Der flirrende Baum

Christa Feltgen, Kerpen

Als wir 1985 in die Eifel zogen, hatten wir unser Haus auf einer Weide gebaut, auf der im Herbst davor noch die Kühe herumgelaufen waren. Wir waren gespannt, wie der Boden unter dem Gras aussehen würde, wir wollten uns doch so gern einen Garten anlegen. Was bei unseren Nachbarn alles grünte und blühte, ließ uns hoffen.

Wir hatten festgestellt, dass der darunter liegende Felsgrund an einer Stelle bis an die Oberfläche reichte. Aber dort war das Haus hingekommen und die Garagen und auf dem übrigen Land wurde der Mutterboden vom Aushub verteilt. Ein großer Teil der Erde bestand aus winzigen Lava-Bröckchen und ruinierte aus diesem Grund die Hände beim Unkrautrupfen unsäglich. Wir kauften Sträucher und kleine Bäume, Bekannte brachten uns Pflanzen mit und alles wuchs und blühte auch bald, dass es eine Freude war.

Unser Schwiegersohn brachte uns eine kleine Douglas-Tanne mit, so klein, dass wir eigentlich keine große Hoffnung hatten, dass sie anwachsen würde. Zuerst brauchte sie noch einen Zaun zum Schutz, aber bald wuchs und gedieh sie, dass es eine Freude war. Bald war sie über 3 m hoch und so gut wie vollkommen. Ich habe noch nie einen solch geraden und nach allen Seiten hin gut gestalteten Baum gesehen. Bald hatte er mit seinen langen dichten Zweigen den kleinen Pfad zwischen sich und dem Gartenbeet vollkommen zugewuchert.

An einem ganz besonders heißen Tag hatte ich eine Weile im Schatten gesessen und wollte mich wieder an die Arbeit machen. Auf einmal hörte ich ein seltsames Geräusch aus der Rich-

tung in der die Tanne stand. Es war fast so ein Brummen, als wenn ein Dutzend Wespen sich über einen Kuchenteller hermachen, unwillkürlich läuft einem ein Schauer über den Rücken. Als ich zum Baum herüberging sah ich, dass ich gar nicht so falsch geraten hatte. Der Baum hatte in der heißen Sonne Tausende von kleinen Perlen ausgeschwitzt. Und auf diesen Perlen saßen und flogen Hunderte von Wespen, tanzten förmlich um den Baum herum und ließen ihr Brummen hören. Noch benommen von dem unerwarteten Anblick, hätte es mich nicht gewundert, wenn die Wespen den Baum hochgehoben hätten und mit ihm davon geflogen wären.

So nah heran zu gehen, dass ich diesen Zauber hätte fotografieren können, traute ich mich nicht. Schade. Dadurch, dass der Baum so gerade gewachsen war, wurde der märchenhafte Eindruck noch verstärkt. Es war wirklich ein summender, brummender, flirrender Wunderbaum geworden, faszinierend und trotzdem gefährlich.

Mein Nachbar, der sich das Spiel auch angesehen hatte, war kurz davor, sich zu bekreuzigen.

Es wird wohl eine Art von Harz gewesen sein, was der Baum da ausschwitzte, auf jeden Fall eine Delikatesse für die Wespen. Ein Förster würde sagen, dass er so etwas schon oft gesehen habe, aber für mich war das ein einmaliges, unvergessliches Erlebnis. Wenn es heute wieder einmal so richtig heiß draußen ist, muss ich unwillkürlich an die Tanne denken. Wie viele Wunder hält die Eifel doch bereit.