Eisenbahndamm und die Gleise wegspülte, eingestellt werden.

In der Gegend von Pelm ist heute morgen eine Scheune bis Densborn getrieben worden, in der gerade vier Mann am Dreschen waren."

Auch der Trierische Volksfreund berichtet wortgleich über die seltsame Scheune mit den vier Dreschern. Da hatten die Eifelaner den Zeitungsreportern aber einen dicken Bären aufgebunden! Die Geschichte hat J. Hubert Müller 1932 in seine Publikation als Mürlenbacher Ereignis übernommen: „Eine Sage meldet, dass einst eine Holzscheune vom Hochwasser abgetrieben wurde, in der noch vier Bauern des Morgens in aller Frühe beim Dreschen waren, und welche erst das gefährliche Spiel ahnten, als sie bei anbrechendem Tage an dem V Stunde entfernten Densborn vorbeisegelten." - So also entstehen „Sagen"! Am 18. Januar war die Kölner Strecke noch gesperrt. Erst am 22. Januar wird unter der Überschrift: „Vom überstandenen Hochwasser" das Abklingen der Gefahr gemeldet.

Content-Disposition: form-data; name="hjb2012.42.htm"; filename="hjb2012-108.htm" Content-Type: text/html Sommerwiese

Sommerwiese

Sommerwiese, Sonne lacht,
Blumen steh'n in voller Pracht;
in den Lüften ist ein Singen,
Wind lässt Glockenblumen klingen.

Das Knabenkraut drückt sich ins Gras,
Malven leuchten rosablass,
mit Dolden weiß der Bärenklau,
Vergissmeinnicht im zarten Blau.

Überall im weiten Rund,
am Waldessaum, im Wiesengrund,
an Acker und an Wegesrand
grüßt uns des Sommers buntes Band.

Im Sonnenglast da ist ein Schwirren,
Flattern, Brummen und ein Sirren.
Leichter noch als Vogelflaum
schweben Falter durch den Raum.

Im Wiesendschungel tief versteckt,
dem flüchtigen Auge unentdeckt
pulsiert ein unvorstellbar' Leben:
jagen, kämpfen, fressen, weben.

Wenn sich die Mittagshitze staut,
die Luft sie schwängert und verblaut,
die Lerche hoch zum Himmel steigt,
ihr Liedchen trällert laut und weit;
dann klingt aus prangem Blumenfeld
wo Farb' an Farbe sich gestellt
und Duft zu Duft in Harmonie
der Sommerwiese Sinfonie.

Hajo Mais, Simmerath

Content-Disposition: form-data; name="hjb2012.43.htm"; filename="hjb2012-109.htm" Content-Type: text/html Der Üßbach

Der Üßbach

Unsere kindliche Erlebniswelt

Franz Josef Ferber, Daun

O du Heimatflur, o du Heimatflur, laß zu deinem sel'gen Raum mich noch einmal nur, mich noch einmal nur entfliehn, entfliehn im Traum!

(Aus dem Volkslied von Robert Radecke, nach einem Gedicht von Friedrich Rückert)

Spielplätze? Die gab es damals, als wir noch Kinder waren, in unserem Dorf im oberen Üßbachtal noch nicht. Wir kannten noch nicht einmal diesen Begriff. Niemand ist jemals auf die Idee gekommen, Spielräume zu schaffen, die ausdrücklich für uns Kinder bestimmt gewesen wären. Sie wären auch so überflüssig gewesen wie Kröpfe. Zu keiner Zeit haben wir sie vermisst. Dennoch, Spielorte standen uns bereit, in Hülle und Fülle. Wir spielten praktisch überall: im ganzen Dorf, in Feld-, Wald- und Wiesenfluren, auf Dorfplätzen und in Höfen. Wir taten stets so, als ob uns dies alles gehörte. Schließlich hatte der liebe Gott die Erde für alle gemacht.

Am Üßbach

Einer der beliebtesten Spielplätze war, neben dem Backes, der Üßbach. Er ist zwar nach unserem Pfarrdorf Üß, an dem er in einigen hundert Meter Abstand vorbeifließt, benannt, entspringt aber etwa zwei Kilometer weiter, in Mosbruch, genauer gesagt, im Mosbrucher Weiher, einem Trockenmaar am Fuße des Hochkelbergs gelegen. Er ist ein wasserreiches Torfmoor. Deswegen führt der Üßbach bereits an seinem Oberlauf verhältnismäßig viel Wasser. Durch das wasserreiche Quellgebiet ist es zu erklären, dass früher schon am Bachoberlauf zahlreiche Getreidemühlen standen, in dem knapp drei Kilometer langen Stück zwischen Mosbruch-Zumried und Hörschhausen waren es allein fünf.

