Ein Junge namens Forelle

Mathilde Gros, Eltville

Bereits im 19. Jahrhundert zog Gerolstein Geologen, Maler, Jäger, und die damals so genannten Sommerfrischler und die Angler an. Meist kamen sie aus dem benachbarten Ausland, doch waren Gäste aus England und den USA keine Seltenheit. Vor allem im Hotel Heck fanden sie den gediegenen Komfort ihrer Zeit, der stets auf den neuesten Stand angehoben wurde. Das bestätigt dessen Reklame bereits aus dem Jahre 1903.

Der sprachgewandte Inhaber erkannte, wie wichtig den Gästen der Blick zu den gegenüberliegenden Dolomitfelsen war, darum ließ er den Aufgang zur Burg hinter seinem Hotel mit bunt blühenden Stauden, Obstspalieren und rosenumrankten Lauben verschönern. Alsdann ließ er hinter der großen Terrasse, direkt zwischen den beiden Gebäuden seines Hotels, die hoch über dem gepflasterten Weg durch einen überdachten Zugang miteinander verbunden waren, ein großes Fischbassin errichten, das in den 30er Jahren der magische Anziehungspunkt für Kinder wurde, wie meinen Brüdern Leo und Peter. Auf dem Heimweg nach der Schule gönnten sie sich erst mal aus nächster Nähe einen Blick auf die verschiedenen darin munter schwimmenden Fische.

Eines Tages kam der Hotelkoch in Begleitung eines Engländers, der selbst seinen Fisch auswählte, den der Koch nun mit dem Käscher herausnahm. Dem Gast gefiel das Interesse der beiden Jungen, darum wechselte er ein paar freundliche Worte mit ihnen. Daheim erzählten sie froh das Erlebnis. Kaum waren ihre Schularbeiten erledigt, rannten sie zur Kyll. Mit ihrem kühlen klaren Wasser war sie ein Eldorado für Angler. Es gab neben Aalen und Äschen auch Barsche, Hechte und Zander, vor allem aber die herrlichen Forellen, die im Kyllabschnitt bei Gerolstein die kiesige Unterlage fanden, die ihnen auch ideale Bedingungen zur Fortpflanzung bot.

Ich erinnere mich noch gut, dass man von den Brücken aus große Mengen Forellen beobachten konnte. Zwischen der Eselsbrücke und der Tankstelle Begaß fanden sich oft Angler ein, jeder an seinem bestimmten Platz, damit sie sich nicht gegenseitig „ins Gehege" kamen. Hier hatten Leo und Peter längst ihre Leidenschaft fürs Angeln entdeckt und warteten heute mit großer Spannung auf die Ankunft des freundlichen Engländers vom Hotel Heck, der jedes Jahr zur gleichen Zeit an derselben Stelle der Kyll angelte.

Mit seiner exklusiven Ausrüstung hatte er die Jungen schon in den Jahren zuvor beeindruckt, die ihn bislang aus gebührlicher Distanz und schweigend bei seinem Tun beobachteten. Diesmal wagten sie sich in seine Nähe. Er winkte ihnen heran zu kommen und demonstrierte dann, wie man vorzugehen hat. Sie waren eifrige Schüler, und bald hatten sie auch Gelegenheit, das Gelernte in die Praxis umzusetzen. Sie durften die Angel handhaben und sogar einen Teil der gefangenen Beute mit nach Hause nehmen. Freudestrahlend legten sie unserer Mutter die Forellen auf den Küchentisch, die ihnen diese in Butter zu einer Köstlichkeit briet.

Mein Bruder Leo brachte von seiner Natur her all die Geduld und Ausdauer mit, die ein leidenschaftlicher und erfolgreicher Petrijünger haben muss. Das gefiel dem Engländer zunehmend, und kurz darauf gab dieser ihm einen Spitznamen, natürlich in Englisch: Trout, also Forelle. Der gefiel meinem Bruder sehr, und so trug nach reichem Fischzug gegen Abend, dieser weizenblonde Junge, genannt Forelle, stolz dem Engländer den Fang zum Hotel, er durfte ihn sogar noch ins dortige Fischbassin entlassen. Hier erfreuten die Fische sich jedoch nur noch so lange ihres munteren Daseins, bis Gäste sich ihre ausgesucht hatten, die dann der Koch auf jede gewünschte Art zubereitete und auf den Tisch brachte.