Gespielte Wirklichkeit

Brigitte Bettscheider, Kelberg-Zermüllen

Aline Kottmann-Rexerodt zeigt in ihrem Puppenstubenmuseum auch Szenen von Waschtagen und Badegewohnheiten früherer Zeiten

Was Aline Kottmann-Rexerodt in der Scheune des ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesens im Kelberger Ortsteil Zermüllen auf den Regalböden hinter den schweren Glasschiebetüren mit unendlich vielen, winzigen Teilen in Szene gesetzt hat, ist ein Streifzug durch die häuslichen und beruflichen Veränderungen der letzten 130 Jahre. In einem feinen Wohnzimmer mit dunklen polierten Möbelstücken und einer Couch mit Brokatstoff glitzert ein Miniatur-Weihnachtsbaum. In Läden werden Kuchen, Lampen, Kinderwagen und Uhren angeboten. Es wird Kindergeburtstag gefeiert, Klavier gespielt und Kaffee getrunken. Im „Haus für moderne Kunst" sieht sich ein Händchen haltendes Paar Bilder und Skulpturen an,der Flügel ist für die Vernissage schon aufgeklappt, und ein kleiner Junge pocht von innen gegen die Toilettentür und ruft seinem Vater im Museums-Cafe zu: „Papa, ich krieg die Tür nicht auf!" In der Puppenstube nebenan liegt ein Mineralien- und Fossiliensammler inmitten all seiner Fundstücke mit Gipsverband auf dem Sofa: Er hat sich in Ausübung seines Hobbys den Fuß gebrochen. Den Seemannsladen hat Aline Kottmann-Rexerodt zum 60. Geburtstag geschenkt bekommen. „Alles selbst gemacht", sagt sie und deutet auf die Flaschenschiffe und die Flaschenpost, auf das Seemannsgarn in der Kiste, die weiß-blau-gestreiften Hemden, die gelben Friesennerze im Regal und die kleinen Flaggen aus Papier. In jeder Puppenstube spielt sich eine Geschichte ab. Und es wird gewaschen! In Anbetracht der zierlichen Tröge und Bottiche, des winzigen Waschbretts und der spitzenverzierten Leibchen und Höschen auf der gerade mal 20 Zentimeter langen Wäscheleine, beim Bewundern der den Originalen exakt nachempfundenen Persil- und Perwollpackungen holt einen erst Aline Kottmann-Rexerodts auf fundiertem Wissen basierender Bericht über „große Wäsche früher" auf den Boden der Tatsachen zurück.

Aline Kottmann-Rexerodt mit einer Puppenstube

Dass nämlich Wäschewaschen ein Zeit und Kraft raubendes Unternehmen war, bevor in den 1950er-Jahren die ersten Waschvollautomaten in die Produktion gingen und sie sich in dem Jahrzehnt darauf in den meisten Haushalten etablierten. Die Puppenstubensammlerin erzählt vom Sortieren und Einweichen der Wäschestücke und dem Einreiben der Flecken mit Seife am Tag vor der „großen Wäsche". Sie erinnert an das Herbeischleppen von Holz und Reisig für das Feuer unter dem Waschkessel, das Rubbeln jedes einzelnen Stücks, das Stampfen mit dem Holz, das Ausspülen am Bach, das Bleichen im Gras. „Für die Stärke wurden geriebene Kartoffeln durch ein Tuch gedrückt, und im Bügeleisen waren glühende Kohlen", erklärt Aline Kottmann-Rexerodt. Und die Körperpflege? Aline Kottmann-Re-xerodts Museum gibt auch darüber Auskunft - wie sich die Leute in der Waschschüssel wuschen, die auf einem Ständer neben dem Herd stand, und wie sich aus dem Zuber, in den heißes Wasser aus dem Waschkessel geschöpft wurde und in den die Familienmitglieder nach und nach einstiegen, allmählich das Badezimmer entwickelte. Als Exponate sind in der Puppenstubensammlung unter anderem das Funktionsbad der 1930er-Jahre und das Standardbad der 1950er-Jahre zu sehen. „Ich bin aus Trotz zur Sammlerin geworden", erinnert sich Aline Kottmann-Rexerodt daran, wie alles angefangen hat. „Rasend" habe sie sich eine Puppenstube gewünscht, aber keine bekommen. „Meiner Mutter gefielen die Sachen einfach nicht, die es Anfang der 1950er-Jahre gab", erzählt sie, die 1943 als ältestes von sechs Kindern eines in der Textilbranche beschäftigten Ehepaares in Krefeld auf die Welt kam. Aus lauter Trotz habe sie zu sammeln begonnen;ihr erstes gekauftes Stück sei ein winziges Kaffeeservice gewesen.Sie sammelte weiter, als sie in Wiesbaden Inneneinrichtung eriernte und später in Antiquitätengeschäften in München und Krefeld arbeitete. Sie habe oftmals auf etwas anderes verzichtet, um sich ein besonderes Sammlerstück kaufen zu können, sagt sie. Sie stöberte weiter auf Flohmärkten und in Nachlässen nach Puppenstuben, als sie nach dem Umzug der Familie in die Eifel einen Laden mit Holzspielzeug und Kunsthandwerk in Mayen gründete. 2007 verlegte sie ihn - nach 33 Jahren - nach Kelberg-Zermüllen. Und endlich hat sie den benötigten Platz, um alles zu zeigen: über 100 Puppenstuben und Kaufläden von der Gründerzeit bis heute!

Kontakt und Info: Aline Kottmann-Rexerodt, Im Garten 1,

53539 Kelberg-Zermüllen, Telefon 02692/505,

Internet: www.gespielte-wirklichkeit.com.