Für uns Kinder war der Üßbach ungefähr vier Kilometer lang. Er fing unterhalb unseres Pfarrortes Üß an und endete nicht erst in Alf, wo er in die Mosel mündet, sondern schon weit vorher, nämlich in der Nähe von Berenbach. Dieses Bachstück also gehörte zu unseren kindlichen Erlebnis- und Spielwelten, es brachte uns viel Freude, manchmal auch Leid.

Baden im Üßbach

Als wir noch klein waren, badeten wir in „Zeduschens Kümpel". Das war ein Tümpel im Üßbach, an Zeduschens Päsch, über den - als Pfad zum Gemeindebackhaus - ein Fußgängersteg, bestehend aus einer Eichenbohle, führte. Von einem Baden im herkömmlichen Sinne konnte natürlich keine Rede sein; es waren nur Fußbäder, die wir nahmen. Zu diesem Zweck setzten wir uns auf den Holzsteg und ließen unsere nackten Beine ins Wasser baumeln.

Später, als wir größer geworden waren, gingen wir zum Baden in eine Art Freibad. Das war der „Schoafskümpel". Er war ein Tümpel im Üßbach, zwischen Berenbach und Hörschhausen gelegen. Früher hatten die Bauern ihn gestaut, um hierin ihre Schafe zu waschen, bevor sie geschoren wurden; damit ist der Name des Tümpels zu erklären. Jedes Jahr haben Berenbacher, Horperather und Hörschhausener Jungen den Staudamm erneuert. Der Tümpel wurde dann so tief, dass man darin nicht nur baden, sondern, wenngleich nur ein kurzes Stück, auch schwimmen konnte. An seiner tiefsten Stelle machten wir, auf der Wiese Anlauf nehmend, sogar Kopfsprünge. Das erforderte besonderes Geschick, sonst stieß man, was mir einmal passierte, mit dem Kopf auf den teils steinigen Boden des Baches. Der Schoafskümpel hatte naturgemäß ständig Frischwasserzulauf. Das Wasser des Baches war so klar und - scheinbar - so sauber, dass wir, wenn Not am Mann war, aus dem Bach tranken. Mit dem Wasser im Tümpel wurde das im Nu anders, er war oft stark frequentiert, die Badenden „motteten" - so nannten wir es - den Bachgrund auf, und das Badewasser wurde dermaßen dreckig, dass wir uns nach dem Baden, oberhalb des Tümpels, gründlich waschen mussten.

Der Schoafskümpel war eigentlich eine „Männerbadeanstalt". Nur selten sah man dort Mädchen baden. Dennoch kam es einmal vor, dass wir Mädchen, die wir vom Religionsunterricht her kannten, am Schoafskümpel überraschten. Interessant war es, dass sie uns nicht bemerkten. Einige von uns Jungen hatten keine Scheu, uns heimlich heranzuschleichen, um sie hinter den Erlenhecken aus nächster Nähe beim Umkleiden zu beobachten. Nun, nackte Mädchen bekamen wir schließlich nicht alle Tage zu sehen.

Fischen im Bach

Beim Spielen am und im Bach war der Reiz des Fischefangens durch nichts zu übertreffen. In jungen Jahren begnügten wir uns damit, in Zeduschens Kumpel „Maipänz" zu fangen. Das waren Minifische, die zeitlebens klein zu bleiben schienen; sie erreichten, wenn es hoch kam, fünf Zentimeter in der Länge. Ab und zu fingen wir auch „Knäulköpp" (Kaulquappen); sie waren weniger begehrt. Einer von uns Jungen - der Schange Helmut - war der erste, der sich an Krebse heranmachte. Sie waren damals noch zahlreich, saßen in Höhlen am Bachufer und unter dicken Steinen, die im Bach lagen. Ein paar Jahre danach wurden wir anspruchsvoller. Nun mussten es Forellen sein, möglichst große. Daran mangelte es nie. Hierfür sorgten stets die Bachpächter. Diese wohnten fast immer in der Kreisstadt. Für uns waren sie die „Dauner Häre". Nun, ob Herren oder nicht, uns waren sie sehr nützlich, die Dauner „Feschefänka", sie waren unverzichtbar im Bund der Forellenzüchter und -fänger. Die Rollen waren dabei einigermaßen gleichmäßig verteilt und leicht zu erklären: Die Dauner Herren setzten die Forellenbrut ein, der Herrgott ließ sie prächtig gedeihen, und wir fingen und aßen die Fische. So einfach war das Rollenspiel, allerdings, was uns betraf, nicht gerecht, denn wer nicht säen will, soll bekanntermaßen auch nicht ernten dürfen. Nebenbei bemerkt: Wir fischten mit blanken Händen, Angelruten bastelten wir uns erst in späteren Jahren.

Nicht immer haben wir Forellen geangelt oder Weißfische, die nur an einer einzigen Stelle - oberhalb des Schoafskümpels - anzutreffen waren. Einmal waren es Schuhe, die es im Bach zu angeln galt.

Es war kurz nach dem Krieg, als meine Mutter mich beauftragte, zur Further Mühle zu gehen, um dort ein Säckchen Mehl abzuholen. Und auf dem Rückweg sollte ich beim „Täise-Schohsda" in Berenbach ein paar Schuhe abholen, die geflickt worden waren. Ich bezahlte den Reparaturlohn, verknüpfte an ihren Lederriemen die Schuhe, schwang sie über meine linke Schulter, lud das Mehlsäckchen auf meine rechte Schulter und ging meines Weges. Meine Bürde war schwer und mein Heimweg weit. Deshalb versuchte ich, den Weg abzukürzen, ging quer über die Wiesen und erreichte sogleich den Üßbach. Diesen wollte ich überqueren. Doch das ließ er nicht so ohne weiteres zu, er war in dieser Zeit der Schneeschmelze zu einem reißenden, trüben Bach geworden. Mit meinem Gepäck - Mehlsack und Schuhbündel - wagte ich es nicht, über den wildschäumenden Bach zu springen. Ich musste mich wenigstens eines Teils meiner Fracht entledigen. Also warf ich das Schuhbündel forsch über den Bach. Ziel war die Wiese jenseits des Baches. Aber dort kamen die Schuhe nicht an, sondern fielen mitten in den Bach hinein. Schon hatte das Wasser sie verschlungen und mit sich fortgerissen, im Nu waren sie meinen Augen entschwunden.

Ich war zu Tode erschrocken, stand da, ganz einsam und allein, ohne Schuhe und ohne Hoffnung, sie jemals wiederzufinden. In wenigen Minuten, so bangte ich, würden sie durch Berenbach, in einer Viertelstunde vielleicht schon an der Further Mühle vorbei in Richtung Mosel geschwommen sein, immer unsichtbar wegen des verschmutzten Schmelzwassers.

Ich war ratlos und verzweifelt. Meine Mutter war durchaus nicht streng, eher nachsichtig. Aber ihr, der geplagten Frau, in dieser wirtschaftlich unglücklichen Zeit vor die Augen zu treten und ihr zu gestehen, die Üß habe mir sämtliche Schuhe geraubt, nein, das konnte ich nicht tun. Zum heiligen Antonius zu beten, schien mir nicht wirksam genug zu sein, denn ich hielt den beliebten Volksheiligen für leichtere Fälle zuständig, gegenüber Naturgewalten, dachte ich, würde er machtlos sein.

Gewiss war es einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass an diesem Vormittag Berenbacher Kinder am Üßbach spielten. Ich kannte sie, den Jeesbösch Manfred und seinen jüngeren Freund, den Schmötz Manfred. Zu ihnen lief ich hin und explizierte mein großes Unglück. Jeesbösch Manfred zögerte nicht, holte sich eine Bohnenstange, und wir liefen gemeinsam zur Unglücksstelle. Dort begann Manfred, mit seiner Bohnenlatte in dem tiefen trüben Wasser herumzustochern, wobei er ständig ein Stück bachabwärts ging. Ab und zu fischte er etwas heraus, meistens Unrat. Ich bewunderte seinen Eifer und seine Ausdauer. Es war vielleicht eine halbe Stunde vergangen, als Manfred schätzungsweise zehn Meter unterhalb meines Schicksalsortes, unverhofft seine Bohnenstangenangel hochriss. Wir alle, die wir drumherumstanden - mittlerweile hatten sich noch etliche Kinder als Zuschauer eingefunden - und die Hoffnung auf ein glückliches Ende der Suchaktion fast aufgegeben hatten, trauten unseren Augen nicht. Oben an der Stange hingen doch tatsächlich meine Schuhe! Sie waren, weil miteinander verknüpft, an einem Hindernis im Bachbett hängengeblieben, und der Manfred hatte sie erwischt. Welch ein Glück! Meine Freude war unbeschreiblich, ebenso meine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Jeesbösch Manfred. Mir kam alles wie ein Wunder vor, was an diesem Vorfrühlingstag geschehen war.

Ein Schifflein sah'n wir fahren Im Frühling, wenn nach der Schneeschmelze das Wasser über die Ufer getreten war, galt es, Schiffchen zu spielen. Jeder hatte sein eigenes Schiffchen; es bestand meistenteils aus einem Stück Holz oder einer leeren Schuhwichsdose. Wir warfen die Schiffchen ins Wasser und begleiteten sie ein Stück, bis zur Schöttelesch Mühle.

Ein nicht gerade alltägliches Erlebnis hatten wir an einem sonnigen Sommertag. Es war Sonntag. Nach dem Mittagessen trafen wir uns im Dorf an der Üßbachbrücke. Auf einmal sahen wir im Bach ein seltsames Schiffchen. Es trieb auf der Wasseroberfläche langsam der Brücke zu. Sogleich erkannten wir in dem ulkigen Gefährt eine große, weißemaillierte Schüssel. Gänse schwammen lautschnatternd hinterher, schnappten immerzu nach dem Inhalt und rührten diesen mit ihren langen Schnäbeln um. Spornstreichs rannten wir dem Bach zu, verscheuchten die Gänse und fischten die Schüssel aus dem Wasser. Sie war bis an den Rand mit einer weichen, gelb-weißen Masse, mit Wasser vermischt, gefüllt. Wo kam sie her und was war drin? Schnell hatten wir begriffen: Es war eine Puddingschüssel, die jemand zum Abkühlen in den Bach gestellt haben musste, an die Stelle, wo das Wasser ruhig fließt, wo der Fußgängersteg zwischen Mechels und Schäwwenimms über den Bach führt. Der Pudding, so dachten wir, konnte nur Schäwwenimms gehören. Und dass es so war, erfuhren wir bald, als wir die Schüssel mit dem wässerigen Inhalt zu Schäwwenimms trugen. Diese wurden sogleich böse und begannen heftig zu schalluttern, aber nicht auf die Gänse, sondern auf uns Jungen. Trotz unserer Beteuerungen, unschuldig zu sein, beharrten sie darauf, dass wir es gewesen seien, die der im angestauten Bach ruhenden Puddingschüssel einen Schubs gegeben hätten, um sie zum Schiffchenspielen zu missbrauchen.

Kriegsspielzeuge

Es kam, wenn auch selten, vor, dass wir in unserem Heimatbach Dinge fanden, die uns Jungen besonders interessierten. Als der Krieg zu Ende war, lagen Sachen herum, von denen wir sonst nur träumen konnten. Vor allem die Amerikaner waren es, die Einheimische zwangen, Waffen und andere nützliche Gebrauchsgegenstände abzuliefern. Manch einer warf seine Waffe auch einfach weg, um mit den Amis nicht in Konflikte zu geraten. Das war wohl der Grund, weshalb ich beim Spielen am Üßbach, in unmittelbarer Nähe des Backhauses, eine 08-Pistole fand. Sie war nagelneu und steckte in einer schwarzen Ledertasche. Ich nahm sie mit nach Hause, versteckte sie heimlich auf unserem Speicher und war stolz, mit knapp zehn Jahren Besitzer einer Pistole zu sein. Jedoch, mein Besitzerstolz währte nicht lange. Meine Mutter kam schnell dahinter; sie ließ das unheimliche Ding verschwinden.

Die Anwesenheit der Amerikaner ermöglichte uns auch Spiele, von denen wir vorher keine Ahnung hatten. Sie waren nicht selten gefährlich. Zum Beispiel war es reizend, leere oder vermeintlich leere Benzinkanister anzuzünden. Die Amis hatten sie auf der „Bäijewiß" am Viehweg in großer Zahl liegenlassen, als sie ihre Zelte abgebrochen hatten und fortgefahren waren. Kläre Jupp, Stäwes Alfred und sein Bruder Winfried rafften die Kanister auf und trugen sie zusammen auf einen Haufen. Nun begann der Spaß, aus dem im Nu Ernst wurde. Der Reihe nach warfen die drei brennende Streichhölzer in die Kanister, aus denen jedesmal eine mächtige Stichflamme herausschoss. Jedoch, einer der Kanister wollte partout nicht zünden. Alfred passte das nicht, er ging der Sache auf den Grund. Er senkte seinen Kopf über die Öffnung und versuchte, in das Innere des Behälters hineinzuschauen. Da passierte das Unglück. In Sekundenschnelle kam sie, die erwartete Stichflamme, sie schoss Alfred mitten ins Gesicht. Er fing jämmerlich zu heulen an. Nun war unser guter heimischer Üßbach der Retter in höchster Not. Unvermittelt eilte Alfred, begleitet von seinen Kameraden, dem nahen Bach zu, bückte sich zu ihm hinab und kühlte seine schweren Brandwunden.

Ins Bett musste Alfred nun hinein. Und der Herr Doktor saß erst dabei, nachdem die in Üß weilenden Amerikaner ihm Benzin für sein Auto zur Verfügung stellten. Er kam vierzehn Tage lang, schmierte dem bedauernswerten Jungen fingerdick Salbe ins Gesicht und umwickelte es mit Binden. Der arme Kerl sah nun aus wie der arme Lazarus. „Doch mit der Zeit wird alles heil", dichtete Wilhelm Busch. So geschah es auch bei dem Alfred